Der BND muss sich auch zu eigenen Abhörmaßnamen äußern

Allein unter Freunden

Der US-Geheimdienst NSA hat weit mehr Daten aus Deutschland erhalten als bislang angenommen. Um die gängige Praxis zu vertuschen, belog der BND seine eigene Datenschutzbeauftragte.

Fast zwei Jahre sind seit den Enthüllungen Edward Snowdens zur deutsch-amerikanischen Geheimdienstzusammenarbeit vergangen. Im Bundestag geht seit vergangenem Jahr ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss der Massenüberwachung durch die National Security Agency (NSA) auf den Grund. Die Abgeordneten sollen herausfinden, ob der US-Militärgeheimdienst auch in Deutschland ohne Rechtsgrundlage Telekommunikationsdaten ausgespäht hat. Zum Untersuchungsauftrag gehört auch, zu prüfen, auf welche Weise der Bundesnachrichtendienst (BND) in die NSA-Spionage verwickelt ist und in welchem Umfang er die Daten selbst ausgewertet hat. Dass der deutsche Auslandsgeheimdienst an deutschen Internetknoten eine »Strategische Fernmeldeaufklärung« durchführt, war bis zum Auftauchen von Edward Snowden kaum bekannt. Auch die Satellitenkommunikation wird überwacht. Hierfür nutzt der BND Abhöranlagen im bayerischen Bad Aibling.

Die hierfür benutzten Radom-Antennen in der Form von Golfbällen wurden bis 2004 von US-Behörden betrieben. Ihre Übergabe an den BND erfolgte unter der Bedingung, dass die NSA auch weiterhin Zugriff auf von dort abgehörte Daten erhält. Vor zwei Jahren hatte die Bundesregierung noch behauptet, jedes Jahr würden aus Bad Aibling lediglich einige Hundert aufbereitete Meldungen an die NSA oder den britischen Geheimdienst GCHQ weitergeleitet. Unwahr, wie sich nun herausstellt. Denn außer den Berichten der BND-Analysten erhielt die NSA auch Zugang zu Rohdaten der Anlage. Anfang dieses Monats hatten der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung beschrieben, dass der BND in den vergangenen Jahren bis zu zehn Millionen sogenannter Selektoren erhielt. Dabei handelt es sich um mehrmals täglich aktualisierte Namen von Personen, Firmen oder Behörden. Als Selektoren gelten aber auch E-Mail-Adressen, IP-Kennungen von Computern, Telefonnummern oder Geokoordinaten. Wann immer der BND die fraglichen Selektoren im Datenstrom fand, erhielt die NSA die gewünschten Informa­tionen.
Der BND hat dies nicht nur den Abgeordneten, sondern auch den Bundesdatenschutzbeauftragten verheimlicht. Ein Sachbearbeiter in Bad Aib­ling fand bereits 2008 in einer aktiven Suchdatei der NSA außerdem E-Mail-Adressen europäischer Politiker und Institutionen. Rund 40 000 Suchbegriffe wurden daraufhin aussortiert, eine Mitteilung an das für den BND verantwortliche Kanzleramt erfolgte damals angeblich nicht.
Selbst im eigenen Hause hatte der deutsche Auslandsgeheimdienst die rechtswidrige Praxis geheim halten wollen. Die BND-Datenschutzbeauftragte beklagt, »nicht vollumfänglich« über die Arbeit der Außenstelle Bad Aibling informiert worden zu sein. In einem »nur für den Dienstgebrauch« eingestuften und vom Blog Netzpolitik veröffentlichten Vermerk schreibt die Regierungsdirektorin, insbesondere sei die »offenbar in großem Umfang erfolgende Weitergabe von ungefilterten Rohdaten aus der Fernmeldeaufklärung« an die NSA nicht dargestellt worden. Ein Abteilungsleiter habe ihr gegenüber eine Größenordnung von bis zu 1,3 Milliarden Daten pro Monat bestätigt. Hierauf angesprochen konterte die Leitung des BND, die Datenerhebung erfolge über Satelliten, mithin im Weltraum. Dort unterliege das Abhören nicht der deutschen Rechtsprechung, also haben weder die Parlamentarische Kontrollkommission noch die BND-Datenschutzbeauftragte unterrichtet werden müssen.

Die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss mochten dieser Weltraumtheorie eben sowenig folgen wie die BND-Datenschutzbeauftragte. Die machte überdies auf ein weiteres Detail aufmerksam, nämlich dass die Bundesregierung behauptet, die an die NSA weitergereichten Informationen seien »nicht personenbezogen«. Der BND vertritt die Auffassung, es handele sich um sogenannte Metadaten, die nicht mit Kommunikationsvorgängen gleichzusetzen seien. Zu den Metadaten zählen aber nicht nur Verbindungsdaten der Telekommunikation, darunter E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder Standorte. Erfasst werden auch das Aufrufen eines Webmail-Dienstleisters, das Setzen oder Abfragen von Cookies, Pop-up-Fenster oder der Mausklick auf einen Link. Werden keine Anonymisierungsdienste genutzt, hinterlassen Internetnutzer Datenspuren, die einzelnen Rechnern und damit Personen zugeordnet werden können.
Der mutmaßlich abgehörte Flugzeug- und Rüstungskonzern Airbus will nun Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Industriespionage stellen. Auch der Betreiber des weltgrößten Internetknotenpunktes DE-CIX in Frankfurt droht eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht an. Dabei geht es unter anderem um eine Anweisung des Kanzleramtes, über eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem BND Stillschweigen zu bewahren. Viel größeres Ungemach droht der Bundesregierung aber durch die Strafanzeige des österreichischen Innenministeriums wegen »geheimdienstlicher Tätigkeit«. Zwar ermittelt die Wiener Staatsanwaltschaft zunächst gegen Unbekannt, allerdings verlangt Österreich eine diplomatische Erklärung von der deutschen Regierung. Doch damit ist die Angelegenheit nicht vom Tisch. Peter Pilz, Abgeordneter der Grünen im österreichischen Nationalrat, hat einen ihm zugespielten Vertrag zwischen dem BND und der deutschen Telekom veröffentlicht. Der beweist, dass elf Jahre lang E-Mails und Telefondaten von Firmen und Politikern in Österreich ab­gehört wurden. Die Telekom gewährt dem BND hierfür Zugriff auf ein breitbandiges Internetkabel von Wien nach Frankfurt. Ausgewertet wurden die Daten in Bad Aibling. Zu den Spionagezielen des BND gehörten aber offenbar eine ganze Reihe von Nachbarstaaten, darunter auch Frankreich, die Niederlande und Luxemburg.

Am Donnerstag voriger Woche musste BND-Präsident Gerhard Schindler die Praxis seines Dienstes im Untersuchungsausschuss erläutern. Nach Übernahme der Abhörstation in Bad Aibling seien die NSA-Selektoren ungeprüft übernommen worden, sagte Schindler aus. Später seien die Selektoren zwar überprüft worden, allerdings mithilfe von Computern in einem automatisierten Verfahren. Schließlich sei unklar, weshalb ein »ungutes Gefühl« von BND-Mitarbeitern nicht an die Leitung des Dienstes berichtet worden sei. Mitglieder des Untersuchungsausschusses hatten gefordert, die Selektorenlisten der NSA einsehen zu dürfen. Die Bundesregierung will hierzu aber auf eine Erlaubnis der US-Regierung warten, was dem Regierungssprecher zufolge einige Zeit dauern kann. Das erinnert an das angebliche »No Spy«-Abkommen mit den USA, das in der vergangenen Legislaturperiode vom damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla als Beruhigungspille für das vermutete Ausspähen des Kanzlerinnen-Telefons angekündigt worden war. Der damalige CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich sprach wahrheitswidrig sogar von einer »Zusage, dass ein solches Abkommen bald geschlossen werden kann«. Vor zwei Wochen veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung E-Mails aus dem Kanzleramt, die belegen, dass die US-Regierung – obwohl von der Bundesregierung regelrecht bekniet – niemals den Abschluss eines Anti-Spionage-Pakts auch nur in Aussicht gestellt hatte.
Die Aufarbeitung der Geheimdienstaffäre ist vor allem ein Verdienst von Medien wie dem britischen Guardian, der Washington Post oder der mittlerweile neu gegründeten Plattform The Intercept. In Deutschland verfügt der Spiegel über ausgewählte Dokumente, auch das vor zwei Jahren gegründete Investigativteam aus Süddeutscher Zeitung und NDR hat mitunter Einblick. Das mag einer der Gründe sein, weshalb andere auf­lagenstarke Zeitungen immer öfter für die gescholtenen Geheimdienste in die Bresche springen. Die Welt verlautbart, »Spione« müssten »gelegentlich jenseits der Gesetze operieren«. Zur Begründung heißt es, es seien »Anschläge durch Islamisten, ein zunehmend autoritäres Russland und Flüchtlingsströme« aufzuklären.

Inzwischen stellt die NSA-BND-Affäre die Große Koalition auf die Probe. Der SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert die Offenlegung der Selektoren, die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi kritisiert die Kanzlerin Angela Merkel als »Vasallen der USA« und fordert, die Selektoren bis zum 8. Juni vorzulegen. Der SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier hingegen hält zu Merkel, da ihr Kanzleramt an ein bilaterales Geheimdienstabkommen gebunden sei. Hier ist er sich einig mit dem CDU-Mann Volker Kauder, der die aktuelle Diskussion um die Geheimdienste »wirklich schlimm« findet. Der Fraktionsvorsitzende kritisiert vor allem, dass in großem Stil geheime Zeugenaussagen und Dokumente öffentlich würden. Tatsächlich könnte die Affäre sogar den bislang über Parteigrenzen hinweg harmonisch arbeitenden Untersuchungsausschuss auseinanderbringen. Die Konservativen ärgern sich über die Aktivisten von Wikileaks, die vergangene Woche stenografische Protokolle des Ausschusses veröffentlichten. Aus unerfindlichem Grund sind diese 1 380 Seiten Transkriptionen der Aussagen von 34 Zeugen nicht auf der Bundestagswebseite online verfügbar. Das hatte sogar der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) bemängelt und bereits im vergangenen Jahr Abhilfe versprochen. Vielleicht wurde Sensburg vom Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen gebremst. Auch der sieht die Zusammenarbeit mit der NSA durch die Veröffentlichung geheimer Dokumente bedroht und fürchtet, »dass die Amerikaner zögerlicher werden« mit der Zulieferung von Informationen und Technik.
Zwar prüft der Generalbundesanwalt bei den bekannt gewordenen Spionageaktivitäten, ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt. Dieses Unterfangen erweist sich aber als Abklingbecken für die öffentliche Aufmerksamkeit. Als bislang einzige Konsequenz hat die Bundesregierung der NSA auferlegt, Suchanfragen an den BND zukünftig mit Kategorien wie »Terrorismus«, »Verbreitung von Massenvernichtungswaffen« oder »Organisierte Kriminalität« zu begründen. Die Kanzlerin bekräftigt derweil, der BND »muss und wird weiter international kooperieren«, allerdings müssten sich ausländische Behörden in Deutschland an geltendes Recht halten. Denn es könne Merkel zufolge »vielleicht schwierig sein«, gegenüber ausländischen Geheimdiensten eine Befolgung deutscher Gesetze durchzusetzen. Dies bleibe aber trotzdem ein »politisches Ziel«.