Der Zoo im KZ Buchenwald

Den Tieren geht es gut

Der Zoo des KZ Buchenwald diente zur Erholung der SS-Männer.

Im Sommer 1938 reagierte der Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald, Karl Koch, verärgert auf den seiner Ansicht nach unpassenden Umgang mit den Tieren im Wildgehege des Lagers. Nachdem ein Hirsch mit Alufolie gefüttert worden war, bat er die Mitglieder der SS-Totenkopfstandarte Thüringen, sich wie redliche Zoobesucher zu verhalten, und wies darauf hin, dass ein Zoo der Erholung dienen solle.
1937 errichtet, wurde das Konzentrationslager Buchenwald zu einer der größten Haftstätten der SS. 1944 waren dort 87 000 Menschen inhaftiert, davon über 30 000 im Stammlager, in dem 8 000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden. Das KZ entwickelte sich zu einem wirtschaftlich bedeutenden Rüstungs­standort und gilt heute, zusammen mit dem Nebenlager Dora, auch als Inbegriff der Zwangsarbeit in der NS-Rüstungsindustrie. Dass an einem solchen Ort ein Zoo eingerichtet wurde, erscheint nur auf den ersten Blick widersprüchlich. Die Beschäftigung mit Natur- und Tierwelt war ein Bestandteil der mörderischen Ideologie des Nationalsozialismus.
Die Naturschutzgesetzgebung der National­sozialisten gilt als eine der weitreichendsten der damaligen Zeit, bereits 1933 wurde ein »Reichstierschutzgesetz« erlassen. Tier- und Naturschutz nahmen in der Ideologie der Volksgemeinschaft eine wichtige Rolle ein und wurden verbunden mit einer expansionistischen Blut-und-Boden-Politik. Entsprechend wurde im Deutschen Reich eine Tierhaltung befördert, die im Einklang mit den Vorstellungen eines mythologisch aufgeladenen und frei assoziierten germanischen Naturerbes sein sollte.
Dem Historiker Boria Sax zufolge stand der Schutz der heimischen Wildtiere im Vordergrund. Dem Adler, der auch auf dem Wappen des Deutschen Reiches zu sehen ist, wurde als »Herrentier« zugesprochen, »niedere Tiere« wie Mäuse und Ratten zu töten. Wobei letztere nicht zufällig die Widersprüche des modernen Großstadtlebens symbolisierten. »Landespfleger« und SS-Mitglied Heinrich Wiepking-Jürgensmann schrieb dazu 1942: »I(m) faustischen Drange schufen wir unsere Großtaten, unsere Welt, in der neben und mit uns die Tiere und Pflanzen als Freunde und Brüder, wie Goethe es einmal sagte, lebten.« (1) Wiepkings-Jürgenmanns’ Vorgesetzter Heinrich Himmler erkannte bei den Deutschen eine angemessene Einstellung Tieren gegenüber und übte sich in einer Kritik der Jagd: »Wie kann man sich daran erfreuen, aus der Deckung heraus auf arme Kreaturen zu schießen, die am Waldrand entlang streifen, unschuldig, schutzlos und nichts­ahnend? Das ist wirklich reiner Mord.« (2)
Allerdings hatten Himmler und seine Kameraden recht einseitige Präferenzen: Säugetiere und Vögel waren ihrer Meinung nach schutzbedürftig, andere Tiergruppen nicht von Interesse oder gar verachtenswert. Himmler, Agrarwissenschaftler und Tierfreund, setzte sich 1943 dafür ein, dass Nutztiere wie Bienen in allen Konzentrationslagern gehalten werden sollten. »Schädlinge« hingegen, wie Läuse, Flöhe, Wanzen, Fliegen, Mücken und Bremsen, sollten in ihren »Lebensgewohnheiten« untersucht werden, »um sie als solche zu bekämpfen und wenn möglich ausrotten zu können« (3), so Himmler 1942. Unter der Leitung der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe geschah dies in Dachau auch mithilfe von Menschenversuchen.
Wie in allen anderen großen Konzentrationslagern, so wurden auch im KZ Buchenwald viele Nutztiere gehalten. Die SS hatte dafür zu sorgen, dass sich die Lager auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht rentierten. Im KZ Buchenwald wurde durch Betriebe wie die Deutschen Ausrüstungswerke (DAW) kriegswirtschaftliche Impfstoffforschung betrieben sowie Angoraschurwolle für Soldatenmäntel produziert. Den ehemaligen politischen Häftlingen Willy Jentsch und Rolf Barz zufolge wurden im KZ Buchenwald Tausende Angorakaninchen ­sowie Hunderte Meerschweinchen und Mäuse gehalten. Ferner wurden zur lagereigenen ­Lebensmittelherstellung und zum Vergnügen der SS-Führer Kühe, Schweine, Hühner, Enten sowie Pferde gehalten und von den Häftlingen gepflegt.
Der spätere SS-Standartenführer Koch hatte vor 1937 bereits das Lager Esterwegen geleitet. Dort hatte man auf Befehl der Reichsführung-SS Störche angesiedelt. Als Kommandant des KZ Buchenwald sorgte er sich im März 1939 um die Wildbestände in der Umgebung: »Die Posten sind jetzt besonders darüber zu unterrichten, dass junges Rehwild, welches im Wald aufgefunden wird, nicht einfach mit (genommen werden kann), weil sie vielleicht der Annahme sind, dass das Tier von der Mutter verlassen wurde. Das Wild lässt sich schlecht durchfüttern und verendet meistens. Das Tier soll im Wald belassen werden, da die Mutter immer wieder zu dem jungen Tier zurückkehrt.« (4)
Nachdem er im Juni desselben Jahres eine Meldung vom Kreisjägermeister Weimar erhalten hatte, dass Tiere von SS-Mitgliedern geschossen würden, unterstrich er: »Es ist ein unhaltbarer Zustand und nicht im geringsten mit der Schutzstaffel zu vereinbaren, wenn SS-Männer sich zu derartigen Gemeinheiten hergeben, die nichts weiter sind als gemeiner Jagdfrevel, denn das Wild ist ja bekanntlich (…) in der Schonzeit.«
Bereits kurz nach der Errichtung des KZ Buchenwald begann die Planung des Zoos. Franz Ehrlich, einem inhaftierten Bauhäusler, kam die Aufgabe zu, Entwürfe für eine »Bärenburg« anzufertigen. Obwohl der Bau nicht von höherer Stelle befohlen wurde, stand der Bärenzwinger schon seit dem 23. Juli 1937 auf der Agenda des Baubüros, man griff auf die Expertise des Leipziger Zoos zurück. Die fertiggestellte Anlage befand sich zwischen Lagerzaun und der Politischen Abteilung der Gestapo. Dass die Lagerinsassen das Gehege vom Appellplatz gut einsehen konnten, war mit Sicherheit Kalkül.
Der Kustos der Gedenkstätte Buchenwald, Harry Stein, sieht den Kontrast »zwischen den Bildern einer heilen, schönen Natürlichkeit und den ins Elend gestoßenen Massen, die wie Aussätzige vegetieren mussten«, als »offensichtlich gewollt« (5) an. In seiner endgültigen Fassung bestand der Bärenzwinger aus Mauern mit Gitterabsperrungen und einem Baum zum Klettern.
Ehrlich wurde noch mit einer weiteren Aufgabe betraut. Im Frühjahr 1938 legte man die Planung des späteren SS-Falkenhofs in seine Hände, der Bau wurde am 14. Mai 1938 von Himmler befohlen. Der Falkenhof sollte westlich vom Lager, am Südhang des Ettersberges, errichtet werden. Da sich das Gelände in einigen Hundert Metern Entfernung vom Häftlingslager befand, gab es dort genügend Raum, um große Tiergehege einzurichten. Ehrlich fertigte unter anderem Skizzen für die Gehege und für ein Wach- und Futterhaus im Blockhausstil an. Seine Entwürfe wurden jedoch nur teilweise realisiert. In der Planungsphase des SS-Falkenhofes sollte die »Verbundenheit des Bauherrn (…) mit dem Forst« (6) verkörpert werden, so Stein. Die vom Reichsjägermeister Hermann Göring ausgerufene Tradition der deutschen Jagd war dafür die ideologische Grundlage. Die Bauten auf Görings Landsitz »Carinhall« in der Schorfheide sowie der Reichsjägerhof »Hermann Göring« mit dem Reichsfalkenhof Riddagshausen bei Braunschweig dienten als architektonische Vorbilder.
Das Zusammenspiel aus Architektur und der Zurschaustellung domestizierter Tierarten sollte unter anderem der sogenannten Volksbildung dienen. Karl Koch legte Wert darauf, bestimmte ästhetisch-inhaltliche Kriterien zu befolgen, die seiner Auffassung zufolge der Tradition deutscher Jagd entsprachen: Die SS-Falkner sollten ihre Hunde demnach nicht zu lange im Zwinger halten und sie in der Art eines Jägers ausführen. Im Juli 1939 befiehlt er, »(i)ch will die beiden Falkner des Falkenhofes Buchenwald in Zukunft nicht mehr ohne Falknerhunde sehen. Bei jedem Gang ins Gelände sind die Hunde mitzunehmen.« (7)
Die NSDAP konnte sich in Weimar großer Zustimmung sicher sein, es entwickelte sich ein entsprechendes politisches Klima in der Region. Paul Schultze-Naumburg, der Vorsitzende des Heimatschutzbundes, wurde später zum Direktor der renommierten Kunstschule und Weimar zur Gauhauptstadt Thüringens ­ernannt. Obwohl sich ein konservativer Schwenk gegen die vormals in Weimar angesiedelte Bauhausströmung entwickelte, entschied man sich schließlich dazu, am Falkenhof beleuch­tete Werbetafeln anzubringen.
Wie der Arbeitsstatistik der SS-Führung zu entnehmen ist, begann der Bau des Zoos im Frühjahr 1938. Den statistischen Aufzeichnungen vom Juli 1938 zufolge wurde der Zoo durch die Kommandos »Schweinestall, Zimmerei ­Alscher, Zimmerei und Dachdecker« errichtet. In diesen Kommandos waren insgesamt über 100 Häftlinge beschäftigt. Die Arbeiten am Falkenhof begannen erst im November 1938 und wurden ein Jahr später beendet. Häftlingsaussagen und der SS-Arbeitsstatistik von 1938 ­zufolge war das Kommando »Kabelleger« für die Aushebung der benötigten Kabelschächte zuständig, während die Kommandos »Maurer« und »Truppengarage« den Bau realisierten. Findlinge, Bruchsteine, Holz von Kiefern samt Borke und Schilf wurden ausschließlich aus der Umgebung beschafft, sie sollten den »bodenständigen Stil« des Falkenhofs repräsentieren. Hunderte Kubikmeter Holz und Steine mussten von Häftlingen des Kommandos »Holzträger«, dem fast ausschließlich jüdische Häftlinge angehörten, mit der Hand beschafft werden. Angesichts der archaischen Arbeitstechnik verglich ein Häftling namens Jentsch die Beschaffungsmethoden mit der Errichtung der ägyptischen Pyramiden. In »Der SS-Staat« beziffert Eugen Kogon sämtliche Baukosten des Falkenhofs auf rund 135 000 Reichsmark. (8)
Nach der Befreiung des Lagers gründeten einige ehemalige Häftlinge das »Internationale Lagerkomitee«, das bereits am 21. April 1945 eine Berichtsammlung veröffentlichte. Sie offenbarte, wie die Bauarbeiten an Falkenhof und Zoo finanziert worden waren. Im Willkürsystem KZ habe man die Möglichkeit gehabt, »mit der Pistole in der Hand« (9) von einzelnen Häftlingen Geld zu erzwingen, die von der SS als »freiwillige Umlage« bezeichnet wurden: Als ein Wolf oder Hund, die Angaben hierzu sind nicht eindeutig, sich im Frühjahr 1939 an seinem Halsband wund gerieben hatte und an den Folgen der Verletzungen gestorben war, wurden Häftlinge für seinen Tod verantwortlich gemacht. Man zwang sie zu einer Zahlung von mindestens 4 000 Reichsmark (10). Der Historiker David Hackett schreibt in seinem »Buchenwald-Report«, dass der Tod eines Bären namens Betti der SS als Vorwand diente, 8 000 Reichsmark von Häftlingen zu erpressen. (11) Betti hatte sich aus dem Zwinger befreit und war erschossen worden. Das Geld ­erpresste die SS vor allem bei jenen jüdischen Häftlingen, die als Geschäftsleute im Zuge der Reichspogromnacht nach Buchenwald deportiert worden waren.
Den Erinnerungen Jentschs zufolge wurde der Bau des Zoos nicht von einer übergeordneten Stelle befohlen. Darum seien sowohl Arbeitskommandos als auch das nötige Baumaterial von anderen Baustellen im Lager abgezweigt worden (12). Da die Bauarbeiten in kürzester Zeit vollendet werden sollten, waren diejenigen Häftlinge, die an diesen und anderen privaten Einrichtungen – wie beispielsweise den Führervillen – arbeiten mussten, brutalsten Strafen unterworfen. »Die Kameraden mussten im Falkenhof tagtäglich von früh bis abends mit leerem Magen die schwersten Arbeiten unter der Knute der SS durchführen. Nur wenige haben es überlebt« (13), schreibt Leopold Ritter in einem ausführlichen Bericht über den SS-Falkenhof.
Nach Stand des Jahres 1940 wurden täglich zwischen 1 500 bis 2 000 Häftlinge zur inneren Bewirtschaftung des Lagers eingesetzt. Dazu zählten zwei Veterinäre, die auch für die zur Schau gestellten Tiere zuständig waren. Zwischen sechs und zehn Personen arbeiteten als »Kommando Falkenhof« in den Gehegen als Tierpfleger. Zudem waren stets Häftlinge in Falkenhof und Zoo damit beschäftigt, Gebäude und Anlagen baulich instand zu halten. Die 33 Häftlinge, die regelmäßig mit den Tieren arbeiteten, litten nicht selten unter Tierbissen und daraus resultierenden Blutvergiftungen. Aus der Korrespondenz des Lagerarztes geht hervor, dass sie samstags zwischen 9 Uhr und 10 Uhr den Arzt im Krankenbau aufsuchen durften (14). Den Akten der lagereigenen Lebensmittelzuteilung zufolge erhielten Mitglieder des Kommandos Falkenhof morgens Ersatzkaffee und Marmelade, mittags oft Fleisch mit Beilage, abends Tee, Haferflocken und manchmal Käse oder Wurst. (15) Der Arbeitsplatz als Tierpfleger war aufgrund der Versorgungssituation unter den Häftlingen begehrt.
Zuständig für den Zoo, in dem unter anderem fünf Paviane und vier Braunbären gehalten wurden, war ein SS-Scharführer namens Pätzold. Gleich nach der Ankunft der jungen Braunbären sollte der jüdische Häftling Hans Bergmann die Tiere mit der Milchflasche aufziehen. In einer satirischen Bildergeschichte von 1946 erzählt der politische Häftling Kurt Dittmar von der Tierpflege. Neben den Pflegetätigkeiten sollten den Tieren, entgegen der Bestimmungen des NS-Tierschutzgesetzes, Kunststücke beigebracht werden. In einem Vers illustriert Dittmar die bereits von Stein beschriebene Diskrepanz, die die Bärenhaltung hervorgerufen hatte: »So mancher von uns wäre froh gewesen,/Wenn er ein Leben wie die kleinen Bären hätt’./Jedeinem war die Not vom Antlitz ab zu lesen/Uns fehlt nicht nur der Zucker, auch das Fett!«
Die Bären bekamen täglich ausreichend Fleisch, Marmelade und Honig. Wahrscheinlich weil sich immer etwas abzweigen ließ, bat der Häftling Bergmann den SS-Lagerführer Arthur Rödl am 8. Oktober 1939, ihn wieder bei den Bären einzusetzen. Er hänge »sehr an den Tieren und (sei) überzeugt, in einigen Wochen (…) die Jungen groß (…) ziehen« (16) zu können. Karl Koch vermerkte in einer Notiz an Rödl: »wenn ein Junges eingeht, hart bestrafen« (17). Die im Zoo zur Schau gestellten Paviane wurden täglich mit Fleisch, Kartoffelbrei, Zwieback und Weißbrot gefüttert.
Viele Häftlinge betrachteten den Zoo als den privaten Tierpark Kochs. Daran erinnert sich auch der ehemalige Häftling Karl Barthel: »Ja, die Tiere sind die Lieblinge des Kommandanten und sind wertvoll. Die Tiere tummeln sich und machen einen gut gepflegten, gut ernährten Eindruck.« (18) Auf eine Bemerkung Kochs hin schrieb der politische Häftling Rolf Barz: »Und überhaupt: Wir seien Glückspilze besonderer Art, die ganze Luft auf dem Ettersberg sei nachweisbar besonders delikat und gesund, so dass wir von Rechts wegen eigentlich eine Pension von fünfzehn Reichsmark pro Tag entrichten müssten. Wir dürfen uns glücklich schätzen, unter seiner Obhut in einer so herrlichen Gegend, inklusive freier Besichtigung des Zoos, leben zu dürfen.« (19)
Das Hauptgebäude des Falkenhofes bestand aus zwei Adlerhäusern sowie sieben geräumigen Käfigen. In den Adlerhäusern wurden Steinadler gehalten, in den übrigen Bussarde, Habichte, Falken und ein Seeadler. Die Wände dieser Käfige wurden mit Leinen verhängt, damit sich die Tiere nicht verletzten. In den Wildgehegen des Falkenhofs wurden Dammhirsche, Rehe, Wildschweine, ein Mufflon, Füchse, Pfauen, Kaninchen, Eichhörnchen und Marder zur Schau gestellt. Zunächst war der SS-Hauptscharführer Helbig für diese Anlage zuständig. Bei den Falknern waren es erst der SS-Oberscharführer Krüger, später dann der SS-Scharführer Horst Mauersberger. Sie wohnten im eigens dafür errichteten »Haus des Falkners«, das östlich vom Falkenhof lag.
Spätestens ab Sommer 1941 wurde der SS-Falkenhof sonntags zwischen 14.30 Uhr und 17.30 Uhr für die Allgemeinheit geöffnet. Da auch viele Häftlingskommandos sonntags von der Arbeit befreit waren, konnte die SS verhindern, dass die zivilen Besucher Arbeitskolonnen zu Gesicht bekamen. Es wurden zusätzliche Wachposten eingesetzt: acht Streifenposten des SS-Totenkopf-Sturmbanns »Buchenwald« zum Kontrollieren der Zivilpersonen, ein Verkehrsposten, ein Wachposten für die SS-Siedlung und schließlich vier Kartenverkäufer. Für alle SS-Mitglieder galt Schweigepflicht zu Themen, die nicht den Falkenhof betrafen. Im Juni 1941 befahl Koch: »Von den Männern erwarte ich beim Passieren der Siedlung und bei Besuch des Falkenhofes einen tadellosen Anzug. Trainingsanzug oder sonstige Sport­bekleidung sind verboten.« (20) Von Erwachsenen wurden 50 Pfennig, von Kindern und Uniformierten 20 Pfennig Eintritt verlangt. Stündlich konnten die Besucher an einer Führung über das Gelände teilnehmen.
Mit Postkarten und einem illustrierten Faltbuch warb die SS in Weimar und Umgebung für den Besuch des Falkenhofs. Das Wildgehege suchte in der Region seinesgleichen. Eine regelmäßige Busverbindung vom Zentrum Weimars zum »Lager Buchenwald« hatte sowieso schon bestanden. Jens Schley, der die Wirkung des KZ Buchenwald in der Region untersucht hat, beschreibt den Besucherverkehr im Tiergehege des Falkenhofs als rege. Die meisten Besucher kamen zwischen der Vorkriegszeit und rund 1941. Über den Kartenverkauf wurden insgesamt rund 600 Reichsmark eingenommen, was auf mindestens 1 200 zahlende Besucher schließen lässt. Schon am 24. Juli 1940 wurde das Gelände durch einen britischen Fliegerangriff teilweise zerstört. (21) Die SS-Männer betrauerten im Anschluss den Tod des Seeadlers Knauth.
1943 wurden im Falknerhaus Sonderhäftlinge festgehalten. Zu ihnen zählten unter anderem prominente Sozialisten wie die ehemaligen französischen Ministerpräsidenten Léon Blum und Édouard Daladier. Der Kommandant Koch wurde im Dezember 1941 nach Lublin versetzt, seine Nachfolge trat der SS-Oberscharführer Hermann Pister an. Unter dessen Leitung wurden Kommandanturbefehle zum Zoo und ­Falkenhof spärlicher; wie sie genutzt wurden, kann heute nicht eindeutig rekonstruiert werden. Den Akten der SS zufolge wurden immer wieder Reparaturarbeiten an den Gebäuden des Falkenhofs durchgeführt. So wurde beispielsweise nach einem amerikanischen Bombenangriff im August 1944 noch im Oktober desselben Jahres ein Auftrag der Bauleitung versandt, die Bombenschäden am Dach des Falkenhofes zu reparieren. (22) Auch die Berichte der Häftlinge sprechen dafür, dass der Falkenhof zumindest von der SS weiterhin genutzt wurde. Leopold Reitter bezeichnet den Falkenhof als Ort der »Unterhaltung und Zerstreuung des neuzeitlichen nazistischen Adels«. Zudem diente er Repräsentationszwecken: Als eine italienische Delegation mit dem thürin­gischen NS-Gauleiter Fritz Sauckel 1940 zu Besuch kam, wurde sie in den Falkenhof geführt.
Im Krieg arbeiteten im KZ Buchenwald zwischen 1 300 und 2 000 SS-Männer. Viele lebten kaserniert am Ettersberg, einige SS-Führer mit ihren Familien in den Führerhäusern. Zwischen 1937 und 1939 fungierte das Lager auch als Ausbildungsstätte der SS-Totenkopfverbände; das Durchschnittsalter der SS-Männer lag bei gerade mal 18 Jahren. Wegen des ungestümen Umgangs mit den Tieren ermahnte Koch die SS-Leute, dass sie sich weder an die Draht­zäune der Gehege lehnen noch die Tiere unsachgemäß füttern sollten. (24) Die Familie Koch genoss es offenbar, den Zoo sonntags mit ihren zwei Kleinkindern zu besuchen. Auf einigen Fotos sind Koch und seine Söhne bei der Fütterung von Rehen zu sehen.
Neben dem Zoo und Falkenhof wurden rund um den Ettersberg verschiedene Einrichtungen wie ein Kasino und ein Kino zum Zeitvertreib gebaut. Wahrscheinlich um höhere Einnahmen zu erzielen, machte die SS Werbung für den Falkenhof. Da der finanzielle Ertrag dennoch gering blieb, bezeichnet Leopold Reitter den Zoo und den Falkenhof als »unproduktive Unternehmen«, die hauptsächlich zum privaten Vergnügen der SS-Leute dienten.
Während Kommandant Koch sich im August 1938 beschwerte, dass dem Hirsch Stanniolpapier ins Maul gesteckt worden sei, mussten Häftlinge unmenschliche Arbeitsbedingungen und bedingungslose Strafen über sich ergehen lassen, um den Betrieb von Zoo und Falkenhof aufrechtzuerhalten. Der »perverse (…) Zusammenhang zwischen Völkermord und ökologischer Sensibilität« (Blackbourn) des Nationalsozialismus führte dazu, dass Konzentrationslager und Folter auf der einen Seite, Vergnügungseinrichtungen und Tierschutz auf der anderen bestehen konnten – in der Ideologie mystisch verklärter Natur bildete die Tierhaltung keinen Widerspruch zur systematischen Gewalt und zur Funktion eines deutschen KZ. Die Gewalt der SS-Männer im KZ Buchenwald, das Aushungernlassen, ihre Morde an sogenannten Asozialen, an Juden, Sinti, Kriegsgefangenen und politischen Häftlingen wurde von ihren Vorgesetzten als quasi-natürlicher Kampf legitimiert. Boria Sax schreibt, im KZ habe eine Verkehrung von Menschen und Tieren stattgefunden, die sich am Zusammenpferchen, Brandmarken, Nummerieren bis hin zur massenhaften Tötung von Menschen zeigte. Die Verordnung von Schutzhaft lege nahe, »dass Staatsfeinde weniger als Hühner auf dem Weg zum Schlachthaus« zählten. (25)
Der Sohn des SS-Falkners Volker Mauersberger erkannte in der vermeintlich idyllischen Tierhaltung unweit des Lagerzaunes eine »teuflische Realität« – die vielmehr zu einer Normalität riesiger Konzentrationslager geworden war, die als Wirtschaftsstandorte genutzt wurden und in denen Personal und Zivilarbeiter ihre Mittagspausen zur Zerstreuung und psychischen Entlastung nutzten. Gemäß der NS-Pädagogik und -Propaganda ist nicht auszuschließen, dass die gewöhnlichen Besucher des Falkenhofs sich das vorgefundene Verhältnis von Mensch und Tier zum Vorbild nehmen sollten.

Anmerkungen:
(1) Blackbourn, David (2007): Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft. München, S. 353
(2) Sax, Boria (2000): Animals in the Third Reich. London/New York, S. 121. Übersetzung der Zitate von Thomas Stange
(3) Deichmann, Ute (1992): Biologen unter Hitler. Frank­furt/M., S. 206
(4) Kommandantur-Befehl vom 30. März 1939
(5) Stein, Harry (2002): Audio-Guide der Gedenkstätte Buchenwald. Weimar
(6) Knigge, Volkhard/Stein, Harry (Hg.) (2009): Franz Ehrlich. Ein Bauhäusler in Widerstand und Konzentrationslager. Weimar, S. 84
(7) Kommandantur-Befehl Nr. 109, 22. Juli 1939
(8) Kogon, Eugen (1947): Der SS-Staat. Frankfurt/M., S.  68
(9) BwA 31/1065/2, Mord und Hunger Nov. 1939, 21. April 1945
(10) BwA 31/1065, Lage der Juden, 21. April 1945
(11) Hackett, David A. (Hg.) (1996): Der Buchenwald-Report. München, S. 162
(12) BArch SgY 30/1326/192, Erinnerungen Willy Jentsch, 1958
(13) BwA 31/98, »Falkenhof«, 24. April 1945, S. 1
(14) BwA 4/45/2.10, Brief Lagerarzt, 31. März 1940
(15) ThHStAW NS 4 Bu 77/9, Lebensmittelzuteilung seit 28. Januar 1944
(16) BwA NS 4 Bu 102, Film 8, Brief Hans Bergmann an Lagerführer Rödl, 8. Oktober 1939
(17) Ebd.
(18) Barthel, Karl (1946): Die Welt ohne Erbarmen. Rudolstadt, S. 45
(19) Barz, Rolf (1995): Die weiße Schmach. Frankfurt/M., S. 62
(20) BwA 31/98, SS-Falkenhof, 21. Juni 1941
(21) Schley, Jens (1999): Nachbar Buchenwald. Köln, S. 104; und in: Knigge, Volkhard/Baumann, Imanuel (Hg. 2008): „...mitten im deutschen Volke“. Göttingen, S. 54
(22) BArch NS 3/452/1, Bauleitung -I- der Waffen-SS und Polizei Weimar-Buchenwald, 5. Oktober 1944
(23) Sax, Boria (2000): ebda., S. 16
(24) BwA Kommandanturbefehle, Kommandantur-Befehl, 17. August 1938
(25) Sax, Boria (2000): ebda., S. 20 ff, 115