Die Reaktionen auf den V-Frau-Skandal in Hamburg

Doppelter Einsatz

Die Staatsschutzbeamtin Iris P. war in Hamburgs radikaler Linker gleichzeitig als »verdeckte Beobachterin zur Lageaufklärung« und als »verdeckte Ermittlerin« unterwegs. Von ihren Liebesbeziehungen zu sogenannten Zielpersonen und der Ausforschung des Radiosenders FSK wollen Vorgesetzte nichts gewusst haben.

Unter der Adresse verdeckteermittler.blogsport.eu machte am 3. November eine autonome Recherchegruppe die Umstände des jahrelangen Spitzeleinsatzes einer Hamburger Staatsschutzbeamtin öffentlich (Jungle World 49/14). Seither ­gelangen dank anhaltender Nachforschungen von ausspionierten Linken und Abgeordneten der Grünen und der Linkspartei allmählich weitere Einzelheiten an die Öffentlichkeit.
Iris P., Beamtin des Landeskriminalamts, Abteilung Staatschutz, drang – so viel räumten die Behörden mittlerweile ein – in offiziellem Auftrag vom 1. August 2001 bis zum 31. März 2006 als »Iris Schneider« in die Privatsphäre von Linken ein. Der Einsatzleiter, im Polizeijargon »VE-Führer«, von »Iris Schneider« sagte nach Angaben von Bernd Krösser, dem Abteilungsleiter für öffentliche Sicherheit der Hamburg Innenbehörde, die von der Beamtin ermittelten Informationen seien »trennscharf« sortiert worden. Den Einsatz begründete der Staatsschutz mit Brandanschlägen aus der linken Szene. »Eine schrift­liche Begründung für den Einsatz konnte nicht mehr gefunden werden«, sagte Krösser. Fast alle Dokumente seien aus Gründen des Datenschutzes gelöscht worden.

Dies klingt wie eine Schutzbehauptung. Denn Iris P. befand sich vermutlich in einem sogar formal rechtswidrigen doppelten Einsatz für verschiedene Behörden. Ihr Einsatz als »verdeckte Beobachterin zur Lageaufklärung« unterlag den Bestimmungen des Hamburger Landesgesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei, laut dem sie allgemeine Informationen zur Lagebeurteilung der Entwicklung in der linken Szene beschaffen durfte, aber ausdrücklich keine personenbezogenen Daten. Das Betreten von Wohnungen ist einer »verdeckten Beobachterin« beispielsweise ausdrücklich untersagt. Dagegen unterlag der Einsatz der Beamtin als »verdeckte Ermittlerin« den Vorgaben der Strafprozessordnung. Im Rahmen von Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft (BAW) lautete ihr Auftrag, personenbezogene Daten zusammenzutragen, auch in Wohnungen danach zu suchen und bestimmte Personen belastendes Material zur Anklageerhebung in Strafprozessen an das LKA und das BKA weiterzugeben.
Gemeinsam haben die »verdeckte Beobachterin« und die »verdeckte Ermittlerin« das Auftreten unter falscher Identität. Offenbar wollte das Hamburger LKA nicht wegen der Amtshilfe für die BAW auf eine wertvolle Quelle zur Bespitzelung Linker für den Staatsschutz verzichten und setzte die Beamtin gleichzeitig in sich nach Gesetzeslage gegenseitig ausschließenden Funktionen ein. Ob »Iris Schneider« mit ihrem VE-Führer vom Hamburger LKA eine Münze warf, wenn es um die Einordnung erschlichener Daten nach Polizeirecht oder Strafrecht ging, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Sicher ist, dass Berichte von Iris P. auch in Akten zumindest des Hamburger Verfassungsschutzes landeten und folglich mehrfach ausgewertet wurden. Sie beantworten Fragen wie die, ob bei Spieleabenden in autonomen Wohngemeinschaften eher Brett- oder Kartenspiele bevorzugt wurden, wie originell die Passwörter der Computer von queerfeministischen Kickboxerinnen sind und ob es beim wöchentlichen Plenum der Roten Flora eher Zoff um das Mackerverhalten auf Technoparties als um Erklärungen zur Israel-Solidarität gab. Eine weitere grundsätzliche Frage formulierte der Anwalt Ralf Ritter auf einer Veranstaltung in der Roten Flora am 11. Dezember: Gab es überhaupt den Verdacht einer terroristischen Vereinigung, der den Einsatz einer verdeckten Ermittlerin im Auftrag der BAW hätte begründen können?
Vor dem Kontrollgremium der Hamburgischen Bürgerschaft ließ sich Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) am 9. Dezember zwar zusammen mit Sicherheitsleiter Krösser und Polizeipräsident Ralf Meyer zu ähnlichen Dingen von den Abgeordneten befragen, aber die meisten Antworten blieben vage. Mit Formulierungen wie »nach bisherigem Kenntnisstand« wurde Offensichtliches zugegeben und zugleich das Szenario einer permanenten Gefährdung von Ruhe und Ordnung durch Brandanschläge, militante Aktionen und zivilen Ungehorsam beschworen. Konkreter Anlass für den Einsatz von Iris P. sei eine Zunahme von Straftaten aus dem linken Spektrum gewesen, sagte Polizeipräsident Meyer, eine »Autonome Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof« habe sich 1999 zu mehreren Brandanschlägen aus Protest gegen die rigorose Abschiebepolitik bekannt.

Dazu passt, dass sich Iris P. bereits im Jahr 2000 in der linken Szene umsah, etwa in der Roten Flora erste Kontakte knüpfte, wie die autonome Recherchegruppe feststellte. Nebulös spricht die Polizeiführung von einer »Einarbeitungsphase« der Beamtin. Dies steht im Widerspruch zu ihrer offiziellen Laufbahn, nach der sie dem LKA, Abteilung Staatschutz, erst zum 1. April 2000 zugeordnet wurde. Bereits am 20. April 2000 begann ihr bis zum 31. Juli andauernder »vorbereitender Einsatz« nach dem Polizeirecht. Durch die von Iris P. eifrig betriebene Ausforschung der linken Szene wurde aus der Beamtin auf Probe schnell eine auf Lebenszeit, die von ihrem Einkommen Wohneigentum anschaffte und im Vorgarten ­ihres Reihenhauses einen Gartenzwerg in den Deutschlandfarben aufstellte.
Ihrer Karriere war der Einsatz zur Ausforschung und Strafermittlung bislang dienlich. Doch während der Sitzung des Innenausschusses am 9. Dezember begannen Polizeipräsident Meyer und Sicherheitsleiter Krösser, sich von ihr zu distanzieren. Liebesbeziehungen zu Zielpersonen einer verdeckten Ermittlung einzugehen, sei ein »No-Go«, sagte Meyer. Wäre dies bekannt gewesen, wäre der Einsatz von Iris P. sofort abgebrochen worden. Im LKA habe davon aber niemand etwas gewusst, auch ihr VE-Führer nicht. Krösser betonte, auch die Mitarbeit der Beamtin im Radiosender FSK sei nicht bekannt gewesen, es sei davon ausgegangen worden, dass Treffen mit Redaktionsmitgliedern außerhalb der Redaktionsräume stattgefunden hätten und der Sender selbst nicht ausgeforscht worden sei.
Die Behauptungen, die Liebesbeziehungen der verdeckten Ermittlerin und ihre Mitarbeit im Sender FSK seien dem LKA über die Jahre nicht bekannt geworden, wirken jedoch angesichts der regelmäßigen Berichtspflicht der Beamtin zweifelhaft, zumal davon ausgegangen werden kann, dass die aufwendig betriebene Live-Berichterstattung des linken Senders von antifaschistischen Demonstrationen und anderen Ereignissen nicht nur in Einsatzwagen mitgehört, sondern auch beim Staatsschutz ausgewertet wurde. Iris P. hat in ihrem Eifer sogar solche Sendungen moderiert und Live-Beiträge geliefert. Doch weder das BKA noch das LKA oder der VE-Führer wollen von der Bespitzelung der Redaktionsarbeit etwas gewusst haben. In der nächsten Sitzung des Innenausschusses am 7. Januar werden die innenpolitischen Sprecherinnen der Linkspartei und der Grünen in der Bürgerschaft, Christiane Schneider und Antje Möller, die Klärung offener Fragen fordern.

Gewiss ist: Der Staatsschutz forscht weiter linke Gruppen aus. Am 19. Dezember wurde der Dienstwagen des Hamburger Sozialsenators Detlef Scheele (SPD) vor dessen Wohnhaus angezündet. »Jetzt ermittelt der Staatsschutz«, schrieb Bild. Vielleicht ja auch verdeckt.