Die internationalen Sanktionen und die wirtschaftliche Lage des Iran

Der freie Markt ist nicht halal

Die iranische Wirtschaft braucht kontrollierte Investitionen, ausländisches Kapital fehlt aber aufgrund der internationalen Saktionen. Auch das repressive System schadet der Wirtschaft.

Einst sagte Albert Einstein, dass die reinste Form des Wahnsinns darin bestehe, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändere. Nach diesem Prinzip handeln die iranischen Machthaber: Sie wollen die totalitäre Diktatur stabilisieren, das Atomprogramm fortsetzen und die iranische Wirtschaft stärken. Mit anderen Worten: Sie versuchen die Quadratur des Kreises. Manchmal mit Erfolg. Die Europäische Union hat vergangene Woche die Atomverhandlungen um sieben Monate verlängert und einen Teil der Sanktionen, die Öltransporte, Goldhandel und Kapitaltransfer betreffen, für diesen Zeitraum ausgesetzt.
Mohammad Ali Jafari, Oberbefehlshaber der iranischen Revolutionsgarden, ist bekannt für Reden, die eine eigenwillige Sicht der Realität offenbaren. Schon vor der Verlängerung der Atomgespräche, am 18. November hatte er gesagt, die »Würde« der Iraner könnte durch das ungeschickte Verhalten der Atomunterhändler verletzt werden: »In Wirklichkeit ist es der amerikanische Feind, der mit einer sich selbst erniedrigenden Haltung eine Einigung bei den Atomverhandlungen erzielen will.«

Der General betrachtet Verhandlungen als zweifelhaftes Zugeständnis, der Iran könne auf eine Einigung mit dem Feind verzichten. Wichtiger sei die Durchsetzung der eigenen Interessen: »Die Führung der islamischen Revolution wird nicht zulassen, dass Amerika seine Ziele erreicht. Wir werden uns, solange es unseren Interessen dient, bemühen, die wirtschaftlichen Sanktionen zu beseitigen.« Dies entspricht dem Credo des religiösen Führers Ali Khamenei, der die Regierung Präsident Hassan Rohanis unterstützt. Die iranischen Machthaber halten ungeachtet interner Machtkämpfe fest zusammen. Ihnen geht es um die Fortsetzung des Urananreicherungsprogramms, aber auch um westliche Kapitalininvestitionen in die Schlüsselindustrien, insbesondere in die Öl- und Gasindustrie.
Denn Kapital wird benötigt. Das Statistische Amt gab im Oktober bekannt, dass die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahr fast um die Hälfte verringert habe. Überprüfbar ist diese Angabe nicht. Sicher ist, dass die iranische Wirtschaft strukturelle Schwächen aufweist. Sie leidet unter einer hausgemachten Rezession. Der produktive Sektor liegt brach, die Warenpreise steigen, die Armut wächst. Insbesondere die Landbevölkerung hat kaum Geld, um Konsumgüter zu kaufen. Der Regierung ist die Brisanz der Lage bewusst, sie hat angekündigt, mehr als zwei Millionen Wohnungen für Arme zu bauen. Ob dies tatsächlich geschieht, ist fraglich.

Der Iran ist abhängig von Importen, in wachsendem Ausmaß werden Konsumgüter, aber auch Nahrungsmittel eingeführt. Beispielsweise sind alle Restriktionen für den Goldhandel faktisch aufgehoben worden, was zur Folge hat, dass die Goldimporte zugenommen haben und der Goldpreis gesunken ist. Das iranische Zollamt meldet, dass die Autoimporte seit März um rund 90 Prozent gestiegen sind. Etwa 75 810 Autos im Wert von etwa 1,15 Milliarden Dollar seien importiert worden. Im Jahr zuvor waren es lediglich 30 628. Mindestens doppelt so viele Mobiltelefone wurden in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr importiert. Berichten des iranischen Zolls zufolge sind in den vergangenen sieben Monaten die Importe um etwa sechs Milliarden und die Exporte um etwa 4,3 Milliarden Dollar gestiegen. Allein für 1,3 Milliarden Dollar sei Weizen importiert worden. Die Vereinigten Arabischen Emirate, China, Südkorea, Indien und die Türkei sind die größten Exporteure von Waren in den Iran. Das Defizit im Außenhandel ist ein direktes Resultat der Rezession und der Sanktionspolitik. Der Iran exportiert mehr als zuvor Flüssiggas und petrochemische Produkte, meist nach China, in den Irak und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie nach Afghanistan und Indien. Doch der Ölpreis ist erheblich gesunken, so dass das Defizit in der Handelsbilanz größer wird. Investitionen können nicht getätigt werden, da das ausländische Kapital fehlt. Die Kassen der Diktatur werden nicht durch einheimische Produktion gefüllt.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer. Die wohlhabenden Haushalte im Iran haben nach einer Statistik der iranischen Zentralbank rund 13,6 Mal mehr Geld zur Verfügung als die armen Haushalte, die im vergangenen Jahr über rund 1 800 Euro Jahreseinkommen verfügten. Dem Wohlstandsindex des Legatum-Instituts zufolge befindet sich der Iran weltweit auf Platz 107 unter den wohlhabendsten Ländern. Damit ist der Iran um sieben Plätze im Vergleich zum Vorjahr abgestiegen. Dieses Institut vergleicht jährlich 142 Staaten miteinander. Untersucht werden unter anderem Kriterien wie persönliche Freiheiten, Sicherheit der Bürger und wirtschaftliche Stärke. Zum Vergleich: Norwegen befindet sich auf Platz 1, die USA auf Platz 10, Deutschland auf Platz 14 und Saudi-Arabien auf Platz 47.
Eine wirkliche Öffnung der iranischen Wirtschaft kann sich die Diktatur nicht leisten, denn die Iraner haben unislamische Konsumwünsche. Angestrebt wird eine kontrollierte Investitionspolitik, doch wegen des Atomprogramms und der damit verbundenen Sanktionen fließt kaum Geld ins Land. Gegen die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung setzen die iranischen Machthaber auf totalitäre Unterdrückungsstrategien, die Revolutionsgardisten und die Bassij-Milizen.
Das islamistische Pseudo-Parlament hat kürzlich beschlossen, dass die iranischen Bassij-Einheiten verpflichtet werden, die »Leugner« des Islams in der Zivilgesellschaft zu bekämpfen. Darunter werden Jugendliche verstanden, die anders leben wollen, Frauen, die keine Kopfbedeckung mehr tragen wollen sowie andersdenkende und andersgläubige Menschen, die die staatliche, religiös verbrämte Ideologie nicht teilen.
Die Bassij-Vereinigungen haben nach offiziellen und sicher übertriebenen Angaben 22 Millionen Mitglieder und rund 2 000 Einheiten. Weit mehr als eine Million Schläger aber stehen tatsächlich bereit, um die Sicherheit der Diktatur zu garantieren und für islamische Ruhe und Ordnung in der Gesellschaft zu sorgen. Sie werden militärisch eingesetzt, um die ideologischen Forderungen der Diktatur durchzusetzen. Am 26. November, kurz nach Ablauf der ursprünglich vereinbarten Verhandlungsfrist für das Atomprogramm, versammelten sich hunderttausende Bassiji landesweit für eine Machtdemonstration des Regimes. Sie sollen nach Aussagen von Mohammad Reza Naqdi, Kommandant dieser Organisation, auch auf Einsätze in Gaza und Syrien vorbereitet werden. Er sagte am 17. November, dass Millionen Bassiji bereit stünden, »entsandt« zu werden.
Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hob Anfang November hervor, dass sich die Menschenrechtslage unter Präsident Rohani verschlechtert habe. Sie betonte, dass viele Journalisten, bekannte Feministinnen und eine große Anzahl von Studenten in Gefängnissen festgehalten würden. Am 18. November verabschiedete das Menschenrechtskomitee der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution gegen den Iran. 78 Staaten stimmten für eine Verurteilung des iranischen Regimes, 35 Staaten waren dagegen und 69 Staaten enthielten sich der Stimme. Deutschland stimmte dafür. Nichts geändert hat sich auch an der systematischen Verfolgung der Angehörigen der Bahai-Religion. Bahais werden daran gehindert, an den Universitäten zu studieren. Ihnen werden sogar unternehmerische Tätigkeiten untersagt. Das Blut der Bahais zu vergießen, gilt als »halal«, als gottgefällig. Sie dürfen noch nicht einmal ihre Toten begraben.
Aus politischen wie sozialen Gründen wächst die Unzufriedenheit. Doch die repressiven Bedingungen erlauben nicht, dass die iranische Zivilgesellschaft sich rührt, und die Opposition kann sich kaum organisieren.