Astrid Schäfers und Sadika Keskes haben einen Frauenverein in Tunesien besucht, der Teppiche mit Mustern des Malers Paul Klee herstellt

Frauen zeigen Muskeln

In der tunesischen Stadt Foussana wollen Weberinnen eine Kooperative gründen, um Teppiche mit Motiven von Paul Klee zu produzieren. Unterstüzt werden sie von der bekannten tunesischen Künstlerin Sadika Keskes.

Aziza sitzt in ihrem Wohnzimmer, im Nebenraum hämmert ihr Bruder. Die junge Frau trägt ein lila Kopftuch lose umgebunden. »Ich bin für die Frauen in Kasserine zuständig. Ich begleite und beaufsichtige die Lieferung der Wolle, das Waschen und Färben und helfe ihnen beim Weben der Teppiche«, erzählt sie. Der Teekessel neben ihr wackelt auf dem Gaskocher hin und her. Das Wasser brodelt. Aziza spricht unbeirrt weiter: »Es sind ungefähr hundert Frauen. Die meisten können weben. Einige können weder lesen noch schreiben und sie verstehen keine Zahlen. Ich zeige ihnen, wie sie die Maße für die Teppiche nehmen. Andere kommen in der Werkstatt vorbei, um den Beruf zu erlernen, oder ihre Lebensbedingungen zu verbessern.«
In der Werkstatt arbeiten Analphabetinnen Seite an Seite mit jungen Frauen, die ein Diplom haben, aber das Handwerk des Webens nicht beherrschen. Die älteren Frauen aus den umliegenden Dörfern bringen es ihnen bei. »Mit 16 Jahren habe ich angefangen zu weben, kurz nach meiner Hochzeit«, erzählt die 70jährige Zahra Missaoui, während sie Wolle, die auf einen Holzrahmen gespannt ist, mit einem Kamm bearbeitet. »Ich habe sieben Kinder bekommen. Alle sind arbeitslos, außer der Älteste. Ich arbeite immer noch für sie.« Die Arbeiterinnen in der Werkstatt nehmen die Bestellungen an und geben sie an die Frauen weiter, die zu Hause arbeiten. Die Teppiche werden per Hand geknüpft, ohne Webstuhl.
Im Hof der Werkstatt zeigt Aziza mir Wolle, die gerade trocknet, nachdem sie gewaschen und gefärbt wurde. Auf einem Holzgespann hängt das hell- und leuchtendgelb sowie ockerfarben gefärbte Garn aus Schafwolle, aus der die Fäden gesponnen werden. »Wir arbeiten nur mit Naturfarben«, erzählt ihre Schwester Mounia, die gerade dabei ist, Wolle in einem Bottich mit gelber Farbe einzuweichen. »Die Arbeit mit der Wolle ist hart. Und die Arbeitsbedingungen sind schwierig. In Birinou (ein Ortsteil von Foussana, Anm. d. Red.) gibt es zum Beispiel kein Wasser. Deshalb waschen wir die gesamte Wolle, die wir geliefert bekommen, hier in Foussana und bringen sie dann den Weberinnen dort.« Ein weiteres Problem ist, dass es nicht das ganze Jahr über Wolle bei den Schäfern der Region zu kaufen gibt. Besonders schwer zu finden ist Wolle von schwarzen Schafen.
Mounia ist die jüngere der beiden Schwestern, sie arbeitet als Freiwillige in dem Verein »Frauen zeigt Eure Muskeln«. Gegründet wurde der Verein 2011 auf Initiative der bekannten tunesischen Künstlerin Sadika Keskes. »Eines Tages – das war kurz nach der Revolution – trat Sadika im Fernsehen auf und wir riefen sie an und fragten sie, ob wir für sie arbeiten könnten«, erzählt Aziza. Sie hätten ihr von der Situation in Foussana berichtet, von der hohen Arbeitslosigkeit und dass es hier viele Weberinnen gäbe, die noch nicht einmal das Geld hatten, um Wolle zu kaufen.

Der Ort Foussana, der sich unmittelbar an der algerischen Grenze befindet, gehört zur Gemeinde Kasserine. »Diese Region ist während der Ben-Ali-Diktatur jahrzehntelang vernachlässigt worden«, sagt Sadika. »Als ich gesehen habe, in welcher Misere die Frauen dort leben, obwohl sie die Kunst des Webens beherrschen, habe ich gedacht: Wie können wir diese Frauen wieder in Arbeit bringen? Denn nun, nach der Revolution, hatten wir die Möglichkeit, Projekte ins Leben zu rufen.« Sadika blickt zu den Ginsterbüschen im Garten ihres malerisch gelegenen Hauses, nahe dem Touristen-Viertel Gammarth, bei Tunis. Neben dem Haus befindet sich ein Laden, in dem die Künstlerin, die sich zu Anfang ihrer Karriere auf Glasmalerei spezialisiert hatte, ihre Kunsthandwerke an Touristen verkauft. Als sich die Frauen aus Foussana bei ihr meldeten, habe Sadika zunächst gedacht, dass sie aus Fouchana, einem Vorort von Tunis anrufen, erzählt Alain Nadaud, ein französischer Schriftsteller und Sadikas Partner: »Sadika kurvte dort mit ihrem Auto rum. Als sie die Frauen dort nicht antraf, rief sie zurück und verstand dann, dass es sich um Foussana an der Grenze zu Algerien handelte. Obwohl Foussana rund vier Autostunden von Tunis entfernt liegt, fuhr sie sofort los.« Nach ihrem Besuch in Foussana machte Sadika auf der Rückfahrt in Kairouan halt. Sie lief über den Markt und sah sich die Teppiche an, die dort verkauft werden. Sie ging in Teppichwebereien in der Altstadt, in denen noch heute Teppiche mit den traditionellen tunesischen Mustern, die sogenannten Kilims, am Webstuhl geknüpft werden. »Angesichts des bevorstehenden hundertjährigen Jubiläums der Tunesien-Reise der Maler Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet kam mir die Idee, die Frauen könnten doch Motive von Klee auf ihren Teppichen abbilden«, erzählt die Künstlerin. Klee soll während seines Besuchs in Kairouan 1914 eine Teppichweberei besucht haben.
Aber die Stadt ist nicht nur für die Teppiche bekannt: Nach Mekka, Medina und Jerusalem ist sie die viertheiligste Stadt des Islam, deren religiöses Zentrum die große Sidi-Oqba-Moschee ist. Die gut erhaltene Altstadt ist von einer noch intakten Stadtmauer umgeben. Auf Klees schachbrettartig eingeteilten Aquarellen von Kairouan verschmelzen Mauern, Häuser, Menschen und Moscheekuppeln. Der Maler, der bis dahin vor allem Tuschezeichnungen, Radierungen und Kupferstiche angefertigt hatte, war von Kairouan überwältigt: »Tausend und eine Nacht«, schrieb er in sein Tagebuch, »welch ein Aroma, wie durchdringend, wie berauschend, wie klärend zugleich.«
Das Licht, die sanften Farben des Meeres, die Gärten von Hammamet, die alten arabischen Städte, die Gewänder der Menschen inspirierten Klee auch nach seinem Besuch zum Malen farbenfroher Aquarelle mit größerer Abstraktion. »Die Sonne von einer finsteren Kraft. Die farbige Klarheit am Lande verheißungsvoll. Macke spürt das auch. Wir wissen beide, dass wir hier gut arbeiten werden«, heißt es in seinem Tagebuch bei der Einfahrt in Tunis per Schiff. In den elf Tagen, die er gemeinsam mit Macke und Moilliet in Tunesien verbrachte, saugte er die Bilder und die Atmosphäre des Landes in sich auf, die später sein gesamtes Werk prägen sollten. »Klee hat nicht das gemalt, was er gesehen hat. In seinen Aquarellen abstrahiert er und verwendet Formen, die er in Tunesien gesehen hat. Hier hat er seine Inspiration für die abstrakte Kunst gefunden. Deswegen hat er gesagt: ›Dieses Land ähnelt mir. Die Farbe hat mich. Ich bin Maler‹«, schwärmt Sadika. Während Klee vor seiner Reise nach Tunesien vor allem an Grafiken und Radierungen arbeitete, inspirierte ihn das Land zum Experimentieren mit Farben und Formen auf Aquarell-Leinwänden. Da auf mehreren seiner Bilder Motive wie Streifen, Caros, Rondelle und achtecktige Formen zu sehen sind, ist Sadika sie überzeugt davon, dass diese Teppiche Klee in seiner Malerei beeinflusst haben.
Mit einem Bildband von Klee, den ihr Mann ihr aus Paris mitgebracht hatte, machte sich Sadika wenige Tage nach dem ersten Besuch erneut auf den Weg nach Foussana. »Ich habe den Frauen Fotos von Bildern von Klee gezeigt. Sie haben gesagt: ›Ja, das Motiv kennen wir. Das können wir so und so weben‹.« Im Ausstellungsraum neben ihrem Haus in Gammarth eröffnete Sadika am 13. April in Kooperation mit der Schweizer und der deutschen Botschaft sowie dem Goethe-Institut in Tunis die Ausstellung »Paul Klee und der tunesische Teppich«, bei der auch die Teppiche der Frauen aus Foussana und Sidi Bouzid, der Stadt, in der die Revolution begann, zu sehen sind. Auf einem beigen Berberteppich in der Mitte des Raumes ist ein Fischskelett abgebildet. Die Vorlage hierfür lieferte Klees Gemälde mit dem Fisch­skelett von 1940. Auf weiteren riesigen Teppichen sind die typischen Caros, Dreiecke, Streifen und Rondelle zu sehen. Neben diesen Ausstellungsstücken werden im Laden des Espace d’Art Sadika die von den Frauen produzierten, in Weiß, Grau und Schwarz gehaltenen Schals und Kissen zum Verkauf angeboten.
Trotz des großen Erfolgs der Ausstellung ist es dem Frauenverein bisher noch nicht gelungen, alle Produkte zu verkaufen. »Im Moment arbeiten wir nicht mehr. Sadika hat gesagt, wir müssen jetzt erstmal warten, bis genug Teppiche verkauft werden, damit Geld reinkommt«, erzählt Aziza am Telefon. Die Frauen wollen nun eine Kooperative gründen. Sie haben auch bereits einen Raum dafür. Nur fehlt es noch noch an Geld und feste Abnehmern. Sadika und Alain sind jetzt damit beschäftigt, Werbung für die Klee-Teppiche in aller Welt zu machen und die Produkte des Vereins auch online anzubieten.

An einem Abend sitzt Alain, in eine Zeitung vertieft, auf der Treppe vor dem Ausstellungsgebäude. Es dämmert bereits. Um diese Zeit sind hier kaum mehr Besucher anzutreffen. »Wir werden die Frauen in Kasserine, Foussana und Sidi Bouzid bei der Gründung der Kooperative unterstützen und versuchen, die Teppiche mit den Kleemotiven an Museen in Europa zu verkaufen. Ich habe mir die Boutique der Klee-Ausstellung in der Tate Gallery in London angesehen. Die Produkte, die dort verkauft werden, sind nichtssagend und von sehr schlechter Qualität«, findet er. Gelänge es den Frauen, die Teppiche dorthin zu verkaufen, könnten sich ihre Lebensbedingungen enorm verbessern. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Sadika meint, jetzt müsse erstmal die Arbeit noch besser organisiert werden, damit die Produkte auch den strengen europäischen Normen entsprächen. »Es geht darum, ein Netzwerk für den Verkauf zu schaffen, aber zudem eine Verwaltung, die die Produktion und den Verkauf abwickelt, damit wir wichtige Märkte gewinnen können«, erklärt die Kunsthändlerin. Sie kann sich vor Anrufen von Frauen, die ihre Teppiche an sie verkaufen wollen, gar nicht mehr retten: »Es handelt sich um fast 800 000 Frauen in der Region, die Arbeit suchen.« Bisher hat der Verein bereits Werke von rund 1 000 Frauen verkauft. »Und alle wollen weitermachen, das ist das Problem«, sagt Sadika lachend. Ihr Optimismus scheint ungebremst.
Denn die Situation der Frauen hat sich im Vergleich zu 2011 bereits verbessert. 2012 gelang es Sadika und Alain, einige Teppiche nach Norwegen zu exportieren. 50 Prozent der Erlöse aus dem Verkauf gingen an die Frauen, mit dem übrigen Geld wurden die Transport- und Materialkosten gedeckt. »Wir haben ein System des fairen Handels mit den Frauen geschaffen. Der Verein behält kein Geld aus dem Verkauf ein«, erläutert Sadika. Wenn der Verkauf gelingt, verdient eine Weberin rund 350 bis 800 Dinars im Monat.
Vor der Revolution arbeiteten viele dieser Frauen in Textilfabriken und wurden schlecht bezahlt. Sie mussten ihre Arbeit am Webstuhl aufgeben. »Unter Ben Ali beherrschte eine Mafia die Textilbranche, die die traditionelle Teppichweberei kaputtgemacht hat. Man hat die Bevölkerung dazu gezwungen, mit chemischen Farben und Motiven in Fabriken zu arbeiten, die nicht ihrer traditionellen Arbeitsweise und ihrer Kultur entsprachen«, erzählt Alain, der bereits seit über zehn Jahren in Tunesien lebt. Jetzt nach der Revolution genössen die Menschen zwar den Geschmack der Freiheit, aber es fehle noch die wirtschaftliche Organisation und Entwicklung, für die die Regierung der islamistischen Partei al-Nahda in den letzten zwei Jahren nichts getan habe.