Die Deutsche Bank und die Libor-Affäre

Bankraub mal anders

Die Manipulationen des Interbank-Zinssatzes Libor durch internationale Großbanken könnten einigen von ihnen teuer zu stehen kommen.

Der 11. September dieses Jahres könnte sich für die Deutsche Bank als teures Datum erweisen. An diesem Tag verlor Deutschlands einziger Global Player in der Finanzbranche in Frankfurt am Main ein Arbeitsgerichtsverfahren gegen vier gekündigte Geldmarktexperten. Doch weniger die geforderte Weiterbeschäftigung oder die Nachzahlung der sicherlich nicht geringen Gehälter samt Ausfallzinsen für Ardalan G., Kai-Uwe K., Markus K. und Jörg V. dürfte den Verantwortlichen in der Zentrale der Bank Sorgen bereitet haben. Denn die Entlassung von fünf über Jahre mit der Festsetzung der Zinssätze Euribor und Libor befassten Mitarbeitern – einer von ihnen hatte sich bereits vor dem Prozess mit der Bank außergerichtlich geeinigt – war der kaum verhüllte und nun gescheiterte Versuch, die Verantwortung für die Manipulationen der Zinssätze auf einzelne daran beteiligte Bankangestellte abzuwälzen. Und diese Manipulationen könnten die Bank noch teuer zu stehen kommen.
So sah es letztlich auch das Gericht. In der Urteilsbegründung hieß es, es habe seitens der Deutschen Bank »keine konkreten Richtlinien, keine konkreten Kontrollen (gegeben), um die strikte Trennung zwischen Ermittlern der Referenzzinsen und Händlern zu gewährleisten«, die die Basis für die Absprachen zur profitablen Nutzung von Libor und Euribor dargestellt hatten. Zwar wollte das Gericht nicht darüber spekulieren, ob die vier Kläger nicht gar im Einvernehmen oder auf Geheiß ihrer Vorgesetzten gehandelt hätten, die Bank habe aber zumindest nichts unternommen, um diese Praxis zu erschweren oder gar zu verhindern.

Beim Libor, der London Interbank Offered Rate, handelt es sich um den werktäglich von der British Bankers’ Association (BBA) festgelegten Durchschnittszinssatz, zu dem sich die Banken weltweit gegenseitig Kredite gewähren. Der Euribor ist sein europäisches Pendant. Zustande kommt die Rate durch Abfragen bei den wichtigsten Instituten seitens der BBA. Im Juni 2012 hatte die zuständige US-Aufsichtsbehörde CFTC schwere Vorwürfe gegen 20 international tätige Banken erhoben, deren Angaben nicht den tatsächlichen Zinssätzen entsprochen hätten, sondern frei erfunden gewesen seien. Auf bis zu 17,1 Milliarden US-Dollar schätzten die Verantwortlichen in den USA damals den entstandenen Schaden. Dieser konnte durch verschiedene Arten der Manipulation entstehen.
Offenkundig begann alles mit dem low balling. Durch die Angabe deutlich zu geringer Zinssätze täuschten die seit 2007 kriselnden Banken eine erhöhte Kreditwürdigkeit vor, um nicht nur die Börsenwerte ihrer eigenen Institute zu stabilisieren, sondern vor allem billiger an Kredite zu kommen. Immer umfangreicher wurden dann aber die Termingeschäfte, Wetten auf zukünftige Libor-Sätze. Dabei waren besonders hohe Renditen und – ein schöner Nebeneffekt für die Händler selbst – hohe Boni zu erzielen, wenn die Differenz zwischen tatsächlichem und erwartetem Zinssatz möglichst groß und deren Wahrscheinlichkeit damit auch besonders gering war. Die vom Frankfurter Arbeitsgericht angesprochenen Kungeleien zwischen Derivatehändlern und den für die Errechnung des Zinssatzes zuständigen Analysten spielten eine zentrale Rolle, um die Raten oszillieren zu lassen und an bestimmten Tagen auf die gewünschte Höhe zu bringen.
Absprachen zwischen den verschiedenen Global Players der Finanzbranche waren dazu nicht nur unerlässlich, sondern, wie der CFTC-Bericht und andere Quellen längst bestätigt haben, auch an der Tagesordnung. Eine dritte Manipulationsvariante könnte darin bestanden haben, die Angaben der Raten nach oben zu korrigieren, um Verbraucher- und Firmenkredite, in deren Zinssätzen der Libor als variabler Basiszins steckte, künstlich zu verteuern und damit zusätzliche Gewinne auch im Kerngeschäft der Banken zu erzielen. Es ist insofern kaum zu bestreiten, dass von dieser »organisierten Kriminalität« dadurch »fast jeder« betroffen gewesen ist, wie Hans-Peter Burghoff, Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim und einer der wenigen Experten in diesem Bereich, dies ausdrückt; und dass die Banken und nicht nur einige Mitarbeiter daran gut verdient hätten.

Erst Mitte 2012 waren diese Praktiken einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und von den Aufsichtsbehörden ins Visier genommen worden – eventuell auch, um von den eigenen fehlenden Kontrollen abzulenken. Der im Vorstand der CFCT für die Libor-Ermittlungen zuständige Bart Chilton hatte damals nicht nur eine Veränderung der Bankenkultur, sondern gleich die Ablösung der Vorstände aller betroffenen Banken gefordert. »Die Banker benehmen sich arrogant, als stünden sie über dem Gesetz«, sagte er im vergangenen Jahr gegenüber dem Handelsblatt.
Auch in Deutschland hatten die Aufsichtsbehörden Veränderungen versprochen. Elke König, Präsidentin der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), gab zu Beginn dieses Jahres bekannt, der Libor habe zu Manipulationen geradezu eingeladen. »Aus heutiger Sicht macht mich das sprachlos«, bekannte sie gegenüber der FAZ und kündigte Konsequenzen an. Diese hat vor allem die britische Finanzaufsicht FCA gezogen. Ein eigens zur Untersuchung der Manipu­lationen eingerichteter Ausschuss der Behörde verkündete im Juli, dass ab 2014 eine britische Tochterfirma der New Yorker Börse, NYSE Euro­next, die Fixierung des Libor übernehmen, für deren Überwachung aber weiterhin Großbritannien zuständig sein werde. Dass dies einen angelsächsischen Kompromiss zwischen den auf mehr Druck seitens der Aufsichtsbehörden drängenden USA und dem um die Erhaltung der City of London als globalem Finanzzentrum kämpfenden Großbritannien darstellt, ist offenkundig.
Zunächst aber steht die juristische Aufarbeitung auf der Tagesordnung. In der jüngeren Vergangenheit hatten sich bereits einzelne Institute auf Vergleiche eingelassen, um Prozesse zu ver­meiden. So hatte die Royal Bank of Scotland (RBS) 452 Millionen Euro und die britische Investmentbank Barclays 340 Millionen Euro an die US-amerikanischen und britischen Behörden überwiesen. Die Schweizer UBS musste gar 1,2 Milliarden Euro lockermachen, um sich mit den Klägern in den USA, Großbritannien und der Schweiz zu einigen. Und zuletzt hatten sich die verschiedenen involvierten Behörden mit der niederländischen Rabobank auf eine Strafzahlung von 774 Millionen Euro verständigt. Möglich, dass sich frühzeitig geschlossene Vergleiche in der Zukunft als geschickter Schachzug erweisen werden, denn sowohl in den USA als auch in Europa kommt die Aufarbeitung jetzt erst richtig in Gang – und die verhandelten Summen scheinen größer zu werden. Ein Indiz dafür ist, dass nach Angaben von auf Spiegel Online zitierten anonymen Experten die zu erwartende Strafe für die Rabobank zuvor als deutlich niedriger als die für die RBS eingeschätzt worden sei.
Die spektakulären Verfahren jedenfalls beginnen erst. Ende Oktober hatte der mittlerweile verstaatlichte US-Baufinanzierer Fannie Mae vor einem Bundesgericht in New York gegen neun Großbanken und die BBA wegen der Manipulationen des Libor Klage eingereicht. Für die Jahre 2007 bis 2010 sollen so Verluste von rund 800 Millionen Dollar zustande gekommen sein, weil man sich bei den an den Libor-Satz gekoppelten Immobilienkrediten auf eine »ehrliche Festsetzung des Libors« verlassen habe, ließ Fannie Mae in einer Presserklärung mitteilen. Einige Immobilienbesitzer, deren Zinsen deshalb niedriger ausgefallen waren, wird es im Nachhinein immerhin gefreut haben. Neben den Banken, die bereits Vergleiche geschlossen haben und sich das Verfahren relativ beruhigt ansehen können, betrifft diese Klage die an fast allen Skandalen beteiligte Deutschen Bank sowie die Credit Suisse, die Bank of America, die Citigroup und JPMorgan Chase.

Noch größeres Ungemach droht der Deutschen Bank und anderen, vor allem europäischen, Finanzinstituten nun in Europa selbst, seit die EU-Kommission angekündigt hat, ebenfalls aktiv zu werden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg vom 6. November wollen die Wettbewerbshüter in Brüssel die betreffenden Banken auf Strafzahlungen von durchschnittlich etwa 800 Millionen Euro verpflichten. Außerdem könnten nun auch immer mehr Unternehmen Klagen einreichen. In der vergangenen Woche entschied ein Londoner Appellationsgericht, dass die Schäden wegen der Libor-Manipulationen in den Fällen von Guardian Care Homes und Unitech Global »gerichtsrelevant« seien und zugelassen werden müssten. Sollten in beiden Fällen Schadensersatzforderungen durchgesetzt werden, könnte das zahlreiche Prozesse gegen die globalen Großbanken nach sich ziehen. Eine Abwälzung der Ver­antwortung auf einzelne »schwarze Schafe« innerhalb der Banken, die »sich aus eigenem Antrieb in einer Weise verhalten haben, die nicht den Standards der Bank entsprach«, wie Christian Hoefs, Anwalt der Deutschen Bank, die Position seines Auftraggebers nach dem wenig erfolgreichen Arbeitsrechtsprozess in Frankfurt zusammenfasste, wird dabei immer schwieriger. Ein bisschen gespart hat die Deutsche Bank aber zumindest. Die Kürzung der Boni um 40 Prozent für die Jahre 2011 und 2012 im Falle der vier Kläger hatte das Gericht nicht zu beanstanden.