Proletarische Morgenröte
»Danke euch, dass in Schleswig-Holstein über 2400 Unterstützungsunterschriften zusammengekommen sind. Die MLPD hat es – neben der AfD und den Berliner Parteien – als einzige geschafft, bundesweit zu kandidieren.« Überaus stolz äußert sich Maria Meyer in ihrem Wahlkampfmaterial. Sie ist Kandidatin der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands in Lübeck. Die Sozialarbeiterin betont, dass ihre Partei die Proteste gegen Sozialabbau und Hartz-IV-Gesetze von Beginn an begleitet habe: »Die MLPD hat in Lübeck neun Jahre die Montagskundgebungen unterstützt, eine einzigartige Protestkultur hat sich entwickelt.« Dies sei eine gute Voraussetzung, um für die »kommenden Proteste gegen die verschärfte Abwälzung der Krisenlasten« gewappnet zu sein.
Diese euphorische Sichtweise auf die sehr verhaltenen sozialen Proteste in Deutschland dürfte der »proletarischen Denkweise« zu verdanken sein. Seit Jahr und Tag kämpft die MLPD gegen die »kleinbürgerliche Denkweise« in den eigenen Reihen. Kritik und Zweifel innerhalb der Partei oder auch von Seiten der undogmatischen radikalen Linken werden schematisch in den »Kampf zweier Linien« eingeordnet, mit dem Stigma der »kleinbürgerlichen Denkweise« werden abweichende Meinungen versehen. Die MLPD, nicht gerade als Partei des regen Meinungsaustauschs bekannt, betont auf Veranstaltungen gebetsmühlenartig, dass die »proletarische Denkweise« ein objektives Resultat der Entwicklung der Produktivkräfte sei. Dieser naive Fortschrittsglaube gehört ebenfalls zum fossilierten Marxismus-Leninismus der MLPD, der eine Zeitreise in die Blütezeit der westdeutschen ML-Parteien Anfang der siebziger Jahre ermöglicht. Doch es ist das Jahr 2013 und der Wahlkampf hat nichts von einer Blütezeit. Den Auftakt in Hamburg beging die MLPD in einer Fußgängerzone am Altonaer Spritzenplatz. Neben einem Einkaufszentrum mitten in der Hochburg des Bionade-Kleinbürgertums, Ottensen, kam nicht so recht Stimmung auf. »Diesmal MLPD!« prangte auf dem Klaren Kurs, der Stadtzeitung der Partei, die eifrig verteilt wurde. Auf einigen Sitzbänken ließen sich Anhänger der Partei nieder, manche im Gespräch mit zwei bürgernahen Beamten, die den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung garantieren sollten. Ein Gitarrist versuchte, sich Gehör zu verschaffen, an einem Stand lag die Parteizeitung Rote Fahne aus, daneben waren Bücher und Broschüren des parteinahen Verlags »Neuer Weg« zu finden.
Über die Hälfte der Titel stammten vom einem Verfasser: Stefan Engel, seit der Gründung 1982 Vorsitzender der MLPD. Seine ehemalige Ehefrau Monika Gärtner-Engel ist seine Stellvertreterin, die gemeinsame Tochter Gabi Gärtner belegt hinter Stefan Engel den zweiten Platz auf der Landesliste in Nordrhein-Westfalen. Zu Engels neuestem Buch »Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution« veranstaltet die MLPD offene Lesekreise. »Die Neuorganisation der internationalen Produktion hat mit der Entfesselung der internationalen Produktivkräfte die Götterdämmerung des internationalen Finanzkapitals anbrechen lassen«, heißt es in dem Werk. »Doch am Horizont zeichnet sich bereits eine neue Zeitenwende ab; die Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution wird sichtbar. Aber die alte Herrschaft wird nicht freiwillig weichen.«
Abgesehen von diesem unerschütterlichen Zweckoptimismus, der für die linke, auf die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt setzende Kleinstpartei typisch ist, zeichnet die MLPD auch ein Personenkult um die vermeintlich führenden Köpfe des Marxismus-Leninismus aus. Während des bundesweiten Wahlkampfauftakts der MLPD auf dem Rathausplatz in Kassel stand auf einem Transparent: »Kampf dem Antikommunismus!« Daneben waren Porträts von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao aufgemalt. Eine Freude für Nostalgiker ist auch die im Wahlkampf verteilte Broschüre mit dem Titel »Unvergängliche Erfolge beim Aufbau des Sozialismus«. Darin heißt es unmissverständlich: »Über ein Drittel der Menschheit lebte in den fünfziger Jahren bereits in sozialistischen Ländern, bevor dort der Kapitalismus wiederhergestellt wurde.« In der Hamburger Wahlzeitung war zu lesen: »Die Hetze gegen Mao Zedong und Stalin hat vor allem den Zweck, eine Diskussion über die wirklichen Standpunkte der Marxisten-Leninisten und die MLPD erst gar nicht aufkommen zu lassen.«
In der Rede von Stefan Engel in Kassel war dennoch treffende Kritik an der Politik der Regierung und der parlamentarischen Opposition zu finden: SPD und Linkspartei bezeichnete er als zwei brave »sozialdemokratische Bettvorleger« des Kapitalismus. »Alle reden immer von Mindestlohn und Mindestrente, so als ob für uns Arbeiter das Mindeste gut genug ist«, sagte Engel. »Aber wir wollen nicht das Mindeste, wir wollen, was uns zusteht, was wir erarbeiten.« Die Lübecker Kandidatin Maria Meyer erinnerte daran, dass die rot-grüne Regierung »Deutschland zum Niedriglohnland gemacht« habe. »Wer soll von 8,50 Euro Mindestlohn gut leben? Dies würde 900 Euro netto bedeuten«, prangerte sie an. Engel ging noch bedeutend weiter: Statt sich auf eine Mindestlohnforderung zu beschränken, lehnte er das System der Lohnarbeit ab. Statt Ausbeutung zu einer Frage von höheren oder niedrigeren Hartz-IV-Bezügen zu erklären, betonte er, dass die Ausbeutung der Lohnarbeiter im Kapitalismus als System angelegt sei. Wegen solcher Ansichten werden Mitglieder der MLPD häufig ausgegrenzt. So gab es vergangene Woche im Opel-Werk in Bochum eine sehr hitzige Betriebsversammlung, anschließend streikte die Nachtschicht spontan gegen die verkündete Werkschließung. »Die Betriebsratsspitze hat willenlos gemeinsam mit der anwesenden SPD-Prominenz in den Abgesang für die Werksschließung eingestimmt«, kritisierte die MLPD. Anders als Politikern der SPD und der Linkspartei wurde zwei Kandidatinnen der MLPD der Zutritt zur Versammlung widerrechtlich vom Werkschutz verwehrt – im Wissen darum, dass die Vertreterinnen der MLPD für einen Streik zum Erhalt des Werkes eintreten. Dazu passend gilt in der IG Metall immer noch ein gegen die MLPD gerichteter Unvereinbarkeitsbeschluss.
Nicht nur die IG Metall macht es der MLPD schwer. Anders als bei Kundgebungen etablierter Parteien oder des DGB verbot das rot-grün regierte Kassel für den Wahlkampfauftakt der Partei die Selbstversorgung mit Essensständen. Während die MLPD eine Demonstration durch die Stadt abhielt, sperrten Polizisten in Kampfmontur die Stände ab. Erst nach Protesten und einer Sitzblockade auf einer Hauptstraße wurden diese freigegeben. Mit Bratwürsten und schwäbischen Maultaschen konnte so ein kleiner Sieg auf dem Weg zum »echten Sozialismus« gefeiert werden.