Eugenik und »Euthanasie« im Nationalsozialismus

Der tiefe Schnitt

Eugenik und »Euthanasie« im Nationalsozialismus.

Im Juli vor 80 Jahren wurde das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« (GzVeN) verabschiedet. Kurz darauf wurde es im Reichsgesetzblatt veröffentlicht, am 1. Januar 1934 trat es in Kraft. Unter Anwendung des Gesetzes wurden zwischen 1933 und 1945 etwa 360 000 Menschen zwangssterilisiert.
Diese NS-Opfer spielten in der deutschen Erinnerungskultur lange Zeit keine Rolle. Das hat zwei Gründe. Die Konzeption der Eugenik, zu deren Arsenal die Zwangssterilisation gehört, galt als wissenschaftlich fundiert und disku­tabel. Entsprechend wurde das GzVeN lange Zeit als gewöhnliches Gesetz aufgefasst, das mit den gesetzlich gestützten Unrechtsmaßnahmen des NS-Regimes nicht gleichgesetzt werden dürfe. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass diese Behauptung unhaltbar ist, und der zweite Grund tritt hervor: Die Eugenik fungierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als eine Art diskursive Maschine, die die Ressentiments der besseren Bürger gegenüber den niederen Ständen mit einer wissenschaft­lichen Begründung versah. So kompatibel diese Biologisierung des Sozialen mit der Idee des völkischen Staates letztlich war, so wenig wollte man in der Republik des besiegten Deutschlands davon wissen.
Jenseits der Erkenntnis, dass von den Zwangssterilisierten nur ein geringer Teil in den Genuss einer Einmalzahlung aus einem Härtefonds kam – jene Menschen nämlich, die in den achtziger Jahren noch lebten und sich aus der ­Anonymität wagten – und jenseits dessen, dass noch weniger Zwangssterilisierte erleben durften, wie das GzVeN 2006 für nichtig erklärt und damit das wichtige Zeichen gesetzt wurde, dass nichts dran war an der Behauptung erblicher Minderwertigkeit (1) –, jenseits dieser Einsichten sind mit der Geschichte der Eugenik in Deutschland noch grundlegendere Fragen verbunden.
Die Praxis der Zwangssterilisation war die erste umfassende Umsetzung der rassebiolo­gischen Weltanschauung, das GzVeN war eines der ersten Rassegesetze. Die zugrundeliegende Konzeption war jedoch keine nationalsozialistische Erfindung. Bei den Planern und Visionären handelte es sich um angesehene Wissenschaftler, sie teilten ihre Vorliebe für brachiale staatliche Eingriffe in die Fortpflanzung mit vielen Kollegen in Mittel- und Nordeuropa sowie in Nordamerika. Daher fragt sich, wie eine nicht genuin nazistische Konzeption in eine den Nazismus konstituierende Praxis münden konnte.
Am Ende der Zeitspanne, in die der Hauptteil der Zwangssterilisationen fällt – mit Kriegsbeginn ging die Zahl drastisch zurück, außer im 1938 angeschlossenen Österreich, wo man Anfang der vierziger Jahre bestrebt war, es den Deutschen gleichzutun –, begann mit der Ermordung polnischer Anstaltspatienten die »Euthanasie« und damit die genozidale Politik des NS-Regimes. (2) Dementsprechend gilt der vieltausendfache gewalttätige Zugriff auf die Körper als Vorstufe zum Kranken- und ­Behindertenmord. Wie aber genau der Zusammenhang zwischen Fortpflanzungskontrolle und Massenmord, zwischen Eugenik und »Euthanasie« aussieht, ist durchaus strittig.

Sterilisation und Fürsorge
Die Geschichte der nationalsozialistischen Zwangssterilisation gilt heute als einigermaßen gut erforscht. Eine ganze Reihe Lokal- und Regionalstudien hat das Zusammenspiel von Gesundheitsämtern, Medizinern und der Justiz ausgeleuchtet.
Die Verfahren wurden durch Anzeigen in Gang gesetzt, worunter die formulargestützte Meldung beim Kreisarzt beziehungsweise seit 1935 beim Gesundheitsamt verstanden wurde. Alle mit Heilbehandlung, Untersuchung oder Beratung beschäftigten Ärzte, Gemeindeschwestern, Fürsorgerinnen etc. waren verpflichtet, Personen, die sie für »erbkrank« hielten, zu melden. Ärztliche oder berufliche Schweigeverpflichtungen waren außer Kraft gesetzt. Groß war die Zahl der Anzeigen, die von Behörden und öffentlichen Einrichtungen ausgingen, Denunziationen von Privatpersonen waren die Ausnahme. Nach Eingang einer Sterilisationsanzeige begannen die vom Amtsarzt koordinierten Ermittlungen. Angaben über Anstaltsaufenthalte, Arbeitsstellen, Rentenbezug, Vorstrafen, Süchte sowie »sonstiges Verhalten« wurden aufgenommen, Schulbehörden oder Krankenhäuser konnten gehört werden, aber auch Arbeitgeber. Eine wichtige Funktion kam den Fürsorgerinnen zu (die tatsächlich in aller Regel Frauen waren). Ihr Dienst- und Wohnsitz lag in den Fürsorge­bezirken, sie hatten Basisinformationen zu ermitteln. In ihren Berichten ging es nur am Rande um medizinische Aspekte, gefragt war ihr Urteil über die Lebensverhältnisse und das soziale und familiäre Umfeld. So kamen Akteneinträge zustande wie »leichtsinniger Mensch«, »häufiger Arbeitsstellenwechsel«, »trinkt und feiert nach dem Lohntag«, »Frau ist unordentlich und schmutzig«, »Schwester war 1,5 Jahre im Gefängnis«, »treibt sich mit Männern herum« (vgl. Vossen, S. 92). Erkenntnisse dieser Art sollten ausdrücklich einbezogen werden, um den »Erbwert« der Gesamtfamilie taxieren zu können.
Die Untersuchungen hatten ein amtsärzt­liches Gutachten zur Folge, in das auch die Resultate einer persönlichen Befragung Eingang fanden. Bis 1936 wurde in diesem Zusammenhang ein »Intelligenzprüfungsbogen« ausgefüllt, der bald darauf wegen seiner standardisierten Fragen kritisiert und ausrangiert wurde. An seine Stelle traten Fragen, mit denen allgemein die »Bewährung im Leben« ermittelt werden sollte.
Der Antrag auf Sterilisation wurde von eigens eingerichteten Erbgesundheitsgerichten, mit einem Juristen als Vorsitzenden und zwei beisitzenden Ärzten, beschieden. »Die Erbgesundheitsgerichte fällten Beschlüsse im Fließbandverfahren und meist nach Aktenlage. In den Anfangsjahren wurde nie länger als zehn bis 15 Minuten über einen Fall verhandelt, die vor­liegenden Gutachten wurden in der Regel ungeprüft übernommen.« (Vossen, S. 95) Besonders schnell fertig war man bei den Insassen von Heil- und Pflegeanstalten, da deren Diagnose durch den Anstaltsaufenthalt als gesichert angesehen wurde. Sterilisiert wurde aber nur eine Minderheit der Anstaltspatienten, jene nämlich, bei denen in absehbarer Zeit eine Entlassung oder Beurlaubung anstand.
Als Beschwerdeinstanz wurden Erbgesundheitsobergerichte eingerichtet. Im Lauf der Jahre stieg die Zahl der Beschwerdeverfahren, allerdings waren die Erfolgsaussichten für die Angezeigten gering. Selbstverständlich aber haben auch Gesundheitsämter und andere Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Sterilisationsantrags Beschwerde eingelegt.
Die Gesundheitsämter hatten entscheidende Bedeutung: Amtsärzte sammelten die Anzeigen, steuerten das Verfahren, veranlassten die Ermittlungen, untersuchten die »erbkrankverdächtigen« Personen. Darüber hinaus wirkten Amtsärzte vielfach als Beisitzer in den Erbgesundheitsgerichten mit, schließlich wachten sie über die Durchführung der Beschlüsse und veranlassten gegebenenfalls die Zwangsmaßnahmen. Sie sind nach 1945 nicht zur Rechenschaft gezogen worden, denn die Zwangssterilisierten galten nicht als NS-Opfer und das GzVeN nicht als Nazi-Gesetz.
Weigerten sich die Sterilisanden, der Aufforderung zur Durchführung der Operation Folge zu leisten, wurden sie polizeilich zwangseingewiesen. Ob vorgeladen oder verhaftet, die Eingriffe fanden in öffentlichen Krankenhäusern statt. Mindestens 6 000 Frauen und 600 Männer starben aufgrund von Komplikationen. Die große Differenz (es wurden etwa gleich viele Frauen wie Männer sterilisiert) erklärt sich durch die unterschiedliche Kompliziertheit des Eingriffs.
Der Unfruchtbarmachung folgten häufig Diskriminierungen, denn sie signalisierte dem sozialen Umfeld den nachrangigen Wert dieses Menschen. Mit der Zwangssterilisation einher ging das Verbot, weiterführende Schulen zu besuchen, was die Berufswahl massiv einschränkte. Einen Partner zu finden, war ebenfalls schwierig, da die Ehe mit einem sogenannten erbgesunden Partner verboten war. Die seelische Not lässt sich kaum ermessen: Der Zeugungs- oder Gebärfähigkeit beraubt, stellten sich bei den Betroffenen oft massive Minderwertigkeitsgefühle und Gesundheitsstörungen unklarer Genese ein. Eine Familiengründung als wichtiges Moment bürgerlicher Existenz war verunmöglicht. Auch nach dem Krieg lebten eugenische Denkweisen fort, was sich nicht nur an der vorenthaltenen Entschädigung, sondern auch an der (Selbst-)Abwertung Sterilisierter zeigte. Familien, in denen es einen »Fall« gegeben hatte, verzichteten oft auf Kinder oder deuteten auftretende gesundheitliche oder soziale Probleme im Horizont von deren behaupteter Erblichkeit. Die Prämissen der Erbgesundheitslehre waren von einer fatalen Evidenz.

Medizin und Gesellschaft
Es ist ziemlich schwierig, etwas Präzises darüber zu sagen, wer die etwa 360 000 Menschen waren, die zwangsweise sterilisiert wurden. Das hängt damit zusammen, dass die in das Gesetz eingegangenen Indikationen mit einem Vokabular armiert sind, das von der Logik der Sache nicht mehr allzu viel erkennen lässt.
Etwa 50 Prozent der Sterilisationen wurden Statistiken zufolge mit der Diagnose »ange­borener Schwachsinn« begründet, 25 Prozent mit »Schizophrenie« und etwa 15 Prozent mit »Epilepsie«. Vom Rest die Hälfte (zwischen vier und acht  Prozent) mit »manisch-depres­sivem Irresein«. Aber die Orientierung an diesen im Gesetz aufgeführten Diagnosen ist wenig er­hellend. Sie sind ihrerseits Rationalisierungen, mehr oder minder medizinische Termini, die die eigentliche Systematik verdecken. So verbergen sich hinter der Wendung »angeborener Schwachsinn« eine Fülle unterschiedlicher sozialer Diagnosen, was nicht heißt, dass sie nicht auch in den übrigen Sterilisationsentscheidungen eine Rolle spielten. Neben den bereits erwähnten Patienten, die in eine Anstalt eingewiesen worden waren, aber nicht als andauernd anstaltspflegebedürftig eingeschätzt wurden, galten höchst verschiedene Menschen als »erbkrankverdächtig«. Einige dokumentierte Beispiele können das veranschaulichen.
Der Homosexuelle Otto B. wurde 1941 während einer Internierung im KZ Flossenbürg sterilisiert.
Der ältere Bruder von Anna D. war in der Kommunistischen Partei, die Mutter wurde als »erziehungsunfähig« bezeichnet, ihr wurde das Sorgerecht für die Kinder entzogen. Anna und ihre Schwester kamen ins Kinderheim. Mit 15 wurde sie zwangssterilisiert, mit 18 kam sie als »asoziales Element« in ein geschlossenes Arbeitshaus.
Paul Eggert wurde als sechstes von zwölf Kindern geboren, die Familie lebte in schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Der Vater kümmerte sich nicht genug um die Kinder, und Paul wurde auffällig. Nach der Einschulung musste er auf die Hilfsschule wechseln. 90 Prozent aller Hilfs- und Sonderschüler wurden zwangssterilisiert.
Was galt in solchen Fällen als »erblich«? Die Homosexualität? Die kommunistische Einstellung von Anna D.s Bruder oder die Konstitution der mutmaßlich überforderten Mutter? Die schwierigen sozialen Verhältnisse von Paul Eggert? Oder wurde das Verdikt »erbkrank« gänzlich willkürlich verhängt?
Unangepasste Verhaltensweisen, kognitive Einschränkungen sowie strafrechtlich längst sanktionierte Handlungen verdichteten sich zu einer Art sozialem Tatbestand. Unterlegt wurde eine Mischung aus bürgerlichen Anstandsnormen (insbesondere Frauen wurden Verstöße gegen Sitte und Moral vorgehalten), einem durchaus epocheübergreifenden Arbeitsethos sowie einem autoritär-patriarchalen Familienideal. Liest man in Erbgesundheitsgerichtsbeschlüssen, wird deutlich, dass die Erörterung medizinischer Befunde systematisch in die sozialer und persönlicher Umstände überging. Für die Gesamtheit der unerwünschten Erscheinungen wurde die Kategorie der Minderwertigkeit etabliert. Diese Vokabel diente nicht nur dazu, den Stab zu brechen über bestimmten Personen und Bevölkerungsgruppen, sie diente paradoxerweise auch als Rechtfertigungshilfe. Im Jahrbuch des Wiener Jugendhilfewerks von 1928 heißt es: »Uns droht eine Sintflut der Minderwertigkeit (…). Wo Schwerverbrecher, Sexualverbrecher, Idioten, schwere Epileptiker die menschliche Gesellschaft mit den Produkten ihres Leibes zu gefährden beginnen, dort ist für Belehrung kein Raum, dort sind Taten erforderlich. Sterilisation, unter Umständen Kas­tration werden Gebot der Notwehr.« (zit. n. Weingart u. a., S. 155). Derjenige, der Sterilisation und Kastration fordert, möchte hier nicht als Aggressor erscheinen, eher als mit dem Rücken zur Wand stehend.
Da das Urteil der Minderwertigkeit aus sehr verschiedenen Anlässen ergehen konnte – ein Anstaltsaufenthalt, unehelicher Abkunft, eine Vorstrafe, die falsche sexuelle Orientierung –, haben diese Menschen nichts gemein, außer dass sie Objekte einer eugenischen Sichtweise wurden. Mit dieser sind automatisch abwertende Begriffe und Handlungsweisen im Spiel. Will man deren Suggestionen und damit der Wirkung von Stigmata keinen Raum geben, müssen entweder Lebensgeschichten erzählt werden oder die dem eugenischen ­Vokabular zugrundeliegende Denkungsart samt ihrer wissenschaftlichen Verstrebungen muss rekonstruiert werden.

Generative Ethik
Die Geschichte der Eugenik ist die Geschichte eines internationalen Phänomens, zugleich die Geschichte seriöser Wissenschaftler in demokratischen Gesellschaften. Eugenische Orga­nisationen gründeten sich zwischen 1903 und 1912 in den USA, in Deutschland, England, Schweden, Frankreich und der Tschechoslowakei. Eugenische Forschungsinstitute entstanden – zunächst privat finanziert, dann von Universitäten übernommen: 1905 in London, 1906 in Oslo, 1910 in New York. Staatliche Sterilisationspolitik wurde ab 1920 in Teilen Nordamerikas sowie Mittel- und Nordeuropas umgesetzt. Allerdings erlaubten nur wenige Gesetze die zwangsweise Sterilisation (auch wenn die apostrophierte Freiwilligkeit als problematisch zu beurteilen ist), vor allem aber war die Zahl der Anwendungen der jeweiligen Regelungen ungleich geringer als im nationalsozialistischen Deutschland.
Seit Mitte der zwanziger Jahre wurde Forschung mit eugenischer Zielsetzung auch in Deutschland massiv durch Gelder der Forschungsförderung unterstützt: 1927 wurde in Berlin das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A) gegründet. (3) An Ernst Rüdin, einem der Kommentatoren und Verfasser des GzVeN, kann man die Entwicklung nachvollziehen. Er gehörte 1905 zu den Mitbegründern der »Gesellschaft für Rassenhygiene« und propagierte den Ausschluss der »erblich Belasteten« aus der Fortpflanzung. Er organisierte den »rassenhygienischen« Teil der Internationalen Dresdener Hygieneausstellung (1930) mit, wurde ein international führender Wissenschaftler der psychiatrischen Genetik und noch im Sommer 1939 als Referent auf einen internationalen Kongress nach Edinburgh eingeladen.
Prämisse der Eugenik war die Bestimmung unerwünschter gesellschaftlicher Phänomene als Degeneration. Armut und Kriminalität, die Verbreitung von Krankheiten (vor allem Geschlechtskrankheiten), Alkoholismus und Prostitution, all das wurde als Symptom biologischen Niedergangs aufgefasst. Dieser Niedergang – die »Entartung der Kulturmenschheit« – wurde aus der Darwinschen Selektionstheorie deduziert: Auslese sei das strukturierende Prinzip der Evolution, im zivilisatorischen Prozess werde Auslese geschwächt und so unablässig das kollektive Erbgut geschädigt, daraus re­sultiere ein Kollaps der Höherentwicklung. Eugenische Maßnahmen seien erforderlich, um die Katastrophe abzuwenden und den Degenerationsprozess aufzuhalten. Die anvisierte Rettung basierte auf der Umkehrung des deduktiv gewonnenen Katastrophenszenarios, der Wiedereinführung eines dem »natürlichen Ausleseprozess« gleichkommenden Verfahrens. Die Eugenik sieht sich also selbst als Anwältin der Natur – und der widerspricht man nicht. Diese Vorstellung ist gegen Einwände weitgehend abgeschottet und vermochte daher zu mobilisieren. Eugenische Maßnahmen im Rahmen der Sozial- und Gesundheitspolitik wurden von Vertretern unterschiedlichster politischer Milieus propagiert, von den Sozialisten über die Liberalen bis zu den Nationalkonservativen. Die verschworene Gemeinschaft der frühen Tage wuchs zu einer sozialpolitischen Bewegung heran. Die Zahl der allgemeinverständlich gehaltenen Bücher war groß wie auf keinem anderen Gebiet. Angesichts des starken Drangs nach Reden, nach Bildern, Parolen und Ausstellungen scheint es, als sei die Eugenik eine Art public viewing gewesen, das viele Menschen für ein Spiel mit klaren Regeln zusammenholte und ihre Beteiligung einforderte.
Die Eugenik propagierte zwei Mittel, um den prognostizierten Niedergang aufzuhalten. Der als hochproblematisch begriffene Geburtenrückgang erfordere eine pronatalistische Politik – ein Thema mit enormer Bedeutung im eugenischen Schrifttum. Zugleich, und das ist gleichsam das Kerngeschäft, gelte es, die Vererbung »schlechter Erbmasse« abzuwenden. Je nach dem, wie sie zu rassenanthropologischen Fragen standen, traten Eugeniker auch für Vorkehrungen gegen »Rassenvermischung« ein. Hier gab es jedoch keine Einigkeit, wie überhaupt die Kategorie der Rasse Gegenstand fortwährender Erörterung war, denn Eugenik hieß in Deutschland häufig »Rassenhygiene«. Die programmatischen Unterschiede sind marginal. Man verstand, was man tat, als angewandte Wissenschaft, huldigte der drohenden Katastrophe und kultivierte das Selbstverständnis einer sozialpolitischen Bewegung von Professionellen – von Genetikern, Psychiatern, Sozialhygienikern, von Juristen, Soziologen, Volkskundlern.
Zentrale Bedeutung kommt dem Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Phänomenen und der Fortpflanzung zu. Eugenik behauptet: Gesellschaftliche Probleme seien begründet in der Erbsubstanz derer, die sie haben. Das sozial Unerwünschte – Krankheiten, Süchte, Armut, Kriminalität – ist mit biologisch defizitärem Erbgut korreliert. Dann und nur dann erscheint der staatliche Eingriff in die Reproduktion, die Steuerung der Fortpflanzung, legitim und vor allem zielführend.
Nun gab es zu keiner Zeit einen genetischen Forschungsstand, der dergleichen nachgewiesen hätte. Man wird das Phänomen Eugenik also nicht entschlüsseln, indem man ein altes Biologiebuch zu Rate zieht. Mit der Entwicklung der Genetik hat es nur so viel zu tun, wie deren Erkenntnisse einen Spielraum dafür ließen. Im KWI-A war man zu dem Schluss gekommen, dass die Mechanismen der Vererbung beim Menschen komplizierter seien, als die Mendelschen Regeln verhießen hatten. Gen und Merkmal ließen sich nicht eins zu eins auf­einander beziehen. Daher wurden über die Erblichkeit von Krankheiten und Störungen eifrig Hypothesen aufgestellt. Gerade der ambitionierte Ansatz also, der über dominante und rezessive Erbgänge hinauswollte, eröffnete der Willkür Raum.
Da genetische Nachweise nicht gelangen, sollten die Vererbungsregeln und -wahrscheinlichkeiten aus erbbiographischen, in der Konsequenz aus statistischen Erhebungen gewonnen werden. Die Bevölkerung, aufgefasst als Fortpflanzungsgemeinschaft, wurde möglichst flächendeckend erfasst. Daten wurden ge­sammelt, um das zu fundieren und in seinen Abläufen aufzuklären, was vorausgesetzt war. Mit Unterstützung des Sächsischen Justizministeriums wurde noch vor 1933 eine »Kartei der Minderwertigen« angelegt, in der im Lauf von zehn Jahren 140 000 Personen registriert wurden. Im Nationalsozialismus wurden im Rahmen der »erbbiologischen Bestandsaufnahme« in noch größerem Umfang Daten erhoben. Die Ausforschung der privaten Lebensverhältnisse infolge der Sterilisationsanzeigen diente also gleichermaßen zur Munitionierung des Antrags wie zur Fundierung der Leitthese, die sich genetisch nicht fundieren ließ.
Den Eugenikern war das durchaus klar. Der bereits erwähnte Ernst Rüdin hatte im Mai 1933, als das GzVeN formuliert wurde, öffentlich die Frage aufgeworfen, an welchen Merkmalen »die gesund veranlagten von den krank veranlagten Erbtypen« unterschieden werden könnten. Das Vererbungsgesetz des Menschen zu entschlüsseln sei nicht leicht. Über das Streben dahin und die Aufklärung der Details der Erbgänge dürften »die sofortigen praktischen Bedürfnisse des leidenden und hoffenden Volkes« nicht vergessen werden: »Unser Volk könnte über dieses Warten zugrundegehen.« Das katastrophische Szenario rückte an die Stelle, an der Nachweise fällig gewesen wären. Einige Jahre später, in einer der letzten der zahlreichen Verordnungen zum GzVeN vom Juli 1940, heißt es dann lapidar: »Der Begriff ›erb­gesund‹ ist ein relativer Begriff« (zit. n. Schmacke/Güse, S. 39).
Wenn man der Auffassung ist, dass die eugenische Konzeption wissenschaftlichen Mindestvoraussetzungen nicht genügt, dann ist einzig die Frage angemessen, wie Biologen, Populationsgenetiker, Anthropologen etc., wie die scientific community in den gegebenen gesellschaftlichen Konstellationen funktionierte, wie sie in eine historische Rolle eintreten konnte, ohne mit ihrem wissenschaftlichen Selbstverständnis in Konflikt zu geraten. Sie als Pseudo- oder Nazi-Wissenschaft abzutun, weicht dieser Fragestellung aus.
Man wird nicht fehlgehen, wenn man das Erstarken der eugenischen Bewegung mit ökonomischen und gesellschaftlichen Krisenphänomenen und ihren Folgen in Verbindung bringt. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und dann noch einmal in den späten zwanziger Jahren geriet die soziale Fürsorge in freier wie in öffentlicher Trägerschaft in ­finanzielle Bedrängnis. Diese Krise der öffentlichen Wohlfahrtspflege eröffnete der Eugenik Perspektiven. Ihr Programm lag in der Logik einer biologischen Lösung sozialer Probleme. Sie vermochte einer aggressiven Sozialpolitik eine Legitima­tion zu verleihen, die es ermöglichte, den Ressentiments gegen bestimmte Bevölkerungsteile freien Lauf zu lassen. Das Problem der Armut ist in dieser Lesart keines der Verteilung von Gütern und Ressourcen, sondern eines des indi­viduellen wirtschaftlichen Scheiterns. Das Problem der Prostitution ist keines der sexuellen Ökonomie – zu der auch die Nachfrage und die staatlichen Regelungen zählen –, sondern eines der Prostituierten. Das Problem der Obdach­losigkeit ist keines der Verstädterung oder des Wohnungsbaus, sondern eines der mangelnden Festigkeit, der Arbeitsmoral. (4)
Die Eugenik machte aus Fragen der Reproduktion eine Sache staatlichen Interesses. Zugleich argumentierte sie in ihren Kampagnen ethisch, sie vertrat eine generative Ethik. Der Wert und die Rechte des Individuums wurden relativiert zugunsten zukünftiger Generationen eines abgegrenzten Gattungs- oder Volkskörpers. Gegenstand der eugenischen Anstrengungen sind die Erbqualitäten späterer Generationen unseres Gemeinwesens. (Es ist zunächst gleichgültig, ob das nun »Rasse« genannt wird oder nicht.) Als in Treysa der »Central-Ausschuss der Inneren Mission« im Mai 1931 eine »Evangelische Fachkonferenz für Eugenik« veranstaltete, postulierte eine prominente Schar evangelischer Kirchenvertreter die »sittliche Pflicht zur Sterilisierung«, und zwar aufgrund einer »Verantwortung, die uns nicht nur für die gewordene, sondern auch für die künftige Ge­neration auferlegt ist« (zit. n. Sandner, S. 240). Die generative Ethik hatte die Diakonie erreicht.

Die Entstehung der »Blutsgemeinschaft«
Eine sozialreformerische Bewegung unter Beteiligung angesehener Bürger und Wissenschaftler stigmatisierte auf diese Weise Teile der Bevölkerung als minderwertig und sozial ­untragbar. Das schuf die Voraussetzung für die Realisierung der rassebiologischen Weltanschauung. Dieser lagen zwei Drohszenarien zugrunde, die »Gefahren der Rassenmischung« und der drohende »Verfall der Rasse« von Innen. Die Antwort der Nationalsozialisten auf dieses Szenario: hier das Verbot von Ehen zwischen Juden und Nicht-Juden (und seit Kriegsbeginn die »Polenstrafrechtsverordnung«), dort die Zwangssterilisationen der sogenannten Erbkranken. Im Vorwort zum Kommentar des GzVeN heißt es, sein Zweck sei es, »den Volkskörper zu reinigen und die krankhaften Erban­lagen allmählich auszumerzen« (zit. n. Schmuhl, S. 83). Mittels der eugenischen Maßnahmen wurde auf blutige Weise eine Differenz erzeugt zwischen »rassisch« Akzeptablem und Inak­zeptablem. Damit hat sich der Nationalsozialismus als Regime konstituiert, das bereit ist, das Phantasma von einer Volksgemeinschaft, die über alles in der Welt steht, dieser Welt aufzuzwingen. Denn wie dergleichen mit der Wirklichkeit eines modernen Industriestaates zusammengehen sollte, war nun wirklich ein Rätsel. Der »vorkonstitutionellen, außerstaat­lichen Konstruktion des Volkes als ›natürlicher Blutsgemeinschaft‹ (…) ist die rassistische, antisemitische Grenzlinie untrennbar eingelassen« (Wildt, S. 354). Aber weder die Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte noch die brutale Repression gegen politische Gegner ermöglichte dem Regime zu Beginn seiner Herrschaft, einen Schnitt zu machen und so dem Volkskörper Wirklichkeit zuwachsen zu lassen. Und dafür war es zunächst einerlei, dass durch die Sterilisationen nicht eine einzige Erbkrankheit zurückgedrängt wurde. (Man kann so viele Menschen sterilisieren wie man will: Seelische Not, Lernschwierigkeiten, Süchte, deviantes Verhalten verschwinden nicht.) Entscheidend ist, dass die Etablierung eines gesetzesförmigen Verfahrens, in dessen Folge Tausende von Menschen auf OP-Tische gezwungen wurden, eine neue Wirklichkeit geschaffen hat und die Idee von Blut und Boden nicht mehr als Hirngespinst erschien. Dieser spezifischen Übernahme der eugenischen Konzeption entsprachen die exzessive Anwendung, die demonstrative Radikalität, der Furor der hohen Zahl und der Stolz darauf.
Gleichwohl wurde diese Praxis in die Hände der noch nicht völlig gleichgeschalteten Justiz (und nicht einer Parteidienststelle) gelegt. Durch die Beteiligung der Justiz wurde der Öffentlichkeit, vor allem den starken Eliten in Bürokratie und Militär, aber auch dem Ausland signalisiert, dass das neue Regime nicht regellos und willkürlich vorging. Der vermeintliche Nachteil einer Anbindung des Sterilisationsprogramms an die Justiz (Verfahrensförmigkeit, Instanzenweg) wurde zum Vorteil: Die beteiligten Richter wurden systematisch geschult und mit der nationalsozialistischen Rechtsauffassung vertraut gemacht. Mit Hilfe der Erbgesundheits­gerichtsverfahren wurde die Rassenideologie in Justiz und Gesundheitsbürokratie hineingetragen. Die beteiligten Juristen hatten sich einen Denkstil anzueignen, bei dem nicht mehr ein Sachzusammenhang und ein Streitfall mit gegnerischen Parteien im Zentrum stand, sondern die Geschicke der biologischen Gemeinschaft. Ähnliches galt für die Anstaltsärzte, die eine ganze Reihe der potentiellen Sterilisanden zur Anzeige bringen sollten und auch als Gutachter oder Beisitzer im Verfahren teilhaben würden. Vor allem galt es für die Amtsärzte, denen eine Schlüsselrolle zukam. Die genannten Personenkreise verrieten dann auch ohne große Widerstände Grundsätze ihrer Professionskultur. Der NS-Staat zeigte sich mit diesen Schulungen auch bei den Eugenikern erkenntlich. Sie hatten professionspolitische Erwartungen an die Nationalsozialisten gerichtet und sahen sich nicht getäuscht (vgl. Schmuhl, S. 83) (5). Von einem Missbrauch der Wissenschaft durch die politischen Machthaber kann keine Rede sein.

Von der Eugenik zur »Euthanasie«
Verbreitet ist die Ansicht, dass die nationalsozialistische »Euthanasie« eine radikalisierte Eugenik sei, dass beides von derselben Denkungsart geleitet ist und aufeinander aufbaut. Dafür spricht neben einigen personellen Kontinuitäten, neben einer gewissen Überschneidung ­­der Opfergruppen auch die prominente Rolle von Medizinern.
Die Einwände sind jedoch gewichtig: Es gibt keinen Automatismus, der von einer eugenisch angeleiteten (Zwangs-)Sterilisationspraxis zur Ermordung von Anstaltsinsassen führt, denn dergleichen ist aus den Ländern, die sowohl der Eugenik wie der (Zwangs-)Sterilisation Raum gaben, nicht überliefert. Das, so die Folgerung, ist auch nicht verwunderlich, denn Eugenik, aufgefasst als eine Sozialtechnik der Regu­lierung des generativen Verhaltens, zielt per Definition auf die qualitative Beeinflussung und Steuerung der Nachkommenschaft. Selbst ihr brutalstes Mittel bleibt innerhalb dieser Logik. Die Folgerung lautet: Eugenik und »Euthanasie« bezeichnen durchaus Verschiedenes, stehen in keinem notwendigen Folgezusammenhang. Dazu passt, dass die während der dreißiger Jahre zusammengetragenen Daten der erbbiologischen Erfassung tatsächlich keine Relevanz für die Bestimmung der Mordopfer während der »Aktion T4« (der systematischen Ermordung von Anstaltspatienten in sechs Tötungsanstalten zwischen Januar 1940 und August 1941) hatten, dass deren Organisationsstruktur eine andere war und der Faktor »erbkrank« bei den Selektionskriterien keine Rolle mehr spielte.
Trotzdem gibt es Stimmen, die auf einem engen Zusammenhang beharren: Die biologische Terminologie und das Denkmodell, das sie zum Ausdruck bringt, legt radikale Lösungen nahe: »Entartung« ist kein regulier- oder korrigierbarer Vorgang. Indem soziale Verhältnisse unter ein solches Vokabular gezwungen werden,­stehen bestimmte Konsequenzen im Raum. Wer dem Glück – und das ist in dieser Logik das Glück der erbbiologisch bestimmten Gattung – im Weg steht, kann nicht die Anerkennung von Individualrechten erhoffen; genau das wurde in den Kampagnen der Eugenikbewegung immer wieder betont. Wenn aber über Jahre in Bildern, Texten und Tönen der biologisch Minderwertige Gestalt gewinnt, wenn die ungeheure Gefahr beschworen wird, die von ihm ausgeht, wenn eine Unmenge Affekte mobilisiert werden und dazu eine Praxis institutionalisiert wird, die diese ins Recht setzt, dann braucht sich niemand zu wundern, wenn diese Affekte ein nächstes Objekt finden.
Zu diesem auf einen performativ entfesselten Prozess zielenden Argument, bei dem noch die Eigendynamik der nazistischen Bewegung mitgedacht werden muss, kommt ein weiterer Umstand hinzu. Im Fortgang der erbbiologischen Praxis hatte sich bei einer Reihe von Landesversorgungsbehörden – etwa beim Bezirksverband (BV) Nassau, bei der Provinzialbehörde Westfalen, in Oldenburg – unter dem Dach der »Rassenhygiene« eine kaltschnäuzige ökonomische Logik etabliert, die ungeniert die Dezimierung von Anstaltspatienten als mindestens hinzunehmendes, aber im Grunde erstrebenswertes Ziel ausgab.
Mitte der dreißiger Jahre waren beim BV Nassau bisherige Höchstbelegungszahlen hinfällig. Bei den Heizkosten, bei Strom und Wasser ­sowie der Beköstigung wurden Sparpotentiale ausgemacht. Die von den Anstalten in den ­anstaltseigenen Gütern produzierten Lebensmittel mussten abgegeben werden, die Anstaltsunterbringung war nun sogar billiger als die Familienpflege. Schon vor 1940 stiegen die Sterberaten in den Anstalten an (vgl. Sandner, ­­S.297). Fritz Bernotat, der verantwortliche Anstaltsreferent im BV Nassau, übernahm von der Eugenik nur noch das Postulat der Minderwertigkeit und die Notwendigkeit zur radikalen Konsequenz. Die Eugenik wurde gleichsam eingedampft, die Anstaltsinsassen wurden nicht mehr als Träger eines problematischen Erbes behandelt, sondern ausschließlich als bevölkerungspolitischer Kostenfaktor. Als ab Ende 1939 im Umfeld einer hitlernahen Parteidienststelle, mit Unterstützung anerkannter Ordi­narien der Psychiatrie und weiterer Professoren sowie eines Vertreters aus dem Reichsinnenministerium der Genozid an Kranken und Behinderten organisiert wurde, traf man in diversen Fürsorgeverwaltungen auf Personen, die bereit waren, den erbbiologischen Überbau abzustreifen und die gegenüber Kranken und Behinderten mobilisierte Verachtung zur letzten Konsequenz zu treiben.
Die Auslöschung der Anstaltspatienten ließ arbeitsfähigere sowie weniger kranke und weniger störende Patienten am Leben, aber nicht, weil man aus ihnen das neue Geschlecht hervorzüchten wollte. Ihr vermeintlicher erbbiologischer Status hatte am Ende überhaupt nicht mehr interessiert: Kalkulatorische Vernunft und das Phantasma völkischer Größe gingen eine direkte Verbindung ein. Die Eugenik hatte ihren Dienst getan.

Literatur

Henry Friedlander: Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, Berlin 1997
Peter Sandner: Die Verwaltung des Krankenmords. Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus, Gießen 2003
Norbert Schmacke/Hans-Georg Güse: Zwangssterilisiert. Verleugnet – Vergessen. Zur Geschichte der national­sozialistischen Rassenhygiene am Beispiel Bremen, Bremen 1984
Hans-Walter Schmuhl: Erbgesundheitswissenschaftliches »Briefing« der Juristen. Die Rolle des Kaiser-Wilhelm-­Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, in: Justiz und Erbgesundheit. Zwangssterilisa­tion, Stigmatisierung, Entrechtung. Hg. v. Justizministerium des Landes NRW. Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen, Band 17, Düsseldorf 2009, S. 83–92
Johannes Vossen: Erfassen, Ermitteln, Untersuchen, Beurteilen. Die Rolle der Gesundheitsämter und ihrer Amtsärzte bei der Durchführung von Zwangssterilisationen im Nationalsozialismus, in: Lebensunwert. Zerstörte Leben. Hg. v. Margret Hamm. Frankfurt/Main 2005, S. 86–97
Peter Weingart u. a.: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt/Main 1988
Michael Wildt: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919–1939, Hamburg 2007

Anmerkungen

(1) Zwangssterilisierte wurden jedoch nie als NS-Opfer gemäß Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt.
(2) Es gibt einen engen organisatorischen, logistischen und personellen Zusammenhang zwischen »Euthanasie« und Judenmord, vgl. hierzu Friedlander.
(3) Die Kaiser-Wilhelm-Institute sind die Vorläufer der Max-Planck-Institute.
(4) Vererbung meint ein materielles Verhältnis. Güter und Unternehmen werden vererbt. Auch Armut wird vererbt, allerdings nicht genetisch. Die Eugenik dreht damit die Richtung der Anklage um: Es gereicht der Eigentumsordnung durchaus zum Vorwurf, dass mit der Geburt im Armenviertel über Lebenschancen entschieden ist, entsprechend ungerecht erscheinen die Privilegien, gewonnen durch eine Geburt in der Oberstadt. Aber es berechtigt die guten Bürger zur Notwehr, wenn Armut ein Erbschaden ist, der sich auszubreiten droht. Die Anhänger von Thilo Sarrazin sehen das heute noch so.
(5) Neben ca. 500 Juristen und einer Reihe Anstaltspsychiater wurden ca. 1 000 Amtsärzte (aber auch Biologielehrer und Pfarrer) von den Größen des Fachs in die Erbbiologie eingeführt.