Haialarm! Einige Arten sterben aus

Die Finne bleibt dran

Wie eine neue Studie zeigt, gibt es weltweit offenbar viel weniger Weiße Haie als bisher angenommen. Mehrere Haiarten sind vom Aussterben bedroht.

Es kommt nur auf das richtige Design des Neoprenanzugs an und der Surftrip vor Australien verwandelt sich vom lebensgefährlichen Abenteuer zum Wellenvergnügen. Das versprechen ­zumindest der australische Unternehmer Craig Anderson und sein Partner Hamish Jolly, die vor wenigen Tagen neue Neoprenanzüge präsen­tierten, die sie zusammen mit dem Meeresinstitut der University of Western Australia (UWA) entwickelt haben. Sie basieren auf Erkenntnissen über das visuelle System von für Menschen potentiell gefährlichen Haiarten und dienen zur Tarnung oder Abschreckung. Die erfolgreichen Tests mit wilden Haien bezeichnete Jolly als »außergewöhnlich«. Während ein blau-weißer »Tarnanzug« den Träger mit dem Meer verschwimmen lassen soll, signalisiert ein schwarz-weiß gestreifter ­Anzug Gefahr. Dieses Muster tragen oftmals giftige oder ungenießbare Fische. Der an der Studie beteiligte Professor Shaun Collin von der UWA hat das Verhalten der Haie und die Rolle ihrer verschiedenen Sinne erforscht und hofft dadurch auf einen größeren Schutz für Menschen – aber auch für Haie.
Denn seit September vergangenen Jahres hat Australien die aktive Jagd auf Weiße Haie freigegeben. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren fünf tödliche Haiattacken auf Menschen in einem Jahr. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum starben über 1600 Menschen im australischen Straßenverkehr. Norman Moore vom australischen Fischereiministerium erklärte damals vor laufenden Kameras, wie mit Ködern versetzte Widerhaken den Hai im offenen Meer ertränken sollen, da Haie zur Atmung ständig in Bewegung bleiben müssen. Badespaß geht vor Artenschutz. Der derzeitige Premierminister des Bundesstaats Western Australia, Colin Barnett, ließ im Januar 2013 verlauten, er sei nicht zögerlich, was die Jagd auf Weiße Haie anbelangt. »Ich bin kein Experte, aber es scheint mir, dass die Haipopulation zugenommen hat«, wird er auf news.com.au zitiert. Tatsächlich ist die Population aber stark zurückgegangen.

In einer aktuellen Studie des Dyer Island Conservation Trust (DICT) aus Südafrika wird von weit weniger als den im anderen Schätzungen ver­anschlagten 3 000 bis 5 000 Weißen Haien weltweit ausgegangen. Um nahezu die Hälfte müssten diese Zahlen der Studie zufolge reduziert werden, obwohl der Weiße Hai eigentlich zu den bestgeschützten Haiarten zählt. Er wird seit Jahren auf der roten Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN als »gefährdet« eingestuft. Im Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) im Anhang II aufgelistet, benötigt man für ihn wie für viele andere Haie Ein- und Ausfuhrgeneh­migungen, deren Vergabe den Bestand nicht gefährden darf. Australien, gleichzeitig eines der Länder mit der höchsten Population an Weißen Haien, gehörte zuvor zu den wenigen Ländern, die das Tier aktiv geschützt haben. Andere regionale Bestände, etwa die Weißen Haie im Mittelmeer, gelten unter Forschern und Naturschützern sogar als »stark gefährdet«.
Die Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) hat daran mitgewirkt, dass der Weiße Hai und viele andere Arten in den Anhang II des CITES aufgenommen wurden. Für den Artenschutzexperten des WWF, Volker Homes, steht fest: »Handel nur, wenn genügend Tiere vorhanden sind!« Nachhaltigkeit sei wichtig, Australiens Vorgehen bezeichnet er im Gespräch mit der Jungle World als »falschen Weg«. Der Weiße Hai wird immer seltener.
Während der Weiße Hai als Trophäe und wegen der von ihm vermeintlich ausgehenden Gefahr jahrzehntelang gejagt wurde, wird mit anderen Arten im großen Stil Handel getrieben. Dabei ist seit Jahren das sogenannte Finning Gegenstand heftiger Kritik. Beim Finning werden die Flossen, die auf dem asiatischen Markt als Delikatesse und Heilmittel gelten, vom lebenden Hai abgetrennt. Die verstümmelten Tiere werden ins Meer zurückgeworfen und ersticken qualvoll. Dass diese Prozedur schon seit Jahren die von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) aufgestellten Regeln für verantwortungsbewussten Fischfang verletzt, hat insbesondere Länder wie Japan und China kaum interessiert. Dort boomt der Handel mit den geschmacksneutralen und medizinisch wirkungslosen Haifischflossen.

Als bei der letzten Artenschutzkonferenz im März 2013 in Bangkok weitere fünf Haiarten unter Schutz gestellt wurden, leisteten mehrere Länder unter Führung von Japan und China heftigen Widerstand. Die IUCN schätzt, dass jährlich zwischen 23 und 73 Millionen Haie getötet werden. Andere Organisationen wie Sea Shepherd sprechen sogar von 100 Millionen getöteten Haien. Der Handel findet nicht selten im Verborgenen statt, halblegal bis illegal. Der Dokumentarfilmer Rob Stewart berichtete, dass er während seiner vier Jahre währenden Dreharbeiten zu dem mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm »Sharkwater« oft nur knapp mit dem Leben davon gekommen sei. Gefahr habe ihm aber nicht von Haien, sondern von Menschen aus der Haiindustrie gedroht, die ihn an Recherchen hindern wollten.
Der Handel ist lukrativ, auch in Europa. Über Jahre gab es hier Schlupflöcher und insbesondere der Blauhai, bekannt durch das charakteristische Umkreisen seiner Beute, machte einen erheblichen Anteil der rund 100 000 Tonnen Hai aus, die jährlich in Europa angelandet wurden. Erst im November 2012 schob die EU mit dem BPrinzip der »Ganzkörperanlandung« dem verschwenderischen Finning einen Riegel vor. In Zukunft dürfen Haie nur als Ganzes eingeführt werden, wodurch das übermäßige Töten von Haien wegen der Flossen aus Kapazitätsgründen eingeschränkt wird. Die Shark Alliance begrüßte diesen Vorstoß als »wichtigen Meilenstein« zur Beendigung des Hai-Finnings.
Der Artenschutz gestaltet sich mühsam, insbesondere dort, wo kaum etwas über Haie bekannt ist. Allein in der Nord- und Ostsee findet man etwa 30 Arten, von denen nicht wenige bedroht sind. Ein Beispiel wäre der Dornhai, der bis zu 1,20 m groß wird. Die IUCN stuft ihn im Nord­ostatlantik, dessen Nebengewässer Nord- und Ostsee sind, als »vom Aussterben bedroht« ein. Aber selbst bedrohte Arten wie der bis zu zwölf Meter große, Plankton fressende Riesenhai könnten ­einem in der Nordsee begegnen. Haie, von denen es über 400 Arten gibt, finden sich fast in allen Meeren, sogar im eisigen Polarmeer, wo lang­same Sieben-Meter-Riesen wie der Grönlandhai leben. Forscher nehmen an, dass er bis zu 200 Jahre alt werden kann.

Das Bild, das von Haien gezeichnet wird, ist zwar schon differenzierter, aber nicht weniger effekthascherisch geworden. Als im Mai ein totes Fünf-Meter-Exemplar des in der Tiefsee lebenden Schlafhais in den Hafen von Mallorca geschleppt wurde, war die Aufregung groß. Die Zeitung Bild zitierte verängstigte Urlauber und bediente alte Klischees. Dass Menschen in den meisten Fällen für Haie nicht als Nahrungsquelle in Frage kommen, da Tiere wie der Weiße Hai fettreiche Beute wie tote Wale, Seerobben und Seelöwen bevor­zugen und andere Arten sich von deutlich kleineren Lebewesen ernähren, ist zwar bekannt, wird aber unterschlagen. Fast jeder Angriff eines Hais, über den berichtet wird, wird mit dem Bild eines Weißen Hais illustriert, obwohl diese in den meisten Fällen gar nicht als Angreifer in Frage kommen. Kaum eine Art kommt so oft in den Medien vor wie der Weiße Hai. Aufgrund von Bissfunden an toten Walen schätzt man, dass die Tiere bis zu acht Meter lang werden können. Die bisher größten gefangenen Exemplare sollen 6,40 bis 7,14 Meter gemessen haben. Solche Zahlen beflügeln die Phantasie und führten in den Siebzigern zu grotesken Vorstellungen von Haien wie in Steven Spielbergs »Der Weiße Hai«. Peter Benchley, der mit »Jaws« die Buchvorlage für die Filme lieferte, bereute dies später und setzte sich für den Schutz der Tiere ein. Die durch diese Filme ausgelöste Anti-Hai-Hysterie wirkt bis heutenach.
Doch Haie sind faszinierende Tiere und wichtig für das ökologische Gleichgewicht. Die marinen Ökosysteme sind hochkomplex und für Ver­änderungen anfälliger als die sich verändernden Ökosysteme an Land. Wenn Stewart in seinem Film feststellt, dass das Tier, das wir am meisten fürchten, auch jenes ist, ohne das wir nicht leben könnten, da ohne es die Meere stürben, ist diese Ansicht genauso episch wie nüchtern.