Neues vom Klimawandel

Der Tiefsee sei Dank

Die Veränderungen des Klimas werden immer besser verstanden. Neue Forschungsergebnisse zum Klimawandel geben jedoch keine Entwarnung, höchstens gibt es etwas mehr Zeit für Gegenmaßnahmen.

Es klang nach Erleichterung. Spiegel Online schrieb Ende Mai: »Studie entschärft extremste Klima­szenarien«, und die Zeit: »Die Forscher nehmen Abstand von Horrorszenarien.« Der wissenschaftliche Artikel, auf den sich die Meldungen bezogen, gibt allerdings wenig Anlass zu Erleichterung. Worum ging es? Der Ausgangspunkt waren die Temperaturen von 2001 bis 2010. Dieses Jahrzehnt war das wärmste seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen, vermutlich das wärmste seit über 400 Jahren, aber die globalen Temperaturen – genauer die Temperatur der bodennahen Luft und des Oberflächenwassers – stiegen kaum noch weiter an.
Da gleichzeitig der Anteil der Treibhausgase in der Atmosphäre weiter gestiegen ist, wurde vermutet, dass das Klima auf den Anstieg doch nicht so stark reagiert, wie von den meisten Forschern angenommen wird. Ein Forscherteam um Alexander Otto von der Universität Oxford testete daraufhin eine Reihe von Klimamodellen mit den neuesten Daten. Das Ergebnis war eine Bestätigung der langfristigen Prognosen und eine leichte Korrektur bei den mittelfristigen Aussichten.

Die Forschungsgruppe errechnete zwei Kenngrößen, die ausdrücken, was passiert, wenn sich der CO2-Anteil in der Luft gegenüber vorindustriellen Zeiten verdoppelt: erstens die »Gleichgewichts-Klimasensitivität« (equilibrium climate sensitivity). Sie entspricht der endgültigen Temperaturerhöhung durch eine verdoppelte CO2-Konzentration. Hier ergab sich keine wesentliche Änderung. Wenn sich der CO2-Gehalt verdoppelt hat und dann gleichbleibt, würde sich die globale Temperatur langfristig bei zwei Grad mehr einpendeln. Allerdings ist hier, wie immer bei solchen Prognosen, die mögliche Schwankungsbreite groß: Mit 95prozentiger Wahrscheinlichkeit läge die Temperaturerhöhung zwischen 1,2 und 3,9 Grad.
Die zweite und meistens zitierte Kenngröße ist die »vorübergehende Klimaantwort«. Sie sagt aus, wie stark sich die Temperatur schon erhöht hat, wenn ein verdoppelter CO2-Gehalt erreicht ist. Das wird bei der gegenwärtigen Entwicklung etwa 2050 der Fall sein. Dann wird es wahrscheinlich 1,3 Grad wärmer sein, glaubt man der Studie. »Das liegt im Rahmen der Vorhersagen der Klimamodelle«, sagt Alexander Otto, »wenn auch nicht am oberen Rand.« Bei unvermindertem CO2-Ausstoß wird die Temperatur am Ende des Jahrhunderts auch nach dieser Studie weit über zwei Grad gestiegen sein – die Obergrenze, auf die sich die UN-Staaten 2010 geeinigt haben.
Das Ergebnis ist keine Sensation und kein Grund zur Entwarnung. Spiegel Online korrigierte denn auch einen Tag nach der ersten Meldung seinen Text und schrieb: »Diverse Medien, darunter Spiegel Online, hatten in ersten Meldungen den Eindruck erweckt, die neue Studie korri­giere die bisherigen Berechnungen zur Erderwärmung generell nach unten. Das ist jedoch nicht der Fall.«

Eine Entwarnung ist auch in Zukunft nicht zu erwarten. Zwar wird es absolute Gewissheit in der Klimavorhersage wohl nie geben: Das komplexe System Erde lässt sich nicht vorherberechnen wie die Flugbahn einer Rakete. Aber die Methoden und die Messdaten werden besser und die generelle Entwicklung des Klimas kann mit immer größerer Sicherheit vorhergesagt werden.
»Klimaforschung ist gerade besonders spannend«, sagt Björn Stevens vom Max-Planck-Institut für Meteorologie, der an der Studie beteiligt war. »Die Messungen des globalen Wärmeaustauschs und der Luftzusammensetzung haben in den letzten zwei Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Da wir außerdem die Modelle weiterentwickelt haben und sie besser prüfen können, sind wir rapide vorangekommen, vor allem in der Frage, wie die Erde auf den Anstieg der Treibhausgase reagieren wird.«
Es ist wenig überraschend, dass sich mit der Verfeinerung der Messungen und Simulationen die extremsten Vorhersagen als unwahrscheinlich herausstellen. Gleichzeitig wird immer sicherer, dass der potentiell katastrophale menschengemachte Klimawandel stattfindet. Geheimnisvolle Selbstheilungskräfte des Erdklimas ließen sich bisher nicht entdecken.
Die Botschaft der Studie von Otto, Stevens und anderen ist: keine Entwarnung, aber vielleicht ein paar Jahre mehr Zeit. Aber wenn sie Recht behalten: Wem haben wir diese Zeit zu verdanken? Vermutlich der Tiefsee. Das zumindest ist die Antwort eines Forschungsteams um Magdalena Balmaseda vom European Centre for Medium-Range Weather Forecasts, in einer anderen, ebenfalls im Mai veröffentlichten Studie.
Bekannt war schon bisher, dass die Ozeane etwa 90 Prozent der zusätzlichen Energie, die der Treibhauseffekt erzeugt, aufnehmen. Unklar ist allerdings, wie lange. Ein weiterer Teil lässt Gletscher und das Eis in der Arktis schmelzen. Nur der Rest erwärmt die Luft. Schon deshalb ist es irreführend, sich nur auf die Oberflächentemperaturen zu konzentrieren. Dass diese in den vergangenen Jahren kaum gestiegen sind, bedeutet deshalb auch keine »Pause im Klimawandel«. Allein das unbestreitbare Abschmelzen des Eises in der Arktis – und das nach neuen Studien ebenfalls schwindende Eis in der Antarktis – zeigt, dass der Klimawandel sich fortsetzt.
Trotzdem fehlte bisher eine genaue Erklärung für den Verbleib eines Teils der Energie. Die Studie von Balmaseda und anderen rechnet jetzt vor, dass diese »fehlende Energie« sehr wahrscheinlich tiefere Schichten des Ozeans erwärmt hat. Möglich sind solche Berechnungen, weil seit einigen Jahren Bojen über die Weltmeere verteilt eingesetzt werden, die automatisch tauchen und auch in über 2 000 Metern Tiefe die Temperatur messen. Die Studie ist ein weiteres anschauliches Beispiel für die Fortschritte in der Klimaforschung.
Für die Frage, wie die Menschheit mit den Erkenntnissen der Klimaforschung umgeht, sind die neuen Studien aber nur bedingt interessant. Denn Sensationen sind nicht dabei, nur das Verständnis für die Entwicklung des Klimas wird besser, exaktere Messungen und verfeinerte Modelle machen die Prognosen genauer. Im Ergebnis gibt es an den wesentlichen Aussagen immer weniger Zweifel: Die Erde erwärmt sich. Die Haupt­ursache dafür sind die Abfallprodukte menschlichen Wirtschaftens, vor allem das Kohlendioxid, das beim Verbrennen von Kohle, Öl und Gas entsteht. Und wenn sich daran nicht schnell etwas ändert, werden sich die Lebensbedingungen auf unserem Planeten stark verändern. Mehr und stärkere Stürme, Fluten und Dürreperioden sind vermutlich schon jetzt spürbare Vorboten dieser Entwicklung.

Wesentlich weniger Fortschritte als die Forschung macht dagegen die Klimapolitik, nämlich keine. Der Ausstoß von Klimagasen wächst ungebremst. Vor einigen Jahren konnte man noch davon aus­gehen, dass der steigende Ölpreis die Nutzung erneuerbarer Energieträger vorantreibt. Aber in Zeiten des Frackings ist vorerst wieder fröhliches Verbrennen angesagt. Die neue Bohrmethode erschließt vor allem in den USA große Mengen Schiefergas und hat den Ölpreisanstieg dort gestoppt. Der Gaspreis hat sich in den USA in den vergangenen Jahren sogar halbiert.
Erdgas erzeugt beim Verbrennen weniger CO2 als Kohle oder Öl. Die USA rühmen sich deshalb, dass sie mit der neuen Methode das Klima schützen. Aber die Rechnung geht nicht auf: Durch den Gasboom in den USA wird erstens Kohle wegen der gesunkenen Binnennachfrage wieder billiger und deshalb anderswo um so stärker zur Energieerzeugung eingesetzt. Zweitens entweichen bei der Gasförderung erhebliche Mengen Methan ungenutzt. Und Methan ist deutlich klimaschädlicher als CO2.
Eine verlässliche Software zur Simulation der Weltgesellschaft gibt es nicht. Aber ganz ohne Computersimulation lässt sich sagen: Wenn sich die Trends in Forschung, Politik und Wirtschaft fortsetzen, dann wissen wir im nächsten Jahrzehnt noch genauer, wie sich das Klima ändern wird, trotzdem wird weiter ungebremst CO2 in die Luft geblasen, und wer es sich leisten kann, baut höhere Dämme und sturmfeste Häuser.