Der soziale Wohnungsbau braucht neue Ideen

Ohne Banken, aber mit Balkonen

Schon einmal kamen Ideen für die praktische Umsetzung eines neuen sozialen Wohnungsbaus aus Österreich.

Es klingt wie eine soziale Wohltat: Der Berliner Senat legt vom 1. April an in den Hochhaussiedlungen des Sozialen Wohnungsbaus die Obergrenze der Kaltmiete bei 5,50 Euro netto pro Quadratmeter fest. Was dem Einzelnen eine Entlastung bringt, veranschaulicht gleichzeitig den Kollaps der sozialen Sicherungssysteme. Denn die Berliner Jobcenter zahlen Hartz-IV-Beziehern, die die Mehrheit der Bewohner in diesen Siedlungen bilden, maximal 4,91 Euro Nettokaltmiete. Richtig gerechnet, da stimmt was nicht.
Inzwischen ist aber längst nicht mehr nur die Miethöhe das Problem, sondern es ist auch schwierig, überhaupt eine Wohnung zu finden. Allein vier Millionen Wohnungen für Arme fehlen in Deutschland, stellte der Deutsche Mieterbund voriges Jahr fest. Helfen kann da nur Neubau in großem Maßstab, tönen wie aus einem Munde Sozialverbände, Bauindustrie und politische Parteien. Doch selbst quasi pleite, kann die Politik nur auf private Investoren hoffen. Und die können nach aktuellen kapitalistischen Kriterien angeblich nicht unter einer Kaltmiete von 8,50 Euro netto pro Quadratmeter bauen. Ein guter Teil des öffentlichen Wohnungsbestands wurde in den vergangenen Jahrzehnten privatisiert. Da die wenigen verbliebenen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften nach denselben kapitalistischen Kriterien organisiert sind, kommen sie zu keinen anderen Zahlen.
In ihrer Verzweiflung lädt die politische Klasse immer öfter die kleinen Wohnungsbaugenossenschaften, die sozialen Stiftungen oder das Mietshäuser-Syndikat zu Veranstaltungen ein. Doch abgesehen davon, dass diese meist nur Lösungen für ein alternativ-mittelständisches Milieu bieten können, ist die finanzielle Dimension der sich stellenden Aufgabe mehr als drei Nummern zu groß. Allein für den Großraum Berlin veranschlagen Experten den Finanzbedarf auf rund 20 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren.
Dabei fiel der Blick auch auf Österreich. Schon einmal, in den zwanziger Jahren, hat die dortige Sozialdemokratie vorgemacht, wie man innerhalb von vier Jahren ein Wohnungsproblem beherzt anpacken kann, und das »Rote Wien« geschaffen. Heute sind in Wien immer noch 43 Prozent der Wohnungen dem freien Markt entzogen. Die ­öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften sind selbstverständlich gemeinnützig, in Deutschland wurde dies Ende der achtziger Jahre abgeschafft. Genau diese Gemeinnützigkeit erlaubt Experimente mit staatlichen Niedrigzinsen und »revolvierenden Fonds«, ohne gegen das EU-Wettbewerbsrecht zu verstoßen.
Kürzlich vergab das »European Housing Forum« der EU einen »Best Practice«-Preis nach Salzburg. Dort wurde auf dem Grundstück des ehemaligen städtischen Gaswerkes, mitten in der Altstadt, ein neuer sozialer Wohnungsbau mit 292 Wohneinheiten errichtet. Finanziert ohne Banken, aber mit Balkonen. Eine langfristige Nettokaltmiete von 4,78 Euro pro Quadratmeter ist sicher nicht revolutionär, aber wenigstens solide Sozialdemokratie.