Schlafen kann man, wenn alle anderen tot sind

Wacht auf, Verdammte!

Schlaf wird völlig überbewertet. Das Leben findet wann anders statt.

Der schwäbische Pop-Theoretiker Thomas Venker lässt sich wie folgt zitieren: »Schlafen kann ich, wenn alle anderen tot sind.« Ich mochte diese Aussage des dauerwachen Geistes sofort. Denn ihr wohnt die feste Überzeugung inne, dass es gar nicht erstrebenswert ist, sich ständig auf diese heimelige Privatheit im Bett zurückzuziehen. Beziehungsweise dass es einfach nicht drin ist. Weil man sich ja um den Mist kümmern muss, den die ganzen Schläfer um einen herum mal wieder angezettelt (oder auch ausgelassen) haben.

Frühjahrsmüdigkeit, Sommerträgheit, Herbstdepression, Winterschlaf. Entlang dieser Eckpunkte lässt es sich schön durchs Jahr schnarchen. Und gerade auch im herrlichen linken Milieu gilt zur Not immer noch jedes taumelnde Versagen als »Lob der Faulheit«. Na, dann mal Licht aus!
» … müssen wir bekannt geben, dass die Revolution, von der wir hier bei der Jungle World sowie deren Käufer und Abonnenten so sinnstiftend träumten, auch dieses Jahr ausblieb. Mögliche Gründe hierfür finden Sie in einschlägigen Splitter-Blogs und abenteuerlichen Sektiererthesen.« Nichts anderes werde ich mir in der Key-Speech auf der diesjährigen Jungle World-Weihnachtsfeier doch wieder anhören müssen. Obwohl eigentlich klar sein dürfte, wie es wirklich heißen muss. Und zwar: »Verschlafen wurde« statt »Ausgeblieben ist«. Aber statt das Bowling-Funsport-O-Drome in Lichtenberg (falls die Feier dieses Jahr wieder dort ist) daraufhin zum konspirativen Bienenstock des Umsturzes zu machen, holen die Berufsrevolutionäre drei große Blättchen raus. Es darf gekifft werden.
Kiffen! Winterschlaf! Deadline verpasst! Ich könnte mich aufregen. Und warum auch nicht? Schließlich schlafe ich selten und habe daher viel mehr Zeit auch für solchen Scheiß. Und jetzt bitte kein Mitleid. Denn was glaubt Ihr Träumerle, wie zum Beispiel Euer geliebter Dietmar Dath jeden Monat einen schlauen Bestseller nach dem anderen auf 800 Seiten Bibelpapier raushaut? Ja, glaubt Ihr, der geht ins Bett? Wohl kaum! Dennoch läuft man bei diesem Thema immer wieder gegen die Wand. Zu leicht kann einem von der Gegenseite der Schlafsäcke zweierlei vorgeworfen werden:
1. Zu viel Aktivität sei verdächtig. Man unterwerfe sich doch nur dem neoliberalen Prinzip des Selbst- und Andereschindens. Optimierung gleich Ausbeutung. Stichwort: Unternehmersau.
2. Oder man sei eine von Audiolith im Allgemeinen und Egotronic im Besonderen aufgehetzte hedonistische Drogenbimmelbahn, die sich drei Tage wach ins diskurspolitische Abseits ravet.
Dabei sei an den großartigen Film »Spun« erinnert. Jason Schwartzman und Brittany Murphy auf Crystal Meth. Nie mehr schlafen. Bei Schwartz­man treten aufgrund dessen bereits erhebliche Manierismen zutage. Er geht sich ständig durchs Haar, kaut auf den Lippen, unsteter Blick. Ich finde das sexy. So, jetzt ist es raus. Und ich habe auf dem diesjährigen Sonntag des »Melt!« auch sehr gern Torsun Burkhardt von der bereits genannten Band Egotronic auf der Lesebühne angekündigt. Torsun, der an diesem Punkt des Festivals bereits seit Freitag on war. Und der sein Programm dann in der Hälfte der Zeit schaffte – weil er so extrem schnell las. Das Publikum und ich haben nicht schlecht gestaunt. Das wäre einem mit all den post-irgendwas Kiffer-Acts, die stöhnen, weil sie einmal im Monat vor Mittag aufstehen müssen, nicht passiert.

Und überhaupt gibt es gegen die sich selbst aus der Pflicht entlassende Wohlfühl-Winterschlaf-Pose die viel besseren Argumente:
1. In seinem Leben atmet der Mensch während des Schlafens zweiundneunzig Gramm Insekten und Spinnen ein.
2. Ist man kein Baby, sieht man beim Schlafen ziemlich fürchterlich aus.
3. Ein Kopfkissen voller Sabber und Tränen.
4. Schlafen heißt Aufgeben.
5. Zu viel Schlaf fördert Depressionen.
6. Im Schlaf knirscht man mit den Zähnen, daraus ergeben sich auf Dauer schwerwiegende Rücken- und Nackenprobleme. Vielschläfer erkennt man im Straßenbild daher bereits am ex­trem schlechten Gang. Stichwort: »Himmel, hab ich Mitleid mit dem Buckligen dahinten. Trotz seines sexy Schlafzimmerblicks.«
7. Irgendwas mit Mundgeruch.
Alles überzeugende Argumente. Aber leider keine Chance gegen die Ersatzreligion: Müdigkeit. Inklusive ihrem saisonal unvermeidlichen Götzen: dem Gejammer nach Winterschlaf.
Alles klar, ich habe schon verstanden, mit Euch ist auch weiterhin nicht zu rechnen. Gute Nacht!

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der Musikzeitschrift »Intro«. Von ihm ist gerade ein Roman mit dem Titel: »Kein Schlaf bis Langenselbold« (Ventil-Verlag) erschienen.