Der Niedergang der Piratenpartei

Nicht links, nicht vorne

Die Vorbereitungen auf den Bundestagswahlkampf stehen an, die Umfragewerte sind lausig und immer noch versuchen Rechte, ihren Einfluss in der Partei auszubauen. Die Piratenpartei kämpft mit großen Problemen.

Eine Fraktionsmitarbeiterin, die Beschneidungen auf Twitter als »fremdländische« Gebräuche bezeichnet; ein Mitglied der Piratenpartei, das versucht, Anonymous gegen diejenigen Parteimitglieder aufzuhetzen, die sich dagegen wehren, dass bei einer Acta-Demonstration die rechtspopulistische »Partei der Vernunft« als Veranstalter auftritt; ein ehemaliger Pressesprecher, der sich auf seiner Facebook-Seite über das »geile neue Album« der Band Freiwild freut, die wegen der ehemaligen Mitgliedschaft ihres Sängers in der rechtspopulistischen Südtiroler Partei »Die Freiheitlichen« und in einer Rechtsrock-Band überaus umstritten ist – anders als die Rede von der »Hetze der Systempresse« gegen die Piratenpartei suggeriert, wird längst nicht jeder Vorfall öffentlich skandalisiert.

Gleichwohl reagiert die Partei allmählich dünnhäutig auf Berichte über Skandale. Denn das große Ziel, der Einzug in den Bundestag, scheint nach neuesten Umfrageergebnissen längst nicht so sicher erreicht werden zu können, wie bisher angenommen wurde. Dabei sehen sich zahlreiche Parteimitglieder offenbar als zukünftige Abgeordnete, schon seit Wochen verkünden einige immer wieder, kandidieren zu wollen. Die meisten dürften jedoch nicht einmal Chancen haben, auf einem aussichtsreichen Listenplatz zu landen. Und das nicht nur, weil sie offensichtlich nicht wegen des Parteiprogramms eingetreten sind, sondern weil sie endlich, endlich im Bundestag sitzen wollen, egal für wen. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass die meisten Listenplätze der Parteiprominenz vorbehalten sein werden. Unter norddeutschen Parteimitgliedern gilt es beispielsweise schon lange als ausgemacht, dass die ehemalige Politikerin der Grünen, Angelika Beer, als eine der Spitzenkandidatinnen in den Wahlkampf ziehen soll.
Dass die Bundestagswahl und die damit verbundene Hoffnung für viele Parteimitglieder im Vordergrund steht, führt jedoch auch dazu, dass – eigentlich entgegen dem Selbstverständnis als Mitmachpartei – die Einflussmöglichkeiten von Mandats- und Posteninhabern überschätzt und die von Mitgliedern mit zweifelhaften Anschauungen unterschätzt werden. Immer wieder kam es in jüngster Zeit vor, dass rechtspopulistische, frauenfeindliche oder antisemitische Äußerungen Einzelner damit verharmlost wurden, dass die betreffende Person keine Parteikarriere anstrebe. Kein Mandat und keine Position anzustreben, bedeutet nämlich nicht, die Politik der Partei nicht maßgeblich mitbestimmen zu wollen. Über die Software Liquid Feedback sind derzeit einige Versuche solcher Mitglieder zu beobachten, die eigenen Ansichten in Anträgen für Parteitage durchzusetzen.
Es sei »entsprechend sehr wichtig, auf Hintergründe von Anträgen und Antragstellern aufmerksam zu machen«, betont das Vorstandsmitglied Klaus Peuckert im Gespräch mit der Jungle World. Grundsätzlich lasse es sich wegen der »offenen Strukturen der Piraten nicht vermeiden, dass Menschen mit ›abseitigen‹ Vorstellungen diese Strukturen missbrauchen oder dies versuchen«. Die Partei müsse daher dauerhaft eine klare Haltung hierzu einnehmen. Persönlich erscheint dies Peuckert als das beste Mittel, »um deutlich zu machen, wofür die Piraten stehen und was sie, bei aller Heterogenität, für unvereinbar mit dem politischen Wertefundament der Partei halten«.

Ein Mitglied der Piratenpartei, das ausdrücklich nicht kandidieren wollte, aber gleichwohl versuchte, die Politik zu bestimmen, ist Markus Roscher. Er war von 1998 bis 1999 stellvertretender Bundesvorsitzender des »Bundes freier Bürger – Offensive für Deutschland« (BFB). 1994 trat die rechtspopulistische Kleinstpartei zur Bundestagswahl an und wurde dabei von Jörg Haider und der FPÖ unterstützt.
In Berlin machte die Partei vor allem mit ihrem Kampf gegen das Holocaust-Mahnmal Schlagzeilen, angesichts dessen sie den »Machtanspruch jüdischer US-Organisationen« beklagte. »Es gab mehrere Demonstrationen, unter anderem eine des BFB, an der ich auch teilnahm«, erinnert sich Roscher im Gespräch mit der Jungle World. Aus heutiger Sicht habe sich das Mahnmal bewährt, sagt er weiter und fügt hinzu, er habe nichts gegen das Gedenken an den Holocaust. »Wir brauchen die Erinnerung, um zukünftigen Generationen klarzumachen, dass solche Verbrechen nie wieder geschehen dürfen, egal an wem und aus welchen Gründen. Nur dieses konkrete Mahnmal gefiel mir damals nicht, weil seine Initiatoren es als kollektiven Vorwurf instrumentalisierten. Von beiden Seiten war es eine bescheuerte Debatte.«
Roscher vertrat als Anwalt unter anderem die Bekleidungsmarke Thor Steinar, in einem Interview mit der Jungen Freiheit nannte er die Aufhebung des Verbots des Firmenlogos durch das Brandenburgische Oberlandesgericht im September 2005 »ein längst überfälliges Urteil in einem skandalösen Verfahren gegen ein Unternehmen, das zu keiner Zeit beabsichtigte, Politik zu machen, sondern nur modische Bekleidung für junge Menschen herstellen will«. Über die Kampagne gegen die Marke sagte er, der Aufruf, entschiedener gegen Thor Steinar vorzugehen, entlarve sich als »eine weitaus größere Gefahr für die Demokratie: die aggressive Linke, die meint, aufgrund des ›Mainstreams‹ jedes Mittel anwenden zu können, um gegen politisch Andersgesinnte vorzugehen«. Er werde im Hinblick »auf mediale Angriffe und Unterstellungen« gegen Thor Steinar »alle rechtlichen Schritte ausschöpfen«.
Mittlerweile zeigt sich Roscher reumütig: »Ich selber habe einen langen politischen Weg hinter mir, habe Fehler gemacht, mich geirrt, Dinge falsch eingeschätzt. Aber ich war und bin immer bereit, aus Fehlern zu lernen.« Den Berliner Appell würde er heutzutage »nicht mehr unterschreiben«. In dem 1994 unter anderem von Rainer Zitelmann initiierten Aufruf gegen eine »Verharmlosung der SED-Diktatur« hieß es unter anderem: »Wir setzen uns ein für eine Rückkehr zum anti­totalitären Konsens und wenden uns entschieden gegen Bestrebungen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch eine ›antifaschistisch-demokratische‹ Ordnung zu ersetzen.«
Mit seinem Antrag wollte Roscher in der Piratenpartei ebenfalls Grundsätze durchsetzen: Die Partei solle sich als »Überpartei« begreifen, die sich »außerhalb des bestehenden Rechts-Links-Schemas positioniert«, und sich weder »gegenüber bestimmten Parteien« noch Meinungen abgrenzen. Auch eine Abgrenzung gegenüber »allen politisch extremen Formen« sei nicht erforderlich. Der Antrag wurde inzwischen zurückgezogen. Gerüchten zufolge soll Roscher aus der Partei austreten wollen. Auf »der jüngsten LMV in Berlin waren Roschers verquere Forderungen um Lichtjahre nicht mehrheitsfähig«, stellt Peuckert fest. Und er betont: »Die Erfahrung zeigt, dass so mancher sich mit einem gewissen Zeitablauf genügend selbst diskreditiert.«

Ein Problem aber bleibt: Trotz eindeutiger Parteitagsbeschlüsse fallen immer wieder Mitglieder mit rassistischen oder antisemitischen Äußerungen auf. Dies dürfte auch daran liegen, dass das Motto der Anfangsjahre, »Nicht rechts, nicht links, sondern vorne«, von Rechten als Einladung verstanden wird. »Die früher weit verbreitete Position, dass menschenfeindliche Äußerungen unter dem Deckmantel einer falsch verstandenen Meinungsfreiheit akzeptiert und aus ›piratigen Gründen‹ quasi unwidersprochen bleiben müssen, ist gefühlt nur noch bei wenigen Einzelnen vertreten«, sagt Peuckert.
Er gibt aber zu, dass mit dem Slogan viel zu häufig noch gemeint sei: »Nicht links, nicht rechts, aber vor allen Dingen nicht links!« Dieses Prinzip werde oft unreflektiert angewandt. »Teile der Partei müssen auch noch lernen, dass die Ablehnung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit keine Frage der Einordnung in eine parlamentarische Sitzordnung ist, sondern schlicht und einfach Grundhaltung dieser Partei sein muss«, sagt Peuckert.