Die Suche nach einem atomaren Endlager

Suche ohne Ende

In Deutschland geht die Suche nach einem Endlager für Nuklearabfälle weiter. Bei der Debatte um ein entsprechendes Gesetz geht es jedoch weniger um wissenschaftliche Erkenntnisse als um Wahlkampf.

Es klang wie eine Verheißung, was Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) kürzlich der Öffentlichkeit mitteilte: »Erkundungsarbeiten im Salzbergwerk Gorleben gestoppt«, lautete die Schlagzeile in Zeitungen, Fernsehen und Internet. Einer genaueren Betrachtung hält die Euphorie allerdings nicht Stand. Gorleben soll keineswegs als möglicher Standort eines Endlagers für radioaktiven Müll aufgegeben werden. Röttgen hat als Umweltminister und Spitzenkandidat seiner Partei in Nordrhein-Westfalen wohl nur versucht, sich mit dieser Meldung politisch zu profilieren.
Seit einem ersten gemeinsamen Treffen am 9. Februar 2012 verhandelt der Umweltminister mit den Landespolitikern über den Inhalt eines geplanten Gesetzes für die Endlagersuche. Darin soll vor allem festgeschrieben werden, nach welchen Kriterien der Standort für ein atomares Endlager ausgesucht werden soll. Eines ist für die schwarz-gelbe Bundesregierung allerdings klar: Gorleben muss als »Referenzstandort« in die Suche einbezogen bleiben. Nach ihrer Auffassung wäre es also möglich, dass sich Gorleben in einem zukünftigen Auswahlverfahren als geeignet erweist. Es darf vermutet werden, dass dies auch Ziel des Suchverfahrens der Regierung ist. Angesichts dessen, dass der Salzstock Assse, der schwach- und mittelradioaktiven Müll enthält, gerade am Absaufen ist, ist diese Haltung an Realitätsverweigerung kaum noch zu übertreffen. Ein Salzstock mit Wasserkontakt – wie in Gorleben – ist für ein nukleares Endlager nicht geeignet (Jungle World 8/12). Der Bund für Umwelt und Naturschutz forderte daher erneut, den »untauglichen« Salzstock im Wendland endgültig aufzugeben.

Nach den neusten Plänen des Umweltministers soll der Salzstock in Gorleben nun bis zur Entscheidung über den Standort ohne weitere Erkundungen offen gehalten und durch ein Forschungslabor ergänzt werden. In Gorleben sollen die Erkundungsarbeiten nur fortgeführt werden, falls das nötig wird, um den Salzstock mit anderen Standorten zu vergleichen. Fragt sich nur, was das Sensationelle an diesem Plan ist und worin der Fortschritt bestehen soll.
Die energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der nicht an den Verhandlungen beteiligten Partei »Die Linke«, Dorothée Menzner, bemerkte trocken: »Der Standort Gorleben muss prinzipiell aufgegeben und geschlossen werden. Als Vergleich kann er allenfalls insofern dienen, als sich anhand dieses Beispiels illustrieren lässt, was man bei einer Endlagersuche alles falsch machen kann.« Auch für die grüne Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Eveline Lemke, steht fest, dass Gorleben im Suchgesetz nicht zum »Referenzstandort« für andere Erkundungen in Deutschland gemacht werden dürfe. Lemke, die die Verhandlungsgruppe von SPD und Grünen anführt, meinte, ein Forschungslabor, das es nur in Gorleben gebe, erwecke den gegenteiligen Eindruck. Ebenfalls bedenklich sei, dass auch die vom Umweltministerium genannten Sicherheitskriterien für Endlager nach ihrer Bewertung hinter die von der rot-grünen Koalition bis 2005 erarbeiteten Vorgaben zurückfallen. Die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms sprach von einer »bösen politischen Täuschung«: »In Gorleben wird längst nicht mehr erkundet, sondern nur bewertet, und genau das soll fortgesetzt werden.«

Für Gorleben spricht einzig und allein die Tatsache, dass hier bereits 1,6 Milliarden Euro für den Bau eines atomaren Endlagers ausgegeben wurden. Offenbar sind die Atomkonzerne nicht bereit, diese Investition kampflos preiszugeben. Zumal ihnen der geplante Atomausstieg in Deutschland schon Investitionen in alternative Methoden der Stromproduktion aufgenötigt hat. Außerdem mussten sie aufgrund des im Juni 2011 beschlos­senen Ausstiegs aus der Laufzeitverlängerung bereits acht alte Atommeiler abschalten, die ihnen bis dahin hohe Gewinne beschert hatten.
Bisher enthält der aktuell debattierte Gesetzesvorschlag über die Endlagersuche keine Regelung darüber, wer die Kosten für das Suchverfahren tragen soll. Damit besteht das Risiko, dass sich die Atomkonzerne diese Aufgabe, der jeder verantwortliche Betreiber einer Industrieanlage nachkommen muss, vom Steuerzahler finanzieren lassen. Wenn ein anderer Standort als Gorleben ausgewählt wird, entstünden durch ein aufwen­diges Genehmigungsverfahren zusätzliche Kosten.
Röttgen steht bei den Verhandlungen stark unter Druck, denn er muss rechtzeitig einen breiten politischen Konsens herstellen. Die Minister aus Bund und Ländern wollten sich bereits am 11. März einigen. Die darauf folgende Entscheidung des Bundeskabinetts war schon für vorvergangene Woche vorgesehen, konnte aber nicht mehr auf die Tagesordnung gesetzt werden, weil das geplante Treffen zwischen Röttgen und der Opposition nicht stattfinden konnte. Es gab weiterhin zu viele Differenzen über Details des Gesetzes. Die Bundesregierung will das Thema atomares Endlager unbedingt aus dem niedersäch­sischen Wahlkampf heraushalten. Dort finden im Januar 2013 Landtagswahlen statt und der von Ministerpräsident David McAllister (CDU) geführten Landesregierung droht der Verlust der Mehrheit. Daher will Röttgen schon bis zum Sommer ein Rahmengesetz beschließen, das die einzelnen Verfahrensschritte festschreibt. Die beteiligten Parteien drängen angeblich alle darauf, diese knappe Frist bis zur Sommerpause des Bundestages zu nutzen, um den nach Röttgens Auffassung »jahrzehntelangen Kampf« um die Endlagerung des Atommülls zu beenden.

Zusätzlich unter Druck steht Röttgen, weil er als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen antritt. Falls er Erfolg hat, könnte er sich für schwarz-grüne Bündnisse der Zukunft empfehlen, gegebenenfalls auch auf Bundesebene. Gescheiterte Verhandlungen oder zu forsche Forderungen an die Atomindustrie kann er sich im Wahlkampf nicht erlauben. Bei einer deutlichen Niederlage dürfte er auch seinen Status als aussichtsreicher Kandidat für die Zeit nach Angela Merkel in der CDU verlieren. Gleichzeitig sieht sich Röttgen gezwungen, auch die Interessen der Atomindustrie zu vertreten. Ihren öffentlichen Widerstand könnte er im Wahlkampf nicht gebrauchen und höchstwahrscheinlich wurden beim Ausstieg aus der Laufzeitverlängerung auch weitere, nicht öffentliche Vereinbarungen getroffen.
Der Umweltminister und die Atomindustrie wollen die Debatte um das Endlagersuchgesetz offenbar auch dazu nutzen, die Kompetenzen des Bundesamtes für Strahlenschutz zu beschneiden. Demnach soll ein neues, »unabhängiges« Bundesinstitut für Endlagerung unter Aufsicht des Umweltministeriums geschaffen werden, dessen Kompetenzen der rot-grünen Opposition allerdings zu weit gehen. Röttgen ist bereit, auch Kandidaten aus deren Reihen für Posten als Präsidenten und Direktoren zu berücksichtigen. Die Stellen sollen nach seinen Worten »pluralistisch« besetzt werden. Dennoch erklärte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bisher, die SPD werde eine Zerschlagung des hochqualifizierten Bundesamtes für Strahlenschutz nicht mitmachen. »Wir werden der Atomlobby nicht gestatten, durch die Hintertür wieder ins Geschäft zu kommen«, sagte er dem Magazin Focus. Man wird sehen, was am Ende der Verhandlungen von diesem Versprechen übrigbleiben wird.
Die Anti-Atomkraft-Bewegung hat auch beim Thema Endlager mit ihrem Slogan recht: »Atomausstieg ist Handarbeit!« Ohne Widerstand der Bevölkerung, größere Transparenz und breite demokratische Beteiligung bleibt die Leben gefährdende Atomenergie ein Spielball ökonomischer und politischer Interessen. Die Folgen lassen sich an Atomkatastrophen wie in Fukushima ablesen. Das wissen auch die Vertreter der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, die sich gegen ein Endlager in Gorleben engagieren. Die Nachricht vom möglichen Stopp der Erkundungsarbeiten im Salzstock kommentierte deren Sprecher Wolfgang Ehmke äußerst nüchtern, aber treffend: »Mit Gorleben behielte die weiße Landkarte bei der Endlagersuche den großen schwarzen Fleck, doch der muss weg!«