Über die Sanierung der West-LB 

Teure Kaffeefahrt

Die Frist, die Deutschland von der EU-Wettbewerbskommission für einen Sanierungsplan der West-LB gesetzt hatte, ist abgelaufen. Über die Zukunft der maroden Landesbank wird die EU-Institution voraussichtlich im Juli entscheiden.

Als im Frühjahr 2007 die Finanzkrise begann, klagten viele, dass auf den internationalen Finanzmärkten eine Art Casinomentalität geherrscht habe. Schenkt man hingegen der Anekdote Glauben, die der US-amerikanische Wirtschaftsjournalist Michael Lewis 2010 in seinem Buch »The Big Short« erzählt, erinnerte die Atmosphäre, wenn es um die Geschäfte der nordrhein-westfälischen Landesbank ging, eher an eine Kaffeefahrt als an ein Casino. Lewis berichtet, dass der New Yorker Börsenhändler Greg Lippmann auf die Frage, wer denn so verrückt gewesen sei, für die Wertpapiere zu zahlen, mit denen er im Auftrag der Deutschen Bank gehandelt hatte, geantwortet habe: »Düsseldorf. Stupid Germans. They take rating agencies seriously.«

Die West-LB benötigte in den vergangenen Jahren 3,4 Milliarden an staatlicher Unterstützung, Mitte Februar lief die Frist ab, die die EU-Wettbewerbskommission der deutschen Regierung gegesetzt hatte, um einen Sanierungsplan für die marode Bank vorzulegen. Nach Ansicht der EU-Kommission waren die Staatshilfen für die West-LB zu hoch, sie könnte nun eine Rückzahlung der Beihilfe fordern. Dem Bund, dem Land Nordrhein-Westfalen und den Sparkassen gelang es jedoch nicht, den geforderten verbindlichen Sanierungsplan zu erstellen. Stattdessen schickten die zerstrittenen Parteien am 15. Februar, kurz bevor um Mitternacht die Frist auslief, drei Ideen nach Brüssel. Vorgeschlagen wurden der Verkauf der Landesbank, eine weitere Verkleinerung und der Umbau zu einer »Verbundbank« der nordrhein-westfälischen Sparkassen. Die EU-Kommission wird bis zum 20. Juli über die Zukunft der Landesbank ent­scheiden.
Ein Verkauf der gesamten West-LB erscheint abwegig. Friedrich Merz, der im Auftrag der Bundesregierung in den vergangenen Monaten Investoren suchte, sprach zwar mehrfach von »hochwertigen Angeboten«, er konnte aber letztlich keinen Interessenten für die West-LB finden.
Einer der Topmanager der West-LB, der Finanzvorstand Hans Jürgen Niehaus, kündigte Ende Januar seinen Rückzug aus dem Vorstand an. »Auf eigenen Wunsch und in bestem Einvernehmen«, wie der Aufsichtsrat erklärte. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass die Zerschlagung der Bank auf die eine oder andere Weise näher rückt.
Im vergangen Jahr sagte der Vorstandsvorsitzende Dietrich Voigtländer noch, er glaube, bei der Sanierung der Bank »mit dem Besenrein weitgehend fertig« zu sein.

In die Erste Abwicklungsanstalt (EAA), die Bad Bank der West-LB, wurden Wertpapiere zum Nominalwert von 77 Milliarden Euro ausgegliedert. Und die West-LB und die EAA wurden vom Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen mit Kapital versorgt. Mitte Februar erklärte Steffen Kampeter (CDU), der parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, dass die Bundesregierung nicht bereit sei, weitere Hilfen zu zahlen. »Der Bund hat bereits einen substantiellen materiellen Beitrag geleistet. Er hat sich mit einer stillen Einlage von drei Milliarden Euro an der West-LB beteiligt. Die drei Milliarden könnte der Bund auch zurückfordern. Er tut es aber nicht, sondern ist bereit, sie als haftendes Kapital in die Bad Bank zu übertragen. Daraus weitere Ansprüche abzuleiten, ist falsch.« Die Angst, dass die Abwicklung der West-LB hohe Kosten mit sich bringt, ist groß.
»Die West-LB braucht ein Sanierungs- und Stabilisierungskonzept, mit dem Schaden vom Sparkassensektor abgewendet wird«, sagte Roland Claus, der für die Linkspartei im Haushaltsausschuss des Bundestages sitzt. Claus befürchtet, dass die Sparkassen strukturell in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. »Sie sind zu wichtig für die Kreditversorgung des Mittelstandes und der Bevölkerung vor Ort, als dass man sie für die Roulette-Spielereien der West-LB bluten lassen darf.«

Schon 2005, bevor es zum großen Crash auf den Finanzmärkten kam, wollte sich Ludwig Poullain, der erste Vorstandsvorsitzende der 1969 gegründeten West-LB, in einer Rede, die er für Manfred Bodin, den scheidenden Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Landesbank halten wollte, zum »Sittenverfall« im Landesbankenwesen äußern. Der damals 84 Jahre alte Poullain durfte seine Rede allerdings nicht halten, sein Redemanuskript wurde in der FAZ abgedruckt. Poullin klagte, dass es um die Tugend des rheinischen Kapitalismus geschehen sei: »Mich dünkt, dass an die Stelle der Pflicht (…) die Unverbindlichkeit gerückt ist. An die Stelle des sich auch dem Wohle dieses Landes verpflichtet fühlenden ›Bankiers‹ ist der ›Banker‹ getreten.«
Von der Gründung bis zum Jahr 1977 hatte Poullain die West-LB zu einer der größten deutschen Banken aufgebaut, noch 1985 war die West-LB mit einer Konzernbilanzsumme von 142,1 Milliarden Mark das drittgrößte deutsche Kreditinstitut. Die West-LB wickelte die Fusionen von RWE und VEW, von Hoesch und Krupp und von Horten und Kaufhof ab. Sie zerlegte die Hannoveraner Preussag AG in den Tourismuskonzern Tui und die Salzgitter AG. Dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder missfiel der nordrhein-westfälische Einfluss. Man habe »gelegentlich den Eindruck eines nordrhein-westfälischen Imperialismus im Zusammenhang mit der Geschäftspolitik der West-LB«, stichelte Schröder. Während der Finanzkrise kam der rasante Abstieg. Nach der Bayern-LB und der HSH Nordbank war sie die dritte Landesbank, die Hilfen aus dem »Banken-Rettungspaket« des Bundes in Anspruch nehmen musste. 2008 machte die West-LB einen Verlust von 530 Millionen Euro, trotz der finanziellen Unterstützung durch den Bund, das Land und die nordrhein-westfälischen Sparkassen.

Nach der Finanzkrise steht der öffentliche Bankensektor vor einem Umbruch. Als die Landesbanken den sogenannten Stresstest im vorigen Sommer nur mit mäßigem Erfolg bestritten, sagte Leo Dautzenberg, damals finanzpolitischer Sprecher der CDU, für die Krise der Landesbanken gebe es nur zwei Lösungen: eine Fusion aller Landesbanken oder eine Verschmelzung mit den Sparkassen. Die West-LB gehörte zu den drei Landesbanken, die den »Stresstest« nur knapp bestanden. Trotz verzweifelter Partnersuche scheiterten bisher sämtliche Fusionsversuche. Weder die Landesbank Baden-Württemberg noch die Landesbank Hessen-Thüringen wollten fusionieren, im November vorigen Jahres beendete auch die Bayern-LB die Fusionsgespräche mit der West-LB. Im Hinblick auf die Sparkassen sprach Dautzenberg über »eine vertikale Integration, damit die Landesbanken auch Zugang zum Privatkundenmarkt« erhielten. Eine Überlegung, die der in Brüssel eingereichten Idee der »Verbundbank« ähnelt.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung wartet derzeit auf ein Urteil des Landesverfassungerichts, ob der Nachtragshaushalt verfassungswidrig ist. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) begründet die Höhe der Neuverschuldung auch mit den Kosten, die dem Land voraussichtlich durch die Abwicklung der West-LB entstehen. Das Gericht wird voraussichtlich am 15. März eine Entscheidung über den Landeshaushalt treffen.