Max Müller im Gespräch über die neue Platte der Band Mutter

»Ich liebe Wohlfühlmusik«

Max Müller, Gründer und Sänger der Band Mutter, im Gespräch über Schützenfeste, den deutschen FDP-Rock, das Beamtentum in der Popmusik und die Wahrhaftigkeit von Hanuta-Werbung

Ein Autor des Spiegel schreibt: »Die Missachtung der Band Mutter gehört zu den größten Verbrechen der jüngeren Musikgeschichte.«
(lacht) Das fand ich super.
Wie fühlt man sich, wenn man so etwas liest?
Super. Schön. Richtig erkannt.
Ist es nicht auch zwiespältig? Ausgerechnet vom Spiegel Anerkennung zu bekommen, der Phänomene wie Mutter über 20 Jahre hinweg konstant ignoriert hat?
Damit muss ich leben, das ist Werbung, und weiter interessiert mich das nicht. Ob das der Spiegel schreibt oder ob das in der Taz steht oder einer anderen Zeitung. Der Satz ist trotzdem richtig. Ich empfinde das ähnlich, egal ob das jemand schreibt, der uns vorher ignoriert hat. Ein Redakteur des SFB hat über uns einen Abendschau-Bericht gemacht, der meinte, er hätte schon immer gern einen Bericht über uns gemacht, aber er hätte es nie durchgekriegt, weil seine Vorgesetzten immer sagten: »Ja, wer issen dat? Wat? Wer? Nee.« Vielleicht ist jetzt auch die Zeit, in der man solche Sachen zulässt.
In anderen Blättern ist von der »erfolglosesten und einflussreichsten Band« die Rede.
(schnauft genervt) Ach, das. Das hasse ich zum Beispiel, dieses »erfolglos«. Ich empfinde uns nicht als erfolglos. Damit macht man sich auch schick. Und ich habe mich nie am Erfolg orientiert. Ich habe eine andere Definition von Erfolg. Mich interessiert das sowieso nicht. Da wird ganz viel vergessen von dem, was wir gemacht haben. Andere Bands, die einen totalen Hype hatten, die kennt man gar nicht mehr, da ist nichts übriggeblieben.
Wie kam es, dass es sechs Jahre gedauert hat bis zum Erscheinen der neuen Mutter-Platte?
Unser Bassist, der zehn Jahre mitgespielt hat, ist ausgestiegen, wir haben dann erst mal zu dritt weitergemacht. Unsere Neumitglieder kannten die Musik überhaupt nicht, kannten die Band auch überhaupt nicht, kannten nichts davon. Die mussten erst eingearbeitet werden, das hat schon seine Zeit gedauert.
Was hat es mit dem Titel euerer Platte auf sich – »Trinken, Singen, Schießen«?
Haha, alle haben geschrieben, der Titel käme natürlich von diesem NS-Massaker, und Elfriede Jelinek habe darüber auch etwas geschrieben. Dabei kommt der Titel ursprünglich von den Schützenfesten in Hannover. Das ist für mich das Drögeste und Schlimmste in Niedersachsen, diese jährlichen Schützenfeste, das ist halt nichts anderes als Trinken, Singen, Schießen. Und dass diese ganzen Schützenvereine sich treffen. So läuft das da ab. Darum geht’s dann: Trinken, Singen, Schießen (lacht).
Versteht Mutter sich als Gegenstück zu Bands wie etwa Wir Sind Helden (Müller lacht), denen zugesprochen wird, sie repräsentierten so etwas wie ein neues deutsches Selbstbewusstsein?
Wir hätten uns als Band wahrscheinlich schon längst aufgelöst, wenn man wüsste, da gibt es coole Bands, da gibt es wirklich mal was anderes. Weil ich finde, das gibt es zu wenig. Das Meiste ist so FDP-Rock. Das ist schön, und das funktioniert auch. Ich find’s auch gut, dass es das gibt. Das soll es auch alles geben, aber mir ist das zu wenig, dass es nur so was gibt. Das ist mir alles zu gefällig. Ich liebe ja gefällige Sachen, und ich liebe Wohlfühlmusik. Aber nur das, das ist mir zu fad. Das langweilt mich.
Themen in den Songtexten von Mutter sind unter anderem: Einsamkeit, Neid, Hass, Verlust, Lüge, Tod. Das sind Themen, die in herkömmlichen deutschsprachigen Popstücken gar nicht vorkommen.
Sie kommen vielleicht vor, aber sie werden anders behandelt. Ich will das auch gar nicht kritisieren. Ich finde, es ist alles okay, was es gibt. Was da ist, ist gut. Aber für mich ist schon seit zehn Jahren eine Zeit, in der ich merke, dass alles akzeptiert wird und alles zugelassen. Es gibt auch gar keinen Aufreger. Nicht etwa, dass man jetzt aufregen oder provozieren will, aber alles ist so fad. Mir fehlt eine andere Sicht auf die Dinge. Also nicht etwas »Neues«, das mit dem »Neuen« ist ja eh Quatsch, das interessiert mich auch gar nicht, ob das jetzt neu ist oder nicht. Es geht um Wahrhaftigkeit. Darum, dass man merkt: Es ist eins zu eins, es ist nicht konstruiert. Es ist ja auch keine großartige Lyrik, die da irgendwas webt und in die man 1 000 Sachen hineindeuten kann. Ich möchte in der Musik und der Sprache eine totale Klarheit, und eine Angreifbarkeit, sodass auch jemand sagen kann: »Das ist ja ’ne totale Scheiße, die der da singt.« Bloß nicht dieses Mittelmaß, das ist für mich das Schlimmste überhaupt, das hasse ich.
Eure Songs werden auf der Bühne stets lauter, härter, brachialer dargeboten als auf den Alben. Was hat es damit auf sich?
Ich seh’ mich ja sowieso als Jazzband oder so was. Wir sind auch überhaupt nicht in der Lage, die CD eins zu eins nachzuspielen, das darf auch nicht der Maßstab sein. Da wird es total uninteressant. Wir sind nicht Phil Collins. Ich glaube, man kann die Leute da auch ein bisschen erziehen.
Du hast gesagt, der kommerzielle Erfolg sei dir sehr willkommen.
Ich renne den Leuten nicht hinterher, dass die mich mögen, ich sage nur, ich schließe keinen aus. Bestimmte Leute werden unsere Musik nie hören oder mögen. Entweder der Erfolg kommt zu unseren Bedingungen oder nicht.
Auch dieses »Anti« oder »Dagegen« ist nicht mein Ding. Ich »sperre« mich nicht gegen dies und das und gegen Plattenfirmen, wie es überall zu lesen war. Wenn Sony uns vor zehn Jahren angerufen und gefragt hätte, ob wir einen Vertrag wollen, dann hätte ich das sofort gemacht. Die Leute sagen immer: Toll, dass ihr nicht bei einer großen Plattenfirma seid. Aber wer uns bescheißt, ob das ein kleines Label ist oder ein großes, ist egal. Beim großen kriegst du wenigstens ein gewisses Gehalt eine Zeit lang. Das haben wir alles erlebt, wir sind ja so beschissen worden und haben jahrelang keinen Pfennig gekriegt, obwohl die Platten alle verkauft sind. Die Verträge, die man hat, werden komplett ignoriert. Entweder es gibt gar keine, oder es sind mündliche Absprachen. Wir machen das jetzt alles selber, auch den Vertrieb, und es geht auch.
Thematisch herrscht Pessimus oder Fatalismus vor bei euch.
Das ist ganz komisch, das habe ich schon öfters gehört. Das empfinde ich überhaupt nicht so. Vielleicht weil ich das schon so lange mache. Das sind meine eigenen Wahrheiten und Zustandsbeschreibungen. Mir ging es jetzt auch eine Zeit lang wirklich schlecht, ich war auch deprimiert, aber die Platte hat mir total Mut gemacht. Ich finde es doof, Texte zu erklären, ich kann das eigentlich auch nicht.
In dem Song »Mach doch einfach« macht ihr euch anscheinend lustig über die sogenannte digitale Boheme. Ist das als eine Kritik an der Gegenwartskultur zu verstehen?
Absolut. Total.
Leute, die den geistlos-eitlen Medienbetrieb verachten, freuen sich über den Text des Stückes: »Völlige Talentfreiheit verstärkt den Ehrgeiz«, heißt es dort.
Ja, das kann man so sagen. Das nervt mich, dieses Gelaber: »Oh ja, das ist eine tolle Idee, und das könnte dann so, und dann müsste man das, undsoweiter.« Jeder redet und macht. Das machen wir ja selber auch. Aber man muss es dann eben auch machen. Ich kenne Filmregisseure, die die tollsten Ideen erzählt haben und natürlich aus Schiss dann doch nichts daraus gemacht haben, weil die Idee vielleicht doch zu radikal war. Oder weil sie doch den Status, den sie gerade haben, den Erfolg, den sie haben, beibehalten wollen. Darum geht es in jedem Bereich.
Das nervt mich, diese mittelmäßigen Leute, die immer sagen, wie toll alles ist, aber sich gar nichts trauen. Eigentlich soll der Text was Optimistisches weitergeben: dass man aus diesem Mittelmaß ausbrechen kann. Es wird immer gesagt, das könne man gar nicht. Dabei merke ich, wie einfach das ist. Da muss man nicht nackt auf der Bühne herumtanzen. Das ist eigentlich sehr einfach, wenn man eine klare Aussage ohne Wischiwaschi macht, womit man sich auch angreifbar macht. Dann geht es relativ schnell, dass Leute zu einem stoßen, die ähnlich denken.
Ihr kreist immer wieder um die Themen Vergeblichkeit, Vergänglichkeit, Verlust, Einsamkeit, nicht gelingendes Leben. Du sagst jetzt, das sei nicht negativ gemeint. Die Texte erzählen von düsteren Sachen im Leben.
Ja, von Realitäten. Davon, dass man diese Seite ja auch mal sehen kann, zusätzlich. Die Texte sind ja nicht total hoffnungslos. Es sind ja immer Sachen dabei, die aufzeigen: Das ist so, aber das heißt nicht, dass es schrecklich ist oder dass das Leben keinen Spaß macht. Das schwingt schon immer mit. Und natürlich sind manche Sachen ein bisschen pessimistischer als andere oder nicht sehr erfreulich. Das muss man im Leben ertragen, aber mit einer Musik, die was Optimistisches hat (lacht) oder losrockt.
Eine letzte Textexegese: »Die Alten hassen die Jungen/bis die Jungen die Alten sind«. Ein Song über das Altern, über die Anpassung ans Gegebene?
Er sollte einem Hoffnung geben. Dass die Zeit völlig belanglos ist. In der Jugend hält man sich für unsterblich. Beim einen oder anderen hört das irgendwann auf, der sagt: »Jetzt mache ich das aber amtlich hier, und dann mache ich meinen Beruf, und dann mache ich das schön, weil das geht ja nicht mehr, ich kann ja nicht mehr wie ein 16jähriger leben.« Das sind so Realitäten, die da sind, aber mir ist das völlig wurscht. Ich würde das, was ich mache, auch mit 70 machen. Und unser Schlagzeuger auch. Und die anderen höchstwahrscheinlich auch. Das ist eben nicht altersgebunden. Ich fand den Refrain einfach catchy. Das Alter wird in der Popmusik ja nicht so oft angesprochen. Und weil Jugendlichkeit immer so unangreifbar ist.
Ich habe den Eindruck, ganz viele machen Musik, weil sie denken: »Das funktioniert so und so, dann machen wir die Tour, dann spielen wir das, das Lied kommt gut, das machen wir dann so, und das wird bestimmt ein Hit.« Das hat für mich schon etwas von Beamtentum, und das darf Musik oder Kunst nie haben.
Es ist ein Fehlschluss zu glauben, Musik sei dann gut, wenn sie amtlich im Plattenladen steht und verkauft wird. Sie ist aber nicht deshalb gut. Das ist natürlich totaler Senf. Qualität hat nichts mit Erfolg zu tun, das verwechseln viele.
Gibt es eine Tradition, in der Mutter sich sieht? Vorbilder?
Nein. Ich hatte immer den Glauben an eine totale Freiheit der Musik. Dann kamen die ganzen Punk-Sachen, und da habe ich das einfach verinnerlicht und das auch geglaubt und gedacht. Ich habe mir einfach vorgestellt, dass die Sex Pistols irgendwelche Leute sind, die überhaupt nicht spielen können und da einfach reinhauen und es geil klingt. Das ist nicht so gewesen, aber das interessiert einen ja in dem Augenblick nicht.
Das Stolpernde, Abgehackte und Verstörende an eurer Musik steht in einem Gegensatz zu fröhlichen Mitpfeifsongs.
Die Form der Musik finde ich relativ unwichtig. Ob das Pop oder Jazz oder HipHop oder Techno ist.
Ein Techno- oder HipHop-Album gab es aber von Mutter noch nicht.
(lacht) Nein, das wird es wahrscheinlich auch nicht geben. Aber ich habe solo schon Sachen gemacht, bei denen man sagen könnte, das ist HipHop oder Sprechgesang. Ausschließen möchte ich überhaupt nichts.
Was ist das entscheidende Kriterium für gute Musik?
Eine Wahrhaftigkeit und eine Echtheit. Das klingt jetzt abgedroschen. Es gibt viele Sachen, wo ich sage: Das ist geil, das trifft mich tief im Herzen. Das kann auch Mainstream sein, das können auch ganz fiese Sachen sein.
Mutter existieren jetzt 24 Jahre, halb so lange wie die Rolling Stones. Wann macht ihr Reklame für VW oder Pepsi?
(lacht) Ich bin ja aus Wolfsburg. Ich hätte mir gewünscht, dass Volkswagen für seine neue Golf-Werbung ein Lied von Mutter nimmt. Ich glaube, da müsste ich nicht lange überlegen. Wir würden da sofort mitmachen. Die Musik ist ja, wie sie ist. Da hat ja keiner dran herumgewurschtelt. Wenn jemand fragen würde, ob wir zur Untermalung eines Werbespots für Hanuta unser Lied »Die Erde wird der schönste Platz im All« bereitstellen würden, würde ich sagen: Ja, natürlich, sofort, klar. Mit Kusshand.
Ist das kein Verrat? Gerade hast du von Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit gesprochen. Man hat den Song ganz wahrhaftig und aufrichtig geschrieben, und plötzlich wirbt man damit für einen banalen Schokoriegel. Ist das nicht entwürdigend? Wahre, aufrichtige Poesie als Begleitmusik zum Verkauf von Schokolade?
(lacht) Nee, nee. Ich finde das eher witzig. Das lässt doch die Schokolade in einem ganz anderen Licht erscheinen, oder? Kriegt sie dann nicht einen bitteren Beigeschmack? Meinst du, die Schokolade verkauft sich dann tatsächlich besser? Das ist die Frage. Ich werde nicht gefragt von VW, ob wir für sie ein Lied machen können. Das muss man mal in 20 Jahren sehen, wenn es die Band nicht mehr gibt, vielleicht. So wie bei der Jeans-Werbung mit der Musik von The Clash.