Auf der »Demolition Party« in einem Lissaboner Squat

Ziemlich abgerissen

Das besetzte Zentrum Casa Amarela in Lissabon ist dem Untergang geweiht. Auch die Ex-Besetzer beteiligen sich an der Zerstörung des Gebäudes.

Es war eine Einladung der besonderen Art, zur »Big Demolition Party« unter dem Motto »Paint the fuck up«. Bautrupps hatten sich angekündigt, um das besetzte Zentrum Casa Amarela abzureißen, ein fünfstöckiges ehemaliges Verwaltungsgebäude der SPC, einer Firma für Logistikdienstleistungen auf einem großen Fabrikgelände hinter einer Bahnlinie in Lissabon. Es ist der zweite Tag der Demolition-Party, die das ganze Wochenende stattfindet. »Wir haben schon einiges kaputtgemacht, bevor das Haus abgerissen wird. Warum sollen sie alleine Spaß haben?« sagt Joao, ein freundlicher, junger Mann, Mitte 20, mit Dreadlocks und Flip-Flops, der zusammen mit seiner Freundin Tatiana und drei Ausländern die Kerngruppe der Besetzung stellte. Eine Kiste mit kleinen Fläschchen voller Farbe steht bereit. »Bedient euch«, sagt er, nimmt ein Fläschchen, schüttelt es und schmeißt es mit Karacho gegen die über und über bekleckerte Fassade. Das ist denn auch schon fast die ganze Party. Etwa zehn Leute vergnügen sich damit, Bilder und Graffiti an das Haus zu malen oder ein Schwätzchen zu halten.
Zuerst ein kleiner Rundgang. Im Eilschritt jagt uns Joao durch die Ruinen des Fabrikkomplexes, große Lager- und Fertigungshallen voller Schutt, Müll und Hundekot. Sieben Jahre lang standen die Gebäude leer, hin und wieder wurden sie von Junkies oder Obdachlosen genutzt. An den Wänden haben sich die Sprayer Lissabons verewigt, bevor Joao und seine Leute im Februar die Besetzung des Komplexes bekanntgaben.

Das ehemalige Verwaltungsgebäude war das Zentrum der Besetzung. Über steile Treppen ohne Geländer geht’s nach oben: erst eine Party-Etage mit einer kleinen Bühne, einer Bar und einer Chill-out-Ecke. Dann die Wohnetage: Die »Zimmer« waren nicht durch Wände, sondern durch große Laken in Regenbogenfarben voneinander getrennt, eine rudimentäre Küche komplettierte den Wohntrakt. Ein paar zerfetzte Matratzen und Klamotten liegen noch herum. Eine weitere Etage war für die Besucher, Tramper und Reisende aus aller Welt.
Improvisation war Trumpf. Für die Wasserversorgung war an einem roten Feuerwehrhydranten ein dicker Schlauch befestigt, der ein abenteuerliches System aus Plastikröhren speiste. Oben auf dem Dach befand sich die Energieversorgung. Man sieht noch die Halterung für ein Windrad. Eine Solarzelle, die von einer Mautstelle an der Autobahn »organisiert« worden war, spuckte weitere 150 Watt aus. Nur bei Partys war das energetische Netz­werk überlastet. Dann kam ein Generator ins Spiel.
Sieben Monate lang war dies ein »Soziales Zentrum«. Neben der Kerngruppe haben hier insgesamt über 150 Menschen übernachtet, erzählt uns Joao, manche nur ein paar Tage, andere wochenlang. Einmal bei einem Konzert waren fast 200 Leute da. Aber mehr sind nie hier an den Stadtrand gekommen, es sind die Überbleibsel einer älteren, morbiden Fabrikstruktur. Gegenüber sind moderne Wohngebäude, und auf der anderen Seite der Bahngleise beginnt schon das Expo-Gelände. Dort fand 1998 die Weltausstellung statt, es ist der architektonisch modernste Teil Lissabons. Jetzt soll durch das ehemaligen Fabrikgelände eine Trasse für den TGV-Hochgeschwindigkeitszug gebaut werden, »nur für die Reichen«, sagt Joao verächtlich.
Hausbesetzen ist nicht gerade eine Trendsportart in der portugiesischen Linken. Obwohl unzählige Häuser leer stehen. Derzeit seien noch zwei Häuser in der Stadt besetzt, Wohnhäuser, zu denen es keinen öffentlichen Zutritt gebe. Anders als die Casa Amarela. »Dies hier war eine offene Besetzung«, sagt Joao, »ein Experiment. Jeder konnte hierherkommen, es gab keine Türen, auch die Polizei ist hier manchmal einfach so hereinmarschiert.« Gab es Probleme mit den Cops? Nein, meint Tatiana, die seien anfangs mal vorbeigekommen, die Besetzer hätten sich ausweisen müssen. Aber dann hätten die Polizisten eine Hausführung mitgemacht und im Laufe der Besetzung sogar Unterstützung geleistet, wenn es Ärger gab. »Die Polizei ist hier in Portugal eher faul«, ergänzt Joao. Solange kein Heroin im Spiel war, sei ihnen alles egal gewesen. Die Beamten hätten zuweilen sogar Obdachlosen den Rat gegeben, doch in dem Squat vorbeizuschauen.
Es gibt noch einen weiteren Squat derzeit. Ein Kulturzentrum auf der anderen Seite des Tejo, das Centro de Cultura Libertária (CCL), wo eine Bibliothek eingerichtet ist und Konzerte, Diskussionsveranstaltungen und hin und wieder »vegetarische Abendessen« stattfinden. Es ist von Räumung bedroht, ein Streitfall vor Gericht.
Wenn in Portugal Häuser besetzt werden, dann oft von Ausländern, meint Joao. Nicht selten auch von Deutschen. Und meistens erfolgen Besetzungen nicht aus explizit politischen Motiven, sondern aus Gründen der Wohnraumbeschaffung.
Das gilt auch für Harald. Der Frankfurter kam vor rund drei Jahren nach Portugal, jobbte sieben Monate in einer Werkstatt, aber den Lohn für die letzten zwei Monate habe er nicht bekommen, sagt er. Nun bewohnt er, zusammen mit nur einem anderen Mitbewohner, ein Fabrikgebäude auf dem ehemaligen Gelände der Firma Galp Energia, einer Gasfabrik, gut 200 Meter von der Casa Amarela entfernt. In der riesigen Ruine wohnt er allein mit seinen Hunden in einem kleinen fensterlosen Zimmer. Es ist eher eine Zelle, ohne Strom und Wasser. »Kommt rein, ich hab’ nichts zu verbergen«, sagt er. Eine triste Schlafstätte, ein Gaskocher, ein paar Kerzen, das ist die ganze Möblierung. Trinkwasser holt er im Supermarkt, für die körperliche Hygiene nutzt er die ehemaligen Sanitäranlagen der Fabrik. »Im letzten Winter wurde es saukalt, einmal sieben Grad unter Null«, erzählt er. »Nachts eine Decke über den Schlafsack und ein bisschen mit Gas heizen, dann ging’s.« Auf einem Nachbargrundstück steigen dicke Rauchschwaden auf, das knochentrockene Gestrüpp brennt, meterhohe Flammen. »Wahrscheinlich hat jemand eine Kippe weggeworfen«, meint Harald. »In diesem Sommer hat’s nur dreimal kurz geregnet.« Nach zehn Minuten kommt die Feuerwehr, die den Brand löscht.

Davon völlig unbeeindruckt läuft vor der Casa Amarela derweil noch die Demolition-Party. Marcos und ein paar weitere Leute vom Künstlerkollektiv Chili Com Carne bepinseln Wände, die in den nächsten Tagen schon nicht mehr stehen werden. Der Bagger parkt schon ein paar Meter weiter. Auch die Jungle World verewigt sich für diesen kurzen Moment. Joao und Tatiana haben sich eine Wohnung gemietet und planen schon ein neues Projekt. Irgendwas, wo die Leute nicht nur hinkommen zum Saufen und Konsumieren, sagt Joao. Sie wollen Workshops machen, bei denen man lernen kann, wie man etwas selber macht, wie man Videos dreht und solche Dinge. »Dinge, die mehr Substanz haben.« Aber bis dahin hängen sie noch vor ihrer Ruine herum, malen sie an und wollen dann den Abriss filmen. »Vielleicht schneide ich das dann mit Aufnahmen von vorher zusammen, als noch Leben in diesen Mauern war, könnte ein netter Film werden«, überlegt Joao laut.