Generalstreik in Spanien

Kündigen leicht gemacht

Mehr als zehn Millionen Spanier betei­ligten sich am Generalstreik gegen die Sparpolitik der sozialdemokratischen Regierung und gegen eine Reform des Arbeitsmarkts, die Entlassungen erleichtert und eine Lockerung des Kündigungsschutzes vorsieht. Es war der erste Generalstreik seit acht Jahren.

Auf der Demonstration zum Streik reckt jemand zwischen Hunderten roten Gewerkschaftsfahnen ein Schild in die Höhe: »Namen und Gesicht den Märkten!« Der Wunsch verwundert kaum, werden doch immer die wenig greifbaren interna­tionalen Finanzmärkte bemüht, wenn es zu erklären gilt, warum Spanien mitten in der Krise vor allem eines tun müsse: sparen. Nach jahrelangem Wirtschaftswachstum war 2008/2009 die weitgehend hausgemachte Immobilienblase geplatzt und damit die Baubranche als Wachstumsmotor zusammengebrochen. Inzwischen hat Spanien mit über 20 Prozent die höchste ­Arbeitslosenquote in der EU. Für junge Menschen unter 25 Jahren geht man sogar von 40 Prozent aus.

Nachdem Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero immer versichert hatte, seine Regierung werde keine Einschnitte im sozialen Bereich vornehmen, schwenkte er im Mai um, als die Eurokrise ihren Höhepunkt erreichte. Die Regierung beschloss harte Sparmaßnahmen wie die Kürzung der Beamtengehälter und das Einfrieren der Renten sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Es ist kein Geheimnis, dass dieser drastische Politikwechsel auf Druck von außen zustande kam. Die europäische Zentralbank bangte um die Stabilität der Gemeinschaftswährung, deutsche Banken um ihre Kapitalinvestitionen, und die Ratingagentur Standard & Poor’s stufte die Kreditwürdigkeit Spaniens herab. Dabei spielte es keine Rolle, dass Spanien weit weniger verschuldet ist als etwa Deutschland und die Ausgaben für den öffentlichen Sektor zu den niedrigsten in der EU gehören.
Zudem beschloss die Regierung eine Arbeitsmarktreform, die den Kündigungsschutz lockert und es den Unternehmen ermöglicht, tarifvertragliche Regelungen zu missachten. Dabei ist die Situation vieler Arbeiter ohnehin prekär. Zeitverträge sind mittlerweile die Regel und Millionen von Arbeitnehmern gehören zu den sogenannten mileuristas. Das sind Leute, die um die 1 000 Euro brutto verdienen, und das bei hohen Lebenshaltungskosten. Angesichts der dramatischen Jugendarbeitslosigkeit ist bereits von einer verlorenen Generation die Rede. Monate nach Verabschiedung der Reform reagierten schließlich die bisher nicht gerade kämpferischen Gewerkschaften UGT und CCOO mit einem Generalstreik. Zum ersten Mal seit acht Jahren.
Anders als in Deutschland hat die politische Kampfform des Generalstreiks in Spanien überlebt, im Rahmen des in der Verfassung verbürgten Streikrechts, wobei sie längst ihren revolutionären Gehalt verloren hat. Immerhin gelang es den Gewerkschaften, beim vorigen Generalstreik im Jahr 2002 eine neoliberale Gesetzesinitiative der damaligen konservativen Regierung zu Fall zu bringen. Nach einem vergleichbaren Erfolg sieht es derzeit allerdings nicht aus.
Der Generalstreik, der dem UGT-Chef Cándido Méndez zufolge der notwendigste seit Existenz der spanischen Demokratie gewesen ist, begann in den Fabriken etwa der Automobilindustrie, wo die Beteiligung sehr hoch war. In den Morgenstunden versuchten streikende Arbeiter, die An­lieferung von Lebensmitteln in die Großmärkte und die Ausfahrt von Bussen der öffentlichen Verkehrsunternehmen zu verhindern. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Frontscheiben einiger Busse gingen zu Bruch. Manche Fernsehsender zeigten kein oder nur ein eingeschränktes Programm, die Zeitungen erschienen in Notausgaben und gelangten häufig gar nicht erst zu den Kiosken.
Gegen Mittag traten die Gewerkschaftsführer vor die Presse und verkünden einen klaren Erfolg. Über 70 Prozent der Arbeiter und Angestellten hätten den Streikaufruf befolgt, in manchen Branchen wie auf dem Bau oder bei der Müllabfuhr sogar mehr. Die Regierung müsse dem Ruf der Massen folgen, ihre Politik ändern und die Arbeitsmarktreform zurücknehmen. Am späteren Nachmittag fanden in mehreren spanischen Städten Demonstrationen statt. »Antisystemgruppen«, wie sie von den Medien bezeichnet wurden, zerstörten in Barcelona Bankautomaten und griffen die Polizei an, nachdem ein von ihnen besetztes Kreditinstitut geräumt worden war. In Madrid, wo tausende Menschen im Zentrum »für eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik« demonstrierten, blieb es friedlich.
Während der neoliberale Mainstream, dem sich die Regierung angeschlossen hat und dem sich auch die meisten Medien verpflichtet fühlen, die Spar- und Deregulierungspolitik wie in anderen Ländern als alternativlos darstellt, ist die Antwort der Gewerkschaften klassisch sozialdemokratisch und keynesianisch, wie auch die des katalanischen Politikprofessors Vincenç Navarro. Seiner Beobachtung nach sprächen schon die Finanzmärkte »mit unterschiedlichen Stimmen« und das 20. Jahrhundert habe gezeigt, dass ein Land eine Rezession nur überwinden könne, wenn es die öffentlichen Ausgaben steigerte, »um die Nachfrage zu schaffen, die der private Sektor nicht generiert«. Navarro und die Gewerkschaften wollen zudem die Reichen stärker besteuern, was auf viel Zustimmung bei den Demonstranten stieß.
UGT und CCOO sind jedoch keineswegs so stark, wie es den Anschein hat. Im »Krieg der Zahlen« um die tatsächliche Beteiligung am Streik erklärten konservative Zeitungen den Generalstreik für gescheitert, die Regierung betonte die nach Branchen angeblich sehr unterschiedliche Resonanz. Tatsächlich waren am Tag des Streiks viele Geschäfte geöffnet. Linke Kritiker werfen den Gewerkschaften vor, bürokratisch, lasch und korrupt zu sein. Beide Organisationen erhalten Millionen Euro an Subventionen direkt aus dem Arbeitsministerium.

Solche Kritik kommt etwa von der anarchistischen Gewerkschaft CGT. Am Tag des Streiks waren ihre schwarz-roten Fahnen überall an den wichtigen Orten der Auseinandersetzung zu sehen. Die CGT unterstützte den Streik, organisierte aber in Abgrenzung zu den großen Arbeiterorganisationen in Madrid eine eigene Demonstration, an der immerhin einige Tausend Menschen teilnahmen. Die CGT kämpft unter anderem für die Schaffung von Arbeitsplätzen durch Reduzierung der Arbeitszeit, für das Verbot von Zeitarbeitsfirmen und für einen Mindestlohn von 1 200 Euro.
Mit diesen Forderungen wird sich die Regierung wohl kaum beschäftigen. Der Streik allerdings war durchaus problematisch für sie, ist es doch ihre Stammwählerschaft, die auf den Straßen demonstrierte. Andererseits steht sie unter starkem Druck durch die rechte Opposition, die EU und die Finanzmärkte. So stufte zeitgleich zum Streik und unter Hinweis auf die trüben Entwicklungsaussichten der spanischen Wirtschaft eine weitere Ratingagentur die Kreditwürdigkeit Spaniens herab. Tatsächlich produziert das Land schlicht zu wenig und ist außerdem stark vom ausländischen Kapital abhängig, wie sich nun deutlich zeigt. Es ist daher zweifelhaft, ob ein eintägiger Generalstreik, erfolgreich oder nicht, die Regierung zur Umkehr zwingen kann.