Walgesang statt Lebertran. Wie Esoterik dem Schutz der Wale schadet

Walgesang statt Lebertran

Dass die Jahrestagung der Internationalen Walfangkommission (IWC) im marokka­nischen Agadir ohne Ergebnis blieb, verdankt sich unter anderem dem esoterischen Kult um die Meeressäuger.

Im Jahr 1975, so berichtet Greenpeace über die Anfänge der internationalen Walkampagne, »stach ein bunter Haufen von Musikern, Mechanikern und Mystikern zur ersten Greenpeace-Wal-Expedition in See. Ein Ziel dieser Fahrt war es, mit den Walen zu kommunizieren. Crewmitglieder spielten Flöte oder Saxofon, und über Unterwasserlautsprecher ertönte Beethovens Fünfte Sinfonie. Außerdem wollten die Freaks Walfänger konfrontieren und behindern. In der Hoffnung, das Schicksal würde ihnen bei ihrer Mission beiseite stehen und ihnen den Weg zu den russischen Walfängern weisen, befragten sie das chinesische Orakelbuch ›I Ging‹.«
Mystiker, die die Meeressäuger mit Beethoven beschallen – Wale hatten es noch nie besonders leicht mit den Menschen. Jahrhunderte lang wurden sie mit allen Mitteln verfolgt, auf den Weltmeeren tobten archaische Kämpfe. Nicht selten kamen bei den Schlachten um Fleisch und Lebertran mehr Menschen als Wale um. Mit der Aufrüstung der terrestrischen Widersacher durch Dampfschiffe und Harpunierkanonen im 19. Jahrhundert standen die Wale trotz körperlicher Überlegenheit zunehmend auf verlorenem Posten. Ein hemmungsloser Raubbau bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts führte dazu, dass die Mehrzahl der Arten vor der Ausrottung stand.
Deshalb gründete sich bereits 1948 die Internationale Konvention zur Regulierung des Walfangs (ICRW). Als ausführendes Organ wurde die Internationale Walfangkommission IWC bestimmt. Sie sollte Fangquoten festlegen, um eine gerechte Verteilung der Ressource Wal zu gewährleisten und Überjagung zu verhindern. Doch trotz dieser Quoten gingen die Bestände vieler Walarten weiter zurück. Gleichzeitig wuchs der Widerstand gegen den kommerziell zunehmend bedeutungslosen Walfang. Zunächst war es vor allem der WWF, der in den sechziger Jahren gesellschaftlichen Protest organisierte. Mit dem Aufbruch der musikalischen Hippies von Greenpeace 1975 radikalisierte sich der Widerstand, es kam nun zunehmend zu offenen Konfrontationen auf hoher See. 1982 beschloss die IWC, die Jagd auf Großwal-Arten vollständig auszusetzen, die meisten Walfangländer, zu denen bis in die dreißiger Jah­re auch Deutschland gehörte, hatten aus wirtschaftlichen Gründen ohnehin längst mit der Waljagd aufgehört – der Aufwand, die letzten paar Wale aufzuspüren, war zu hoch, die Nachfrage nach Walprodukten dagegen war gesunken.
1986 trat das Walfangmoratorium in Kraft. Seither dürfen lediglich indigene Völker wie die Inuit Großwale für den Eigenbedarf töten. Drei Walfangnationen aber machten langfristig nicht mit: Norwegen und Island haben das Moratorium nicht akzeptiert und sind daher nicht daran gebunden. Japan deklarierte seine Waljagd als wissenschaftliche Mission, die nach den Statuten erlaubt ist.
Diese Lage wird seit 25 Jahren zementiert. Jährlich trifft sich die IWC, redet sich die Köpfe heiß, und am Ende passiert gar nichts. Derzeit werden jährlich etwa 2 000 Großwale gejagt. Beim diesjährigen Treffen vom 21. bis 25. Juni im marokkanischen Agadir schien erstmals die Chance zu bestehen, dass Bewegung in die starren Fronten geraten könnte. Eine Arbeitsgruppe um den chilenischen IWC-Vorsitzenden Cristián Maquieira hatte im Vorfeld einen »Friedensplan« vorgelegt, der den Konflikt langfristig lösen sollte. Die kommerzielle Jagd für Japan, Island und Norwegen wäre für einen Übergangszeitraum von zehn Jahren wieder erlaubt worden, mit einer Quote von insgesamt ca. 1 400 Tieren im Jahr 2020, also 600 Exemplare weniger, als derzeit gefangen werden. Im Gegenzug zur zeitlich begrenzten Legalisierung ihres Wahlfangs hätten sie sich ausnahmslos unter die Kontrolle des IWC begeben müssen. Außerdem hätten sich die Japaner dazu verpflichtet, das antarktische Walschutzgebiet anzuerkennen, in dem sie heute als einzige Nation noch jagen und einen Teil der Region als gänzlich gesperrt zu akzeptieren. Nach dieser zehnjährigen Übergangsphase sollte über zukünftige Quotierungen ab 2020 neu verhandelt werden.

Doch der Friedensplan scheiterte. Selbstverständlich schieben sich alle gegenseitig die Schuld zu. Dabei trägt die Gemengelage längst absurde Züge. Denn der Walfang ist kommerziell bedeutungslos, er wird sogar stark subventioniert. Essen mag die tranigen Tiere kaum noch jemand, auch nicht in Japan. So sehr die Tierschützer auf die fernöstliche Lust auf Wal-Delikatessen schimpfen, in Wirklichkeit liegen ganze Walfleischlager in Kühlhäusern auf Eis, weil sie keine Abnehmer finden. Beschäftigungspolitisch ist der Walfang längst marginal.
Dem steht die Touristikbranche gegenüber, die mit der Walbegeisterung gutes Geld verdient, Arbeitsplätze schafft und sich das Geschäft nicht durch Massakerszenen an den Touristenlieblingen verderben lassen will. Das vorgeschobene wissenschaftliche Argument, die Waljagd sei aus ökologischen Gründen notwendig, löst bei Biologen, die nicht zufällig ihr Gehalt aus dem Walfanglager beziehen, verständnisloses Kopfschütteln aus. Die Jagd auf Wale ist vor allem eine Frage der nationalen und kulturellen Identität geworden. Und wohl auch so etwas wie eine Trotzhandlung, weil die Walfangländer sich ungerecht behandelt fühlen von den ihrer Meinung nach irrationalen Walbeschützern.
Damit liegen sie nicht ganz falsch. Mit klassischem Artenschutz hat die Walschutzideologie längst nicht mehr ausschließlich zu tun. Die meisten Wale, die bejagt werden, sind in ihrem Bestand nicht gefährdet. Der »Friedensplan« hätte die Zahl der gefangenen Wale gegenüber dem jetzigen Zustand deutlich reduziert und er hätte dem antarktischen Walschutzgebiet Anerkennung verschafft – um den Preis einer kommerziellen, legalen Waltötung in diesen zehn Jahren. Ein Preis, den die Walschutzfraktion nicht zu zahlen bereit war.

Einer der Gründe hierfür ist blankes Misstrauen, das angesichts der Haken, die die Walfangnationen seit jeher schlagen, nicht unbegründet ist. Allein die Tatsache, dass ganze IWC-Delegationen beim Treffen in Marokko von der japanischen Walfangindustrie gesponsert wurden, unterhöhlt die Glaubwürdigkeit. Dass vor allem Japan seit eh und je eine irrwitzige Scheckbuchdiplomatie betreibt, die Staaten, die mit Walfang überhaupt nichts am Hut haben, in die IWC getrieben und für die Belange der Jägerländer hat stimmen lassen, wirkt ebenfalls nicht vertrauensbildend. Allerdings hat sich auch die Gegenseite Verbündete gesucht, Länder, die teilweise nicht mal einen Meereszugang haben. Resultat ist, dass sich in der aus Vertretern von 88 Staaten bestehenden IWC zwei etwa gleich große Blöcke unversöhnlich gegenüberstehen – wesentliche Änderungen sind aber nur mit Dreiviertelmehrheit möglich.
Ein anderer Grund für die Unfähigkeit zum Kompromiss liegt in der Ideologie der Walschützer. Denn zunehmend wurden Artenschutzbelange abgelöst von einem emotional aufgeladenen Kult um die Meeressäuger, der ins Esoterische lappt. Da kann man die I-Ging-Greenpeace-Expedition durchaus als Vorreiter einer Bewegung erkennen, die Wale als die besseren Menschen betrachtet, als grundgute, sanftmütige Wesen einer höheren Dimension, die uns mit ihren sphärischen Gesängen ganzheitlich-geistige Nahrung liefern. Derart Erleuchteten ist es generell ein unverzeihlicher Frevel, wenn einem Wal eine Flosse gekrümmt wird.
Dazu kommen die Tierschützer, die Walrechte fordern. Der radikale Flügel der Tierrechtsbewegung will Tieren generell bestimmte Menschenrechte zugestehen, etwa das auf körperliche Unversehrtheit und individuelle Freiheit. Denn ist die Höherstellung des Menschen über den Wal nicht dasselbe barbarische Denkmuster, das einst den weißen Menschen über den schwarzen hob? Demnach handelt es sich analog zum Rassismus bei der Beurteilung des Wals als Ressource um Speziezismus. In dieser Gedankenschule muss jede Harpunierung eines Wals gleichwertig zum Mord an einem Menschen betrachtet werden. Entsprechend ist aus ethischen Gründen eine pragmatische Einigung mit den Schlächtern nicht möglich.

So marginal radikale Tierrechtsgedanken für Rind, Ratte und Wurm gesellschaftlich sind, abgemildert gingen sie doch in den allgemeinen Konsens der Walschützer ein. Den Riesen und ihrer Delfinverwandtschaft werden intellektuelle und emotionale Fähigkeiten zugesprochen, die denen von Menschen sehr nahe kommen sollen. Da verwundert es nicht, dass einer der Nebenschauplätze die Diskussion um die Intelligenz der Meeressäuger ist. Während manche Wissenschaftler es als erwiesen betrachten, dass Wale besonders schlau sind und auch ein Bild von sich selbst als Individuum haben, halten andere das für gefühlsduseligen Quark und die Meeressäuger auch nicht für intellektueller als Hund oder Schwein. Vielleicht ist der Mensch letztlich schlicht nicht klug genug, diese Frage zu klären.
Das Nicht-Ergebnis der IWC-Konferenz von 2010 jedenfalls weckt den Eindruck, dass alle Parteien mit der Zementierung des Status quo gut leben können. Die Walfangländer basteln sich eine nationale Identität, die sie gegen den moralisch-kulinarischen Imperialismus der Walschützer verteidigen. Die Walschutznationen auf der anderen Seite können sich etwas auf den folgenlosen Gratis-Kampf für die gute Sache einbilden und wissen dabei die übergroße Mehrheit der Bevölkerung ebenso hinter sich wie die Umweltorganisationen, für die die blutigen Bilder der Waljagd zweifellos wichtige Einnahmequellen sichern.
Derweil sterben die Wale ganz ohne das Zutun von Harpunen aus, durch die Verschmutzung der Meere, den Schiffsverkehr, im Zuge von Kollateralschäden in der Fischerei und durch die vom Menschen verursachte Erderwärmung. Die Zahl der Meeressäuger, die durch jene Faktoren umkommt, an denen alle Nationen beteiligt sind, liegt um ein Vielfaches über der durch Jagd. Die einzige Walart, die tatsächlich in jüngerer Zeit ausgerottet wurde, ist übrigens der Chinesische Flussdelfin. Den Garaus machte ihm das Yangtse-Staudamm-Großprojekt, nachdem die Tiere zuvor schon durch den Lärm des Schiffsverkehrs an den Abgrund gedrängt wurden. Denen hätten Beethoven-Symphonien und Saxophon-Klänge von Umweltesoterikern dann auch nicht mehr geschadet.