Wie die Blamage der französischen Elf Rassisten und Populisten auf den Plan ruft

Autobahn für den Front National

Die Blamage der französischen Nationalelf bei der WM ruft Rassisten und Populisten auf den Plan.

Das Bild, das die Bleus, also die französische Fußball-Nationalmannschaft, bei der diesjährigen WM darbot, war alles andere als gut. Nicht nur in sportlicher Hinsicht war sie ihren Gegnern sichtlich nicht gewachsen. Überdies zeigten die Spieler sich in den Augen der Fans arrogant und prasssüchtig: Nachdem die französische Elf sich im Vorfeld nur schwer und mühsam für die WM hatte qualifizieren können, schockierte es viele Beobachter, dass sie von allen Mannschaften eines der teuersten Hotels in Südafrika anmieteten. Insbesondere Sport-Staatssekretärin Yama Rade machte ihnen dies zunächst in scharfem Tonfall zum Vorwurf – bis sich herausstellte, dass ihre Übernachtungen in Südafrika noch kostspieliger waren.
Weitere Skandälchen folgten, den Höhe- respektive Tiefpunkt bildete zunächst die Antwort von Nicolas Anelka auf Vorhaltungen des Auswahltrainers Raymond Domenech: »Geh’ und lass dich in den Arsch ficken, du dreckiger Hurensohn!« Anelka wurde aus dem WM-Team entlassen. Seine Mannschaftskollegen traten jedoch zwei Tage vor dem Spiel gegen Südafrika, das zum Ausscheiden bei der WM führen sollte, in einen Trainingsstreik, »aus Solidarität mit Anelka«. Dabei wäre es in ihrem Bus beinahe zu einer kollektiven Schlägerei zwischen dem trainings- und dem streikwilligen Teil der Mannschaft gekommen.
Die französischen Medien, und zwar bürgerliche Presse und Sportzeitungen vereint, fielen indessen über die Mannschaft her. »Auf dem Feld der Unehre besiegt«, »das Gespött der Welt« oder auch »Tschau, Hampelmann!« – der an den Trainer Raymond Domenech gerichtete Titel der Gratiszeitung Métro –, so lauteten nur einige der unflätigen Pressekommentare. Auch die Politik mischte sich ein. Präsident Nicolas Sarkozy forderte »Generalstände zur Erneuerung des französischen Fußballs« im Herbst, Gesundheits- und Sportministerin Roselyne Bachelot verlangte die Absetzung des Vorsitzenden des nationalen Fußballverbands (FFF), Jean-Pierre Escalettes. Der Internationale Fußballbund (Fifa) schaltete sich deswegen am Samstag ein und erklärte, er verbitte sich jegliche »Einmischung der Politik« und poche auf die »Autonomie der Sportverbände«. Bei Zuwiderhandeln könne man den französischen Verband ausschließen.
Die Debatte konzentrierte sich alsbald auch auf die – »ethnische« und/oder soziale – Herkunft der Spieler. Und zwar in einem Ausmaß, dass die Staatssekretärin für Städtebaupolitik, Fadela Amara, sich am 22. Juni genötigt sah, vor einer übermäßigen »Ethnisierung des Problems« zu warnen: »Man ist dabei, dem Front National eine Autobahn zu bauen.«
Junge Männer, die aus Einwanderer- oder karibikfranzösischen Familien stammen und zwischen 1985 und 1995 oft ihre Jugendjahre in französischen Vorstädten verbrachten, bilden die dominierende Gruppe in der französischen Nationalmannschaft. Dafür gibt es Erklärungen. Diese haben natürlich weder mit »rassischen« oder genetischen Eigenschaften – wie sie jetzt oft unausgesprochen bemüht werden, um Schwarze als »athletisch«, aber zugleich wenig intelligent darzustellen – noch mit »umgekehrtem Rassismus« zu Lasten der Weißen zu tun, wie es etwa der neokonservative Philosoph Alain Finkielkraut sieht. Vielmehr steht auf der einen Seite der Wunsch vieler Familien aus der postkolonialen Einwanderung nach sozialem Aufstieg, wie ihn hauptsächlich der Berufssport bietet. Auf der anderen Seite steht das Interesse vieler Profisport-Verbände selbst, die besonders darauf erpicht sind, Schwarze als vermeintlich besonders athletische Kraftsportler zu rekrutieren.
Dies hat Tradition, seit der französische Profisport bei den Olympischen Spielen von 1936 in Berlin beobachten konnte, wie 25 Prozent der Medaillen der USA von Schwarzen eingesammelt wurden. Damals kam das etablierte Frankreich auf die Idee, ähnlich wie für die Armee auch für den Sport zusätzliche Teammitglieder in den westafrikanischen Kolonien Frankreichs zu rekrutieren. Schon 1931 wurde der erste schwarze Nationalspieler – Raoul Diagne aus Französisch-Guyana – in die Fußballnationalmannschaft aufgenommen. 1976 wurde mit Marius Trésor erstmals ein schwarzer (karibikfranzösischer) Spieler zum Mannschaftskapitän; zwei Jahre, bevor die Briten mit Viv Anderson ihren ersten »farbigen« Nationalspieler hatten.
In den vergangenen Wochen und Monaten versuchten mehrere Artikel in der französischen Presse, diese Faktoren sachlich darzustellen. Doch schon seit längerem hat es immer wieder Kritik und Häme an der »rassischen« Zusammensetzung der französischen Nationalelf gegeben – etwa von Jean-Marie Le Pen, der sich schon 1996 und 2006 abwertend über »farbige« Spieler in der französischen Mannschaft ausgelassen hatte.
Im aktuellen Kontext, der von einer stark spannungsgeladenen Atmosphäre nach dem blamablen Ausscheiden aus der WM geprägt ist, brauchte die extreme Rechte ihrerseits nur an die verbreitete Stimmung anzuknüpfen. Dadurch, dass Jean-Marie Le Pens Tochter Marine schon anderthalb Wochen vor dem WM-Start mehrfach vor Kameras und Mikrofonen öffentlich auf der Nationalelf herumhackte, hat die extreme Rechte erhebliche Aufmerksamkeit in den Medien und der Öffentlichkeit erzielt. Auch von ihrer Seite weist man immer wieder auf den »hohen Anteil an Farbigen« in der Nationalelf, die zugleich als »vom Geld korrumpiert« und »moralisch verdorben« hingestellt wird, hin. Eine großartige Mischung für eine populistische Kampagne. Am 22. Juni sprach Jean-Marie Le Pen von einer »verdienten Niederlage« der Bleus, seine Tochter Marine forderte unterdessen den Rücktritt von Sportministerin Roselyne Bachelot.