Die Trauerfeier für Michael Jackson in L.A.

This is it!

Die Welt trauert um Michael Jackson. Tausende Menschen kamen in den vergangenen zwei Wochen nach Los Angeles, um vom King of Pop Abschied zu nehmen. Auch unser Reporter war dabei, obwohl er kein Fan von Michael Jackson ist und eigentlich nach Teheran fliegen wollte.

25. Juni
Craig ist herübergekommen, um mit uns Vikas letzten Tag des Schuljahrs zu feiern. Essen, trinken und knüpfen soziale Netze auf die altmodische Art, mit echten Leuten. Es ist Zeit, ins Bett zu gehen, aber in dem Sommer, in dem ich die neumodische Art des sozialen Networking entdeckt habe, wie kann ich da schlafen gehen, ohne einen kurzen Blick ins Netz zu werfen? Wer weiß? Ich könnte etwas Wichtiges verpasst haben in den letzten Stunden.
Ich habe in den letzten Stunden tatsächlich etwas Wichtiges verpasst: Ich lese Mike G.s Facebook-Posting dreimal, bevor ich nach unten scrolle: » … als ich herausfand, dass er tot ist«? Moment. Was? Michael Jackson? Neiiin.
So viel zum Schlafengehen. Klebe am Monitor, bis meine Augen schmerzen; krieche ins Bett.

26. Juni
Ich kannte Michael Jackson nicht und mochte seine Musik ehrlich gesagt nicht besonders. Aber irgendwie war er mir wichtig, und ich will in Los Angeles sein, dort, wo er starb. Erledige das Geschäftliche; buche einen Flug.

27. Juni
Komme am John-Wayne-Flughafen an; zücke mein Handy. Sekunden später, durch die Wunder moderner Technologie, fliegen mein Gesicht, John Wayne und eine amerikanische Flagge (XL) in Bits gemeinsam durch den Äther zu Computern auf der ganzen Welt.
Hole den Mietwagen ab. Pflege soziale Netze, finde mich dann plötzlich in schneller Fahrt auf einer 14spurigen Straße wieder (14 Spuren!). Das ist ein Hinweis darauf, dass man New Hampshire hinter sich gelassen hat. Ein weiterer ist, dass der Verkehr sich kilometerweit staut, wenn sich die Straße auf zehn Spuren verengt, auch an einem Sonntag. Sitze im Stau; verfahre mich; finde den Weg zu dem Haus, in dem Jackson lebte, nun, bis vor kurzem. Die Polizei hat die Straße gesperrt, und Grüppchen von Leuten kommen vorbei, verweilen an der Straßenecke, legen Blumen oder andere Andenken nieder (# 7, # 8) und machen Fotos. Alle paar Minuten fährt ein Touristenbus mit offenem Oberdeck vor, voller Passagiere mit Fotoapparaten und Videokameras (# 3). Die Fahrer machen Durchsagen, die Passagiere stehen auf, machen Bilder und fahren weiter zum Haus des nächsten Stars. Vor Jacksons Haus stehen offenbar vorwiegend ausländisch sprechende Menschen. Liegt es an Jacksons Popularität im Ausland oder an anderen Gewohnheiten in anderen Kulturen? Auf jeden Fall sammeln sich die Leute um ein spanisches Fernsehteam (# 10).
Alles schön und gut. Michael Jackson mag interessant sein, aber mein Problem ist folgendes: Seit einer Weile bin ich auf der Suche nach einem guten, sicheren Weg, in den Iran zu gehen. Meine Redakteure mochten die Idee nicht besonders, und in gewisser Weise war dieser Michael-Jackson-Trip eine praktische Alternative. Und auf einmal stoße ich auf eine Iran-Kundgebung vor dem Bundesgebäude. Wow! Zwei Vögel mit einem Stein, oder für die Deutschen unter Ihnen: zwei Fliegen mit einer Klappe.
Gehe zurück zu Joe, Lena und Masha: ein warmer und freundlicher Ort in einer seltsamen und extragroßen Stadt. Wir sitzen in der Küche und reden über Michael Jackson. Wir kannten ihn, aber wir kannten ihn auch wieder nicht. Wir fragen uns, wie viele andere Menschen in diesem Augenblick wie wir in der Küche sitzen und dieses Gespräch führen.

28. Juni
Ah, der frühe Morgen: perfektes Licht zum Fotografieren, aber er ist auch perfekt, um soziale Netze zu pflegen, um den Klatsch zu verfolgen, um Flugtickets zu buchen usw. Hänge mit Joe und Lena herum; wir informieren uns auf die altmodische Art. Sie haben eine Spottdrossel adoptiert, die die Katze herbeigeschleppt hat. (Wow!). Fotografiere das Baby-Füttern (# 13), schleppe mich hinaus in die grelle Mittagssonne und zur großen Iran-Kundgebung. Es ist viel mehr los als gestern Abend, und so sicher es hier auch ist, es dauert nicht lange und jemand geleitet mich zum Sheriff, der mir eine Geschichte (wohl eine erfundene, hoffe ich) erzählt von einem Fotografen, der vorige Woche zusammengeschlagen wurde, weil er ein Foto gemacht hatte. Hm. Ich gebe mir Mühe, jedem aus dem Weg zu gehen, der nicht fotografiert werden möchte, und keine Gesichter zu fotografieren (# 5, # 6), und es gelingt mir, Ärger zu vermeiden.
Treffe Don zum Mittagessen, fahre dann zum Haus der Jackson-Familie in Encino. Dort sind ungefähr so viele Fernsehleute wie trauernde Men­schen versammelt, und die Stimmung ist ruhig und gedrückt, abgesehen vom Summen der Generatoren und so. Ein kleiner Kreis bildet sich, und man singt »Billie Jean is not my lover … the kid is not my son«. Die Leute singen so leidenschaftlich, ich glaube, dass es wirklich nicht ihr Kind ist, was, wenn man mal darüber nachdenkt, wohl stimmen könnte. Treffe einen Typen, der ein gerahmtes Foto von sich, seinem Sohn und Michael Jackson hervorzieht und mir erzählt, wie sie sich trafen, wie es war und was Jackson trug (schwarze Hose, weiße Socken und eine rote Jacke). Ich bin stolz, als er mir erklärt, dass ich der einzige bin, dem er das Foto zeigt, aber dann zeigt er es einer rumänischen Journalistin und erklärt, dass er das Bild nur der europäischen Presse zeigt, nicht aber Amerikanern. Die Rumänin guckt verwirrt, aber sie lässt es dabei bewenden. Wie sich herausstellt, bin ich nicht der einzige Journalist hier, der sich wünscht, dass das mit der Beerdigung bald geregelt wird: Sie fliegt am Freitag nach Bukarest zurück, und es wäre zu schade, den ganzen Weg hergekommen zu sein und dann das Hauptereignis zu verpassen.

29. Juni
Stehe früher auf; fahre zum Hollywood Boulevard. Dort ist eine lange Schlange von Leuten, die geduldig warten, um ein Foto von Michael Jacksons Stern zu machen, Blumen niederzulegen usw. Der Haufen ist ungefähr 30 Zentimeter hoch und erstreckt sich bis weit hinter Jacksons Stern. Es gibt Stofftiere und Pappschilder und zahllose persönliche Mitteilungen. Einer, den ich frage, sagt, man müsse 15 Minuten Schlange stehen; ein anderer meint, eine Stunde. Egal, das Warten scheint mir nicht allzu unterhaltsam zu sein, also gehe ich spazieren. Einen Block entfernt stoße ich auf einen anderen King, auch tot und unvergessen. Er ist jedoch in schlechtem Zustand, sein Arm ist mit Klebeband fixiert und einige Finger fehlen (# 11). Posiere für ein paar Selbstporträts, bis mir einfällt, dass heute Montag ist, was bedeutet, dass ich falsch parke. Hetze zurück zum Auto, aber es ist zu spät: Ich habe bereits einen Strafzettel bekommen. Zufälligerweise sind Elmo (ja, der Elmo, aus der Sesamstraße) und Tigger auf der anderen Straßenseite, beim Ankleiden. Ich hole meine Kamera heraus und gehe hinüber, um ein Foto zu machen, aber Elmo hat kein Interesse und lässt mich das auch wissen. Er erzählt mir, dass er mir eine reinhauen könnte, wenn ich nicht aufpasse. Es stellt sich heraus, dass er besorgt ist, ich könnte schlechte Publicity machen, und es entwickelt sich eine interessante Diskussion über Fotografie und Image. Die Spannung lässt nach, als er mir alle Details darüber mitteilt, wie man Freunde gewinnt und Leute beeinflusst. Ich bin dankbar für die Lektion, und auch für meine unbeschädigte Gesundheit. Okay, ich habe einen 60-Dollar-Strafzettel bekommen, aber heute scheint mein Glückstag zu sein. Um das zukünftigen Generationen beweisen zu können, posiert Elmo mit mir für ein Foto (Fotograf: Tigger).
Gehe zurück zum Hollywood Boulevard. Es stellt sich heraus, dass Elmo und Tigger nicht die einzigen großen Namen in der Stadt sind: Bugs Bunny ist auch da, zusammen mit Barack Obama, Marilyn Monroe und einigen anderen. Sie tun das, wie Elmo mir gerade erklärte, um etwas dazuzuverdienen (jemand wusste sogar das deutsche Wort dafür). Superman hat sich einen schattigen Ort ausgesucht und verkauft Souvenir­ausgaben der L.A. Times, für diejenigen, die nicht für Fotos posieren wollen (# 2). Er behauptet, bei den 20 Dollar, die er verlangt, seien die Zeitungen ein Schnäppchen, weil sie bei eBay 50 Dollar oder mehr brächten. Niemand scheint zu kaufen, aber er macht sich nützlich, indem er ein Mädchen tröstet, das vor einer der Horrorfilm-Figuren Angst hat, und indem er dabei hilft, einen Streit zwischen der Luftballondame und Marilyn Monroe zu schlichten – beide schienen die Horrorfilm-Figuren zu mögen. Er hat außerdem eine Gürteltasche voller Eddings, um Autogramme für Kinder zu schreiben (Verdammt! Ich hätte ihn auch um eins bitten sollen!).
Es wird spät, ich muss mich mehr um meine Must-See-Checkliste kümmern: Gehe zum Büro des Gerichtsmediziners, wo ich ein einsames, live berichtendes Fersehteam dokumentiere (# 1). Dann kommt ein Mann zu mir. Er ist aus einem Bus geworfen worden, weil er stinkt, und er sucht jemanden, der das in die Presse bringt. Ich sage ihm, dass das in Deutschland kaum jemanden interessieren dürfte. Außerdem läuft meine Parkuhr ab, und ich will nicht noch einen Strafzettel bekommen. Und ehrlich gesagt riecht er wirklich nicht besonders gut.
Checkliste, Eintrag 2: Joe hat mir von einem großen »Free-Iran«-Schild südlich der Innenstadt erzählt, und wo ich schon mal in der Gegend bin … Besorge mir etwas Feuchtigkeitscreme für meinen Sonnenbrand vom Hollywood Boulevard (ich hätte wohl bei Superman bleiben sollen) und fahre dann los auf der Suche nach dem Schild. Kann es nicht finden; fotografiere eine verlassene Fashion-Gegend, bevor ich zum Torung-Restaurant fahre, um Lewis zu treffen. Parke auf dem Kundenparkplatz eines anderen Ladens; leckeres Essen, und, glücklicherweise, kein Strafzettel.

30. Juni
Morgenritual des Austauschs verschiedener Batterien und Ladegeräte, und des Surfens durch verschiedene Klatsch-Webseiten. Keine Neuigkeiten sind diesmal schlechte Neuigkeiten für rumänische Journalistinnen und einen bestimmten Reporter der Jungle World, also reserviere ich ein Ticket für den Rückflug am Donnerstag.
Da ich schon in L.A. bin: Farrah Fawcetts Beerdigung ist heute, und ich lese, dass es eine private Feierlichkeit im Jonathan Club geben wird. Niemand verrät die Uhrzeit, aber wer weiß? Vielleicht fangen sie bald an. Fahre hin; finde einen Parkplatz auf dem Felsvorsprung über dem Club, aber es scheint keine Presse da zu sein. Die Wolken­decke sorgt für schönes Licht, also mache ich trotzdem ein paar Fotos und arbeite mich dann weiter durch die Checkliste.
University of California, Medical Center: Es stellt sich heraus, dass sie den Gedenkort gestern abgeräumt haben, dokumentiere trotzdem noch den Ort; eine Frau fragt im Vorbeigehen, ob ich vom National Enquirer bin. Irgendwie glaube ich, die wären etwas früher hergekommen, aber ich bin dankbar für das Kompliment (denke ich).
Fahre dann nach Holmby Hills, wo Michael Jackson wohnte. Verfahre mich, wieder. (Wenn ich nur herausfinden könnte, wie dieses verrückte GPS funktioniert!). Egal, es stellt sich als eine gute Sache heraus, denn ich komme zu einem Haus, von dem ich denke, dass es das Haus ist, in dem Jackson wohnte, als er vor Gericht stand. Finde dann irgendwann Jacksons letztes ehemaliges Haus wieder, mache Fotos von Journalisten, die den Ort überwachen (# 9), und eile weiter. Mittlerweile bin ich zu spät für die Trauerfeierlichkeiten von Farrah, und als ich schließlich auf verschiedenen Freeways im Verkehr feststecke, habe ich das große Ereignis verpasst. Als ich endlich parke und hinübergehe, ist die Gegend ziemlich verlassen. Mache noch ein Foto von einem Interview (# 12). Bekomme danach exklusive Fotos von den Blumen- und Buschwerklieferanten der Stars und Souvenirs für meine Sammlung.

1. Juli
Erwache zur folgenden sozial genetzwerkten Nach­richt über das neueste Familienmitglied: »Betreff: Hungriges Baby nebenan. Guten Morgen, David … Im Kühlschrank ist eine Schachtel mit gehacktem Ei. Tu einfach etwas in seinen Schnabel, bis es nichts mehr will (3–4 Stck.) L.« Finde die Schachtel im Kühlschrank; tue Stücke in seinen Schnabel (3–4 Stck.).
Gestern war die große Nachricht, dass es am 2. Juli eine Prozession zu Michael Jacksons Ranch geben wird, mit einer öffentlichen Aufbahrung am Tag danach. Also beschließe ich, ein vorbereitendes Schläfchen zu machen, aber als ich aufstehe, ist das Neueste, dass das niemals wirklich geplant war und dass der echte Plan der ist, dass immer noch nichts geplant ist. Argh. Ringe die Hände; suche nach Neuigkeiten über Pläne. Zahle für den Rückflug, bevor die Preise steigen.

2. Juli
Der frühe Morgen ist wirklich die beste Zeit, sich auf den Weg zu machen: Verkehr, Parkmöglichkeiten und Licht sind traumhaft, und das Internet muss warten. Um halb sechs morgens habe ich den Hollywood Boulevard fast für mich alleine (# 4). Bleibe bis 8 Uhr, fahre dann zurück zu Joe und Lena, und, ein paar Stunden später, zum Flughafen.
Kurz davor lese ich, dass es am nächsten Dienstag Gedenkfeierlichkeiten im Staples Center in Los Angeles geben wird, aber ich habe mein Ticket schon, und meine Familie wartet. Packe, nehme die Maschine nach New Hampshire.

3. Juli
New Hampshire. Es ist wirklich eine schlechte Angewohnheit. Aber ich kann nicht anders. Trage mich für eine Akkreditierung für das Staples Center ein und für die öffentliche Verlosung. Es gibt nur 11 000 Tickets, aber wer weiß? Ich könnte einer der Glücklichen sein. Die Flüge sind billig zurzeit, und es ist immerhin sicherer, als in den Iran zu gehen.

Aus dem Amerikanischen von Martin Schuster