Bertie Marshalls Roman »Berlin Bromley«

Wir waren Helden

Bertie Marshall erzählt in seinem auto­biographischen Roman »Berlin Bromley«, wie Punk damals wirklich war.

England im Jahr 1975. Bertie Marshall ist 15 Jahre alt und lebt mit seiner Mutter und seinem Stiefvater in Bromley, einem der äußeren Distrikte Londons. 1976 tauft er sich selbst »Berlin Bromley«. Unter diesem Namen ist der damalige Nachbar des noch bei Muttern lebenden David Bowie in die Punk-Geschichte eingegangen.
»Na und!« könnten Menschen sagen, wenn Bertie Marshalls Geschichte nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt, und fragen: »Punk? Ist das nicht diese Mode, so ein style, dessen Name heute auf T-Shirts gedruckt in der H&M-Kleinkinderabteilung verramscht wird?« Lassen Sie uns tief durchatmen und dann mit Vorwarnung brüllen: »Ist! Es! Nicht!« Sollten die so Zurechtgewiesenen nicht davongelaufen sein, überreichen Sie mit einem Knicks den autobiographischen Roman »Berlin Bromley«. Auch Sie werden das Buch lesenswert finden. Warum? Das fängt schon beim Cover an, das eine Fotografie zeigt, die das (schwule) Herz schneller schlagen lässt und die Frage aufwirft, ob nicht auch Bücher gerahmt werden sollten, denn dieses sollte und müsste.
Auf 170 Seiten geht es mit Elan um die Erlebnis­se der Hauptperson. Um Drogen hier, Vivienne Westwood und Sid dort. Um das Übliche, was man eben erwartet von den Memoiren eines Punk-Generators aus den Jahren 1975 bis 1977.
Bertie Marshall erinnert daran, dass Punk und die Veruneindeutigung der Geschlechter zusammengehören und -gehörten, weil in dieser Jugendkultur Geschlechterstereotype verwischt werden. Vielleicht können nur nicht alle so schil­lernd wie Siouxsie und Berlin dabei sein, wenn sie sich Performances ausdenken und dann tatsächlich durchführen. Etwa so spielt sich das dann aus der Sicht von Berlin Bromley ab: »›Heu­te brechen wir mal in Cherrys Weinbar einen Streit vom Zaun‹, schlug Siouxsie vor. ›Ich kann den Hund mitbringen und ihn auf den Boden kacken lassen.‹ Meine Eltern hatten einen widerlich fetten Cockerspaniel namens Pip. ›Oder du gehst als Hund‹, kicherte Siouxsie. ›Ich kann mir sein Halsband und seine Leine anlegen.‹ ›Au ja, lass uns das machen‹, quietschte Siouxsie. ›Ich weiß nicht.‹ ›Berlin!‹«
Überzeugend ist auch, wie klar »Berlin Bromley« den immer schon gegebenen Zusammenhang zwischen Punk und Warenfetischismus sichtbar macht. Das vermag Vivienne Westwood zwar ebenso, wenn sie Sarah Jessica Parker in »Sex and the City« eines ihrer Hochzeitskleider schenkt, aber Bertie Marshall macht’s besser. Berlin hat kein tapeziertes Zimmer, nein, »eine beige-braune Gittertapete von Habitat« ziert das seine, er raucht nicht, sondern will Feuer für seine »weiße Kent Deluxe«, Berlin hantiert nicht mit Rhabarber-Vanille-Rouge sondern mit »Rhabarber-Vanille-Rouge von Biba«. Das kann einen schon an den Rand eines Albtraums bringen zwischen vergleichsweise beruhigenden Absätzen wie diesem:
»Ich erinnere mich, Little Nell im Bangs, dem Nachtclub der siebziger Jahre gegenüber vom Centre Point in London, gesehen zu haben. Sie stakste mit einer Gruppe Schwuchteln über eine erhöhte Tanzfläche, die wie ein Boxring aussah. Die Tucken alle mit blankem Oberkörper. Auch sie zog ihr Oberteil aus und wackelte mit den Händen auf den Hüften los. Einer der Sicherheitstypen wies sie an, ihr Oberteil wieder anzuziehen. Was sie tat. Er ging weg. Sie zog es wieder aus.«
Berlin Bromley zeigt sich als Protagonist und Ich-Erzähler oft ungeschützt, das macht ihn sympathisch. Sprachlich kann das immer wieder überraschen und macht so viel Freude zu lesen, dass es einem schnurzpiepe wird, ob das nun echte Erinnerungen sind oder nicht. Wer magenverderbende Schonkost will, kann ja zu den Memoiren ehemaliger Staats­oberhäupter greifen.
Bertie Marshall wird vermutlich zu smart sein, um seine Erinnerungen noch auszuwalzen, da er schlichtweg auch Sinnvolleres mit seiner Zeit anzufangen scheint. Dieser Autor, der zum Beispiel von Dennis Cooper hoch gepriesen wird, macht auch Filme und berichtet von einer geplanten Dokumentation über Kathy Acker (1947 bis 1997), mit der er befreundet war. So lange er darüber das Schreiben nicht vergisst, klingt das nach einem guten Plan.
Und was sagte Berlin Bromley zu der Stadt, die er im Namen trägt, als er dann schließlich dort wirklich einmal angekommen ist: »Ich will nie wieder nach Berlin. Es ist eine kalte, triste, unglamouröse Stadt. Ihr fehlt jedes Charisma und sie ist entsetzlich provinziell.«

Bertie Marshall: Berlin Bromley. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Ventil, Mainz 2008, 220 Seiten, 11,90 Euro