Gelbe Gewerkschaften

Gelbe Zeiten

Wer qualifiziert ist und zu prekären Bedingungen eine Dienstleistung ausübt, könnte besonders anfällig für die so genannten gelben Gewerkschaften sein.

Michael Sommer, Frank Bsirske und Berthold Huber sind mächtige Männer. Noch vor fünf Jahren galten die Gewerkschaften und ihre großen Vorsitzenden entweder als elende »Bremser«, die dem »Umbau des Sozialstaats« im Wege standen, oder aber als überflüssig, weil sie den Hartz-Gesetzen und der »Agenda 2010« nichts Wirkungs­volles entgegenzusetzen wussten. Heutzutage, wo Umfragen zufolge erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik die Mehrheit der Bürger Verständnis für Streiks äußert, scheinen die Gewerk­schaften mit ihrer Ideologie der Sozialpartnerschaft wieder sehr beliebt zu sein.

Jenseits der Medienöffentlichkeit sieht die Rea­li­tät anders aus. Die Gewerkschaften des DGB verlieren konstant Mitglieder. Sie sind gesellschaftspolitisch so schwach, dass sie permanent auf die Unterstützung von Politikern angewiesen sind: Die entschiedensten Befürworter des Mindestlohns finden sich in der SPD und in der Linkspartei, aber nicht bei den Gewerkschaften. Und bei zweien der spektakulärsten Arbeitskämpfe der vergangenen Jahre spielten die Gewerkschaften gar keine Rolle. Sowohl beim Me­dizinerstreik 2006 als auch beim Arbeitskampf der Eisenbahner waren die DGB-Gewerkschaften abgemeldet, dagegen konnten sich andere wie der Marburger Bund und die GDL profilieren und Erfolge verbuchen.
Diese Beispiele verweisen auf eine enorme Veränderung, die mehr noch als der Mitgliederschwund von Gewerkschaftsstrategen höchst sorgenvoll regis­triert wird. Der Trend scheint zu unabhängigen Kleingewerkschaften und so genannten gelben Gewerkschaften zu gehen, vor allem zum unter anderem vom thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) protegierten Christlichen Gewerkschaftsbund, kurz CGB. Zwar haben die kleineren Organisationen nicht unbedingt viele Gemeinsamkeiten. So ist die GDL keineswegs eine an Konsens und fried­lichen Ausgleich glaubende christliche Gewerkschaft. Dem DGB ist das aber einerlei. Die Einheit der Gewerkschaften ist bedroht, so oder so.
Dabei dürfte die Existenz gelber Gewerkschaften für den DGB eigentlich kein Problem darstellen. Sie haben wenige Mitglieder, sind kaum in den Betrieben vertreten. Der CGB schweigt über die Zahl seiner Mitglieder, die kolportierte Zahl von 300 000 dürfte stark übertrieben sein.
Wenn nun in einer Branche eine christliche Gewerkschaft einen Tarifvertrag samt niedrigerer Löhne, kürzerer Kündigungsfristen und weniger Urlaubstagen aushandelt, gilt er zwar, wird aber in der Regel durch eine konzertierte Aktion der Beschäftigten (Streik) wieder aufgehoben. Man kann keine Verhandlungsergebnisse durchsetzen, wenn man keine Mitglieder und keinen Rückhalt in den Belegschaften hat. Zwar erfüllt eine gelbe Gewerkschaft die formalen Voraussetzungen der »Tariffähigkeit« und kann darum von den Unternehmern als Verhandlungspartner auserkoren werden. Ohne die Unterstützung der Belegschaften nützt ihr das allerdings nichts.

So war es zumindest bisher. In den Bereichen gesellschaftlicher Arbeit, die in den vergangenen Jahren boomten, haben sich die Gelben etablieren können. In der Zeitarbeitsbranche gewinnen die christlichen Gewerkschaften an Einfluss. Das Auf­kommen der Gewerkschaft der neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ) passt zu dem, was von der Post nach der Privatisierung übrig geblieben ist. Die tief in die Korruptionsfälle bei Siemens verstrickte Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) erwies sich für hoch qua­lifizierte Facharbeiter als attraktiv. Qualifizierte Angestellte, die in neuen »Dienstleistungssektoren« prekär beschäftigt sind, so genannte white collar worker – das sind die Subjekte, die heutzutage für den Wandel der Industriegesellschaft stehen und die offensichtlich besonders anfällig sind für die Angebote der gelben Gewerkschaften. Warum?
Eine naheliegende Antwort: Eine DGB-Gewerkschaft ist eine große Serviceorganisation, die die Härten des Kapitalismus konkret an Ort und Stelle, im Betrieb, ein wenig abzumildern versucht. Doch das gelingt ihr immer weniger. Auf die mannigfaltig wandelbare und zerlegbare Form des Betriebs weiß sie keine Antwort. Betrie­be gelten dem DGB als etwas Starres, Überzeitliches. Outsourcing, die Einführung innerbetrieb­licher Arbeitsmarktstrukturen, die Aufhebung flächendeckender Tarifverträge, die Schaffung eines zweiten und dritten Arbeitsmarkts – gegen all das zeigen sich die DGB-Gewerkschaften macht­los. Von der wachsenden Unsicherheit profitieren nicht etwa subversive Organisationen des Pre­­kariats, sondern eben jene Gewerkschaften, die »serviceoptimierte« Kleinlösungen versprechen. Den Unternehmern gegenüber zeigen sie sich frei von Sozialstaatsnostalgien, den Lohnabhängigen gegenüber präsentieren sie sich als »un­bürokratisch« und »unideologisch«.
Im Umkehrschluss heißt das: Die Gewerkschaf­ten des DGB haben sich selbst entmündigt. Wer seine Geschichte mit dem »Modell Deutschland« verknüpft, wer auf soziale Partnerschaft setzt, soll sich nicht wundern, wenn in Zeiten, in denen die große Politik sich auf überparteiliche »Sachzwän­ge« reduziert, die eigene Politik immer mehr zu Service- und Ausbesserungsarbeiten verkommt. Wenn dann für die Arbeiter und Angestellten noch nicht mal mehr der Service stimmt, treten sie aus. Das ist die Erklärung der Gewerkschaftslinken. Der DGB hat sich das Problem selbst eingebrockt, also muss er es auch selbst auslöffeln.

Die Gelben sind aber, so betrachtet, keine Verräter, sondern führen nur die Politik des DGB konsequent weiter. In 60 Jahren Bundesrepublik haben seine Gewerkschaften jede Form der Spaltung des Arbeitsmarkts mitgemacht und die Herrschaft des Kapitals im Betrieb selbst niemals wirkungsvoll angegriffen.
Die Gelben sprechen in einer formalrechtlich immer weiter zersplitterten Arbeitswelt Gruppen an, die für die Einheitsgewerkschaften weitgehend uninteressant sind, weil sie als kaum organisierbar gelten. Und sie sprechen Gruppen an, die von »ihrer Gewerkschaft« eine spezielle Behandlung gemäß ihrer Stellung im Produktions- und Verwaltungsprozess erwarten. Die Gelben at­tackieren die DGB-Gewerkschaften nicht, sondern treten da in Erscheinung, wo deren Politik der klassischen Sozialpartnerschaft an ihre Gren­zen stößt. So könnte man beinahe auf eine friedliche Arbeitsteilung der Organisationen schließen. Aber in einem so dynamischen System, wie es der moderne Kapitalismus ist, kann sie nicht stattfinden. Mit jeder weiteren Veränderung des Arbeitsmarkts werden die Gelben das Monopol des DGB weiter beschädigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die große Politik erneut, wie vor fünf Jahren, die Daseinsberechtigung des DGB bezweifeln wird.