»Echte« und »unechte« Österreicher in der Nationalmannschaft

Es möchte echt sein

David Odonkor war vor zwei Jahren eine der großen Entdeckungen. Der Flügelspieler auf der rechten Seite wurde von Jürgen Klinsmann überraschend in den deutschen WM-Kader berufen und entschied mit seinen Flankenläufen gleich das Spiel gegen Polen. So ein Typ könnte auch Ümit Korkmaz für den EM-Gastgeber Österreich sein. Wie Odonkor gab er erst kurz vor dem Großereignis sein Teamdebüt, auch er spielt auf der Seite, sprintet und dribbelt, auch er kann Flanken schlagen. Und auch er ist das Kind von Migranten. Zumindest bei Rapid Wien, wo er seit 2006 spielt und regelmäßig begeisterte »Ü-Ü-Ümit«-Sprechchöre auslöst, ist er sehr beliebt. Korkmaz ist einer aus der nur langsam wachsenden Gruppe österreichischer Nationalspieler aus der zweiten Generation der Einwanderer. Neben ihm steht nur noch der Hoffenheimer Ramazan Özcan als dritter Tormann im EM-Kader sowie György Garics und Ronald Gercaliu, die allerdings als Nachwuchsspieler aus Ungarn beziehungsweise aus Albanien nach Österreich gekommen sind. Der Bremer Stürmer Martin Harnik ist deutsch-österreichischer Doppelstaatsbürger. Auch Spielmacher Andreas Ivanschitz klingt migrantisch, doch schon sein eingedeutschter Name verrät, dass seine Eltern Burgenland-Kroaten sind, die seit Generationen in Österreich leben. Nicht zu vergessen ist Ivica Vastic, der sich gegen die kroatische Nationalmannschaft entschied und daraufhin eingebürgert wurde, um im österreichischen Team spielen zu können. Legendär ist die Schlagzeile mit der die Kronenzeitung Vastic nach einem Tor bei der WM 1998 gratulierte: »Jetzt bist du ein echter Österreicher.«

In diesem Sinne »echt« zu sein, ist gar nicht so einfach in einem Land, das seit Monarchiezeiten immer schon eine Drehscheibe zwischen Ost und West gewesen ist. Auch wenn das von den »ech­ten Österreichern« gerne vergessen wird: Fußball war in Österreich von Anfang an ein »Migrantensport«. In der Zwischenkriegszeit lebte der »Donaufußball« im Schmelztiegel Wien von der Beteiligung der tschechischen Minderheit, zu der auch Matthias Sindelar gehörte, der geniale Techniker der Wiener Austria. Die Erfolge im internationalen Vergleich – beispielsweise als WM-Vierter 1934 – wären ohne den Beitrag von »Fußballmigranten« kaum möglich gewesen.
Der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg beendeten diese Tradition. Nach 1945 waren es zunächst Flüchtlinge, die im Fußball ihre Spuren hinterließen: die so genannten Volksdeutschen, später dann Ungarn und Tschechen. In den frühen sechziger Jahren begann mit dem wirtschaftlichen Aufschwung auch das Kapitel der Arbeitsmigration. 1966 schloss Österreich ein »Anwerbeabkommen« mit Jugoslawien. Im Fußball hatte die Rekrutierung im Ausland sogar ein wenig früher eingesetzt. Neben ungarischen Spielern waren es vor allem Jugoslawen und Deutsche, die ab 1960 zunehmend als »Legionäre« eingesetzt wurden.

Obwohl in den Parks und Freizeitanlagen der Städte seit den siebziger Jahren immer mehr junge migrantische Fußballer trainierten, konnten nur die wenigsten in Österreich aufgewachsenen türkischen und jugoslawischen Kinder in den Vereinen oder gar im Profigeschäft Fuß fassen. Das lag in erster Linie an den Ausschlussmechanismen der Gesellschaft: Beim Wort »Gastarbeiter« wurde von den Österreichern vor allem der erste Teil geschätzt – die Rückkehr in das Herkunftsland wurde vorausgesetzt, warum also die jungen Leute in die hiesigen Fußballstrukturen integrieren? Im Österreichischen Fußballbund herrschen bis heute absurde Bestimmungen, die bei Amateurmannschaften die Anzahl der Ausländer auf zwei bis drei Spieler pro Team begrenzen. Viele Gastarbeiter nahmen die Organisation des Fußballs deshalb lieber gleich selbst in die Hand, und so fanden beispielsweise in Wien eigene Ausländermeisterschaften wie die berühmte »Jugo-Liga« statt. Zwar wurden migrantische Nachwuchsspieler bereits in den achtziger Jahren Österreichern gleichgestellt, bis vor wenigen Jahren mussten aber die Kampfmannschaften, also die ersten Vereinsmannschaften, mehrheitlich aus Österreichern bestehen. Heute dürfen eigene »Vereine, die eine bestimmte Volksgruppe fördern« in den offiziellen Amateurligen mitspielen.
All das hatte freilich zur Folge, dass mindestens eine Generation junger und talentierter Spieler verloren ging. Vermutlich ist das vor 30 Jahren kaum jemandem aufgefallen, es gab ja die Schmach von Cordoba – jenen Moment nationaler Fußballhistorie, an den sich wirklich nur die Österreicher und die Deutschen erinnern können. Die Spieler von damals dominieren in unterschiedlichen Funktionen bis heute den alpenländischen Fußball. Krankl, Prohaska oder Hickersberger waren »echte Österreicher«, sozial betrachtet Lehrlinge und Arbeiterkinder. Spieler mit Migrationshintergrund findet man in dieser Generation und in den darauf folgenden Jahren so gut wie keine. Speziell die Abwesenheit türkischstämmiger Fußballer fällt auf. Obwohl sie in der Gesamtbevölkerung einen immer größeren Anteil stellen, kamen nur zwei türkisch-österreichische Spieler im Lauf der achtziger Jahre in der obersten Spielklasse zum Einsatz. In den frühen neunziger Jahren wuchs der Anteil mi­grantischer Jugendlicher im Nachwuchsfußball immer stärker. Muhammet Akagündüz, der mit neun Jahren aus der Türkei nach Österreich kam, begann seine Vereinskarriere als Jugendlicher bei einem kleinen Wiener Unterhausclub. 90 Prozent seiner Mitspieler dort waren Migranten. Auch aus der Generation dieses Stürmers schafften aber nur wenige migrantische Fußballer den Sprung zu Proficlubs. Sein Nationalteamkollege Yüksel Sariyar wurde in einem Wiener Park von einem Nachwuchstrainer der Austria entdeckt.
Mit dem Deutschen Bernd Krauss, dem Niederländer Frenkie Schinkels und später einer Reihe kroatischer Spieler wie Ivica Vastic haben schon eingebürgerte ehemalige »Legionäre« im österreichischen Team gespielt. Erst 1999 kam aber mit Zoran Barisic das erste »Gastarbeiterkind« zu einem A-Länderspiel-Debüt. Am Vorabend der Europameisterschaft 2008 scheint der Beitrag der zweiten Generation zum Team ein wenig selbstverständlicher geworden zu sein.
Haben Spieler wie die nicht in den EM-Kader berufenen Nachwuchsfußballer Ruben Okotie und Veli Kavlak es also leichter als ihre Kollegen vor 20 Jahren? Bei der Wiener Austria waren in der Saison 2007/08 mit Fußballern wie Kuljic, Ma­jstorovic, Sulimani, Gercaliu und Sariyar eine Reihe von Spielern Österreicher aus der zweiten Generation der Einwanderer, darunter mehrere Nationalteamspieler. Yüksel Sariyar zufolge war das innerhalb des Clubs aber kein großes Thema: »Die Auswahl erfolgte sicher nicht bewusst. Es geht dabei doch eher darum, Schwächen im Kader auszugleichen oder sportliche Ziele zu erreichen. Groß diskutiert wird das nicht, im Fußball geht es um andere Dinge. Ich sehe uns auch nicht als Ausländer.« Im positiven Sinn ist diese Aussage ein Beleg dafür, dass eine »kritische Masse« von Spielern aus Zuwandererfamilien den österreichischen Fußball heute deutlich verändert hat und ihr Einsatz weitgehend normal geworden ist.

Nur selten wird aber in Österreich die Nationalmannschaft als positives Beispiel oder Vorbild gegen Rassismus herangezogen. Dabei ist die Zusammensetzung des Nationalteams ein Spiegel der Gesellschaft. Etwa 15 Prozent der Einwohner des Landes wurden nicht hier geboren. In Wien haben sogar rund 30 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Doch Role Models, wie sie in Deutschland Lukas Podolski, Kevin Kuranyi oder Gerald Asamoah darstellen und die die Realität der Einwanderergesellschaft abbilden, fehlen in Österreich. Muhammet Akagündüz, der auch zu politischen Themen wie Integration Stellung nimmt (»Ich bin zu 50 Prozent Türke und zu 50 Prozent Österreicher. Aber ich bin zu 100 Prozent Muslim. Das muss kein Widerspruch sein«), hätte diese Funktion bei noch größeren sportlichen Erfolgen möglicherweise übernehmen können. Vielleicht haben seine Nachfolger ja in den Wochen der Europameisterschaft mehr Glück – und auch aus Korkmaz, Garics und Gercaliu werden dann »echte Österreicher«.

Georg Spitaler hat zusammen mit Barbara Liegl das kürzlich erschienene Buch »Legionäre am Ball. Migration im österreichischen Fußball nach 1945« geschrieben.