Entlassung der Regierung in Guinea

Ein Auto für den Meuterer

Der Präsident Guineas hat den mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ausgehandelten Kompromiss aufgekündigt. Auf den Straßen blieb es zunächst ruhig, doch nun meutern die Soldaten.

»Rühr’ meinen Kumpel nicht an«, lautete die Devise des Präsidenten der Republik Guinea, Lansana Conté, im vergangenen Monat. Der Kumpel heißt Mamadou Sylla und genießt, umgeben von seinen drei Ehefrauen, seinen Reichtum in einer prächtigen Villa. Er ist der einflussreichste Privatunternehmer des Landes, und den größten Teil seines Vermögens verdankt er Präsident Conté, der 1986 ihm und anderen Geschäftsmännern ein Guthaben überließ, um eine Klasse von Privatunternehmern zu schaffen. Als einziger hat Sylla das Geld nie zurückgezahlt.
Der notorisch korrupte Sylla, der zahlreiche Ein­fuhrmonopole hält, ist in Guinea ein durchaus umstrittener Mann. Vor anderthalb Jahren saß er im Gefängnis, doch Präsident Conté wurde persönlich in der Haftanstalt vorstellig und holte ihn aus der Zelle – mit den Worten: »Die Justiz bin ich.« Dieses Ereignis löste jedoch im Januar vergangenen Jahres einen Generalstreik und Massenproteste aus, in deren Verlauf 120 Menschen von Polizisten und Soldaten erschossen und 3 000 verletzt wurden.

Schließlich war Präsident Conté jedoch zu Kompromissen gezwungen. Die beiden stärksten Gewerkschaften des Landes, die den Streik organisiert und angeführt hatten, präsentierten ihm eine Liste mit vier Namen von renommierten Per­sönlichkeiten, die ihnen, im Gegensatz zur Mehrzahl des Regierungspersonals, als »nicht korrupt« galten. Ende Februar 2007 ernannte Conté den früheren Sekretär der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO, Lansana Kouyaté, zu seinem Premierminister. Der Präsident, dessen Rücktritt die protestierenden Massen zunächst gefordert hatten, sollte mit dem Premierminister gemeinsam regieren.
Dieses Modell wurde auch in anderen afrikanischen Staaten angewendet, um Konflikte zu entschärfen. Im März 2007 teilten die offizielle Regierung der Côte d’Ivoire, die die Südhälfte des Landes verwaltete, und die bewaffnete Opposition, die die Nordhälfte beherrschte, in ähnlicher Weise die Macht. In Kenia endete der Streit um den mutmaßlichen Wahlbetrug vom vergangenen Dezember damit, dass Präsident Mwai Kibaki seinen politischen Rivalen Raila Odinga im April zum Premierminister ernannte.
Doch in Guinea hat der Präsident den Kompromiss nun aufgekündigt. Denn inzwischen ist Kouyaté seines Amtes enthoben worden, am 20. Mai wurde sein Nachfolger ernannt, der als Technokrat geltende Ahmed Tidiane Souaré. Der neue Premierminister erklärte sich zwar im Wochenmagazin Jeune Afrique vom Montag dieser Woche selbst zum Repräsentanten aller Guineer: »Ich bin der Mann des Präsidenten, der Gewerkschaften und der Bevölkerung.« Aber er fügte auch hinzu, dass »der Posten des Premierministers in der Verfassung der Republik Guinea nicht vorgesehen ist«. Damit will Souaré wohl andeuten, dass er sein Amt schnell verlieren würde, wenn er es wagen sollte, sich mit dem Staats­oberhaupt anzulegen.
Eben dies hatte Kouyaté getan. Bei seinem letzten und entscheidenden Streit mit Conté ging es um die Interessen von Mamadou Sylla. Am 10. April hatte Sylla in seiner Eigenschaft als Präsident des Unternehmerverbands umfassende Vollmachten erhalten, um Guinea auf der 97. Konferenz der International Labour Organisation zu vertreten. Anfang Mai annullierte Kouyaté die Vollmacht, mit der Unterstützung vieler Unternehmer. Denn auch in den eigenen Reihen ist Sylla umstritten, im Unternehmerverband gibt es einen weiteren Präsidenten, der Syllas Legitimität bestreitet. Doch Conté hielt zu seinem Kumpel und feuerte Kouyaté.
Diese Entscheidung könnte zu neuen Protesten führen, zumal die wichtigsten Zugeständnisse, die den Streikenden im vergangenen Jahr gemacht wurden – eine Senkung der Preise für Transportmittel sowie das wichtigste Grundnahrungsmittel, Reis –, längst durch den erneuten Preisanstieg hinfällig worden sind. Doch bislang kam es nicht zu sozialen Unruhen. Die Zeitschrift Jeune Afrique meint, dass Präsident Conté klug genug gewesen sei abzuwarten, »bis die Popularität Kouyatés auf ihrem Tiefpunkt angelangt ist«. Denn die sozialen Probleme blieben ungelöst oder haben sich sogar verschärft.

Einem der wichtigsten Probleme hatte Kouyaté sich erst ganz zuletzt gewidmet, nämlich der mehrfach angekündigten und immer wieder hinausgezögerten Neuverhandlung der Rohstoffverträge, die Guinea mit ausländischen Firmen hat, die die Bodenschätze des Landes derzeit zu für sie sehr günstigen Konditionen abbauen. Doch in der zweiten Aprilwoche war es soweit: Die zur Neuverhandlung der Verträge eingesetzte Kommission kündigte an, mit der russischen Aluminiumfirma Russal, die am Abbau der riesigen Bauxitvorkommen in Guinea beteiligt ist, Gespräche aufzunehmen. Das Unternehmen solle etwa dazu gebracht werden, erstmals eine Miete an den Staat für die zur Verfügung gestellten Gebäude und die Infrastruktur zu entrichten. Dazu wird es nun vorläufig wohl nicht kommen, weil sich der Clan um Sylla, der sich vor allem an den Außenwirtschaftsbeziehungen bereicherte, gegen seine Rivalen und Gegner durchsetzen konnte.
Statt der Zivilisten meuterten in der vergangenen Woche die Soldaten der Armee. Sie protestierten, weil ihnen der Reis, dessen Kaufpreis zu 40 Prozent von der Regierung subventioniert wird, zu teuer geworden ist. Zudem reklamierten sie ausstehende Soldzahlungen in Höhe von fünf Milliarden guineischen Franc (rund eine Million Euro). Die Soldaten schossen seit Montag vergangener Woche an vielen Orten des Landes in die Luft, wobei drei Zivilisten getötet und weitere zehn schwer verletzt wurden. Örtliche Beobachter meinen, dass die schlecht ausgebildete Armee keinerlei Training im verantwortlichen Umgang mit Schusswaffen habe.

Die Popularität ihres Protests bei der Bevölkerung erhöht das nicht, obwohl die Meuternden am Wochenende sogar so weit gingen, die Entlassung sämtlicher Generäle des Landes, »wenn nötig einschließlich des Generals Conté«, also des Präsidenten, und den Rücktritt der auch bei den Zivilisten verhassten Militärführung zu fordern. Am Wochenende verhandelte Präsident Conté allerdings mit den Anführern der aufständischen Soldaten, die plötzlich nicht mehr die Entlassung der Generäle fordern. Ein Fünftel des ausstehenden Solds soll inzwischen ausgezahlt worden sein. Den Meinungswandel der Anführer führt die Webpage Guineenews darauf zurück, dass Conté dem Wortführer Claude Pivi ein Auto versprochen habe.