Die Überwachungsmaßnahmen bei der Telekom

Die machen das!

Um Informanten in der Firmenleitung zu enttarnen, hat die Telekom sich Tausender eigener Verbindungsdaten bedient. Der Skandal zeigt, zu welchen Ergebnissen die Vorratsdatenspeicherung führen kann.

Ob es um den Verkauf des schicken »IPhone« geht, das schnelle Datennetz VDSL oder Fernsehen auf dem Handy – die Deutsche Telekom sieht sich stets als Vorreiter, versucht, die neuesten technologischen Entwicklungen als erster Konzern in Deutschland anbieten zu können. Diese bisher im üblichen Neusprech der Werbung lediglich vom Unternehmen behauptete »Pionierrolle« scheint die Telekom nun auf anderem Gebiet endlich ein­zunehmen: In der bereits »Telekomgate« genann­ten Spitzelaffäre hat der Konzern, der einmal eine überaus träge Behörde war, äußerst kreativ die gesammelten Datenbestände seiner Kunden genutzt, um herauszufinden, welcher Mitarbeiter, Mandatsträger oder Betriebsrat der Presse streng vertrauliche Informationen zuspielte. Umfangreiche Stellenstreichungen und langjährige Finanz­planungen waren stets vorab öffentlich bekannt geworden.

In den Jahren 2005 und 2006 gab der Konzern Tausende intern vorliegende Kunden- und Abrechnungsdaten an eine Berliner Agentur weiter. Diese sollte herausfinden, wer aus den Reihen der Telekom regelmäßig die Presse unterrichtet hatte. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung wurde sogar um Bewegungsprofile gebeten, wie sie sich aus den Funkzellendaten der Handy­gespräche und SMS erstellen lassen. Analysiert wurden einerseits die Daten der Journalisten und andererseits die der Telekom-Angestellten. Allerdings wurden im Gegensatz zu den kürzlich bekannt gewordenen Bespitzelungen bei Lidl, Aldi, Schlecker, Ikea, Burger King und anderen Firmen bei der Telekom nicht die am niedrigsten entlohnten Angestellten überwacht, sondern die ganz hohen Ränge, diejenigen Mitarbeiter, die über Zugang zu äußerst vertraulichen Informa­tionen und Firmengeheimnissen verfügten.
Aber nicht nur mit den neuen technischen Mög­lichkeiten der Datenauswertung und Profil­erstellung wurde spioniert, man griff auch zu den bewährten Methoden. So soll es einer Detektei im Auftrag der Telekom 2005 gelungen sein, einen Maulwurf in der Redaktion der Wirtschafts­zeitschrift Capital zu platzieren, während ein Redakteur der Financial Times Deutschland glaubt, bereits bei seinen Treffen mit Mitarbeitern der Telekom im Jahr 2000 per Video überwacht worden zu sein. Die Schnüffler waren bestens qualifiziert, die engagierten Spitzel sollen ihr Handwerk beim Bundeskriminalamt, beim Verfassungsschutz und in der Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit gelernt haben.
Derzeit ist nicht klar, wer die Überwachungsmaßnahmen angeordnet hat: Klaus Zumwinkel etwa, der ehemals mächtige Vorsitzende des Aufsichtsrats, oder einer der drei bisherigen Vor­stands­vorsitzenden des Unternehmens? Nichts scheint undenkbar zu sein, weder was das Ausmaß weiterer Enthüllungen, noch was den Rang der kriminell Handelnden in der Firmenhierarchie angeht. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft, auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Telekom haben bereits Strafanzeige erstattet. Denn natürlich war die Weitergabe der Daten strafbar, und neben dem Verstoß gegen Datenschutzgesetze wiegt vor allem der Bruch des Fernmeldegeheimnisses schwer: Er kann mit fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden.

Der Skandal ist so gravierend, dass Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Montag die Vorstandsvorsitzenden der großen Telekommunikationskonzerne einbestellte, um mit ihnen zu erörtern, »wie der Datenschutz in Unternehmen wirksam realisiert werden kann und welche Maß­nahmen dazu beitragen können«. Außer René Obermann, dem Vorstandsvorsitzenden der Telekom, folgten jedoch nur die Vertreter der Inter­essenverbände Bitkom und VATM. Dieses Vorgehen von Schäuble ist beispiellos – und es ist kein Wunder, wenn Obermanns Kollegen dort nicht erschienen und mit der Affäre nicht in Zusammen­hang gebracht werden wollten. Auch fürchten sie durch strengere Bestimmungen weitere Kosten für die von ihnen sowieso ungewollte Speicherung der Daten.
Man fragt sich, warum ausgerechnet Schäuble sich dem Datenschutz widmet. Denn der Minister ist bekannt für das überaus große Verlangen nach immer weiteren Daten der Bürger. Seien es Fingerabdrücke oder sonstige bio­metrische Daten, Überwachungsbilder der Mautkontrollstellen auf den Autobahnen oder Vi­deos aus dem Nahverkehr, alles soll handlich in Datenbanken aufbereitet werden und den staatlichen Organen möglichst uneingeschränkt zugänglich sein.
Aber Schäuble weiß selbstverständlich, dass er einschreiten muss, handelt es sich bei den Ge­scheh­nissen um die Telekom doch nicht um einen Spitzelskandal im klassischen Sinne. Denn abgehört wurde hier nicht, es wurden diejenigen Telekommunikationsdaten analysiert, die ge­mäß des Ende 2007 verabschiedeten Gesetzes über die Vorratsdatenspeicherung auch von der Telekom erfasst werden müssen. Die Telekom hat erstmals demonstriert, was sich mit den gesammelten An­gaben über Gesprächsteilnehmer, Gesprächsdauer und Ort des Aufenthaltes anstellen lässt. Man kann so z.B. die Arbeit der Be­triebs­räte und unliebsamer Journalisten wirksam überwachen. Was der Telekom AG noch fehlte, waren Daten aus der E-Mail-Kommunikation, die nach dem Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung erst ab Januar 2009 erhoben und dann für ein halbes Jahr gespeichert werden, also die Sender- und Empfängeradresse, die IP-Adresse und die Häufigkeit des Mailbox­abrufs. Schäuble hat die berechtigte Angst, dass durch das eigenmächtige Handeln der ehemaligen Staats­behörde seine Sicherheitsgesetze diskreditiert werden.

Genau darauf spekulieren Schäubles Gegner: Ricardo Cristof Remmert-Fontes vom bundesweit aktiven »Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung« führt im Gespräch mit der Jungle World aus, dass der aktuelle Fall zeige, dass »Daten, wenn sie erst mal gesammelt werden, auch missbraucht werden«. Für ihn ist der Fall der Telekom nur Teil einer »logischen Weiterentwicklung«. Aber es böte sich nun, da auch die Medien selbst betroffen sind, die Gelegenheit zu einer ausführlichen, kritischen Debatte über die Gefahren der Informa­tions- und Überwachungsgesellschaft. Im vergan­genen Jahr war das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ohne allzu große Diskussion im Parlament abgenickt worden ist.
Wenigstens zeigt sich die Telekom als würdiger Global Player. Wie 2006 bekannt wurde, hatte der Vorstand der US-Firma Hewlett-Packard Privatermittler beauftragt, Telefondaten von Verwal­tungsratsmitgliedern, Betriebsangehörigen und Journalisten auszuwerten, um Informanten im eigenen Konzern zu enttarnen. Das Problem ist also nicht auf einzelne Staaten oder Branchen be­schränkt, sondern wirklich umfassend und von bisher ungekannter Dimension.