Gefolgschaft ist keine Option

Die neue polnische Regierung wird mit weniger nationalistischem Getöse auf­treten und gleichzeitig die engen Beziehungen zu den USA überdenken. von martin behrens

Der neue polnische Ministerpräsident ist ein angenehmer Gegenpart zu seinem verschmitzten, bisweilen irrational agierenden Vorgänger Jaroslaw Kaczynski. Der Historiker Donald Tusk, der mit einer Koalition aus rechtsliberaler Bürgerplatt­form und der Polnischen Volkspartei regiert, ist ein Mann der leisen Töne. Kaczynski hatte Polen dagegen mit nationalistischem Tam-Tam ins internationale Abseits manövriert, sich innenpolitisch vor allem durch blinden Aktionismus hervorgetan und war dabei, den Rechtsstaat schleichend auszuhöhlen.

Dennoch: Einen radikalen Kurswechsel in der Außenpolitik wird es auch mit Tusk nicht geben. So werde Polen der Charta der Grund- und Bürger­rechte vorerst nicht beitreten, um die Ratizifie­rung des EU-Reformvertrags nicht zu gefährden. Wohl aber andere Umgangsformen und voraussichtlich mehr Kompromissbereitschaft. Wie auch Kaczynski will er sein Land auf der internationalen Bühne etablieren. Anders als sein Vorgänger wird er dies aber weder im Alleingang noch gegen seine Partner versuchen. Ebenso werden sich Akzente verschieben, so sollen die Beziehungen zu den USA neu austariert werden. Der Abzug der 900 polnischen Soldaten aus dem Irak steht kurz bevor, und auch über das US-Raketenschild wird Tusk neu verhandeln lassen (Jungle World 11/07). Schließlich ist ihm auch an besseren Beziehungen zum russischen Nachbarn gelegen.

Zu früh haben sich all jene gefreut, die nun eine handzahme polnische Regierung erwarteten. Es ist naiv, von Tusk etwas anderes als die Vertretung polnischer Interessen zu erwarten. Dafür wurde er gewählt und nicht, um einen alles abnickenden Vasallenstaat seiner Nachbarn zu schaf­fen.

Gleichwohl muss man die neue Koalition ohne Zweifel als pro-europäisch einordnen. Auch der Euro, bei dessen Erwähnung Vertreter der alten Regierung bereits nervös wurden und gerne Hor­ror­szenarien vom Niedergang der polnischen Wirt­schaft an die Wand malten, soll eingeführt werden – und zwar noch vor der Fußball-Europameisterschaft 2012. Revolutionär, wie oft in west­lichen Medien behauptet, ist das nicht. Zu leicht vergessen Kommentatoren, dass Polen vertraglich schließlich zur Euro-Einführung verpflichtet ist. Die meisten Maastricht-Kriterien erfüllt das Land inzwischen.

Veränderungen könnte es auch in den deutsch-polnischen Beziehungen geben. Der neue polnische Außenminister Radoslaw Sikors­ki kündigte bereits einen »neuen Stil« an. Der konservative Journalist, der einst in Afghanistan an der Seite der Mujahedin gegen die Sowjetarmee gekämpft und in England im Jahr 1989 politisches Asyl beantragt hatte, ist ein alter Bekannter. Bereits unter Kaczynski fungierte der parteilose 45jährige als Verteidigungsminister. Er wurde Anfang des Jahres jedoch geschasst. Es hatte Gerüchte gegeben, er sei er ein ausländischer Agent. Als unbedingt stilsicher hatte er sich in den anderthalb Jah­ren zuvor allerdings nicht präsentiert: Das unabgesprochene Vorpreschen Deutschlands und Russlands beim Bau einer Ostsee-Pipeline verglich er mit dem Hitler-Stalin-Pakt. Rhetorisch überzogen formulierte er eine inhaltlich sicherlich berechtigte polnische Sorge in Hinblick auf Gerhard Schröders und Wladimir Putins Politik.

Tusk holte ihn zurück in die Regierung und gewann damit einen ersten Machtkampf mit Staats­präsident Lech Kaczynski, dem Zwillingsbruder des ehemaligen Ministerpräsidenten. Der sieht in Sikorski nämlich eine Bedrohung für Polen und äußerte erhebliche Bedenken gegen seine Berufung. Von geheimen Materialien schwadronierte er, die dies belegten. Wirklich ernst genommen wird der Präsident allerdings nicht mehr. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass auch sein Stern im Sinken ist, sollte er sich der neuen Regierung gegenüber nicht dauerhaft neutral verhalten. Das dürfte dem Parteisoldaten schwer fallen, der bei seiner Wahl seinem Bruder salutierte: »Auftrag erfüllt, Herr Vorsitzender.« Mit seiner Vetomacht kann er jedoch wichtige Vorhaben der Regierung Tusk verhindern. Insbesondere in der Außenpolitik könnte dies passieren.

Das geplante deutsche Zentrum gegen Vertreibungen wird auch die neue Regierung bekämpfen. Außenminister Sikorski hält die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, für »be­sonders schädlich für die deutsch-polnischen Beziehungen«. Diese Beziehungen zu verbessern, hat sich die Regierung aber auf die Fahne geschrie­ben. Alleine kann sie dies freilich nicht, sie ist auf deutsches Entgegenkommen angewiesen.

Eine der ersten Handlungen von Tusk war es, den Auschwitz-Überlebenden Wladyslaw Bartoszewski zum Staatssekretär und »außenpolitischen Sonderbevollmächtigten für die Wiederherstellung der guten Beziehungen zum Ausland« zu berufen. Die jüdische Dispora und Deutschland nannte Bartoszewski als seine Haupttätigkeitsfelder. Schon qua Existenz dürfte er für alle Neokonservativen im Nachbarland, die auf eine Renationalisierung des Erinnerns drängen und so gerne von einer »Normalisierung« des deutschen Geschichtsbewusstseins sprechen, sehr un­bequem sein.

Innenpolitisch wird Tusks Bürgerplattform (PO) die zuletzt ins Stocken geratene Privatisierungswelle weiter forcieren. Zuständig dafür ist Tusks Duzfreund und neuer Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak. Jahrelang war er Leiter der Warschauer Börse für landwirtschaftliche Produkte, davor bereits zweimal kurzzeitig und erfolglos Ministerpräsident. Aus der PO soll langfristig eine konservative Parteiunion nach dem Muster der CDU/CSU entstehen, die für die Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit wohl den Abschied in die Bedeutungslosigkeit bedeuten würde. Da­zu könnte auch eine kritische, justizielle und par­lamentarische Aufarbeitung der Machenschaften der vergangenen zwei Jahre beitragen. Ob Tusk jedoch bereit ist, diese Aufarbeitung konsequent zu betreiben, muss sich erst noch zeigen. In der polnischen Gesellschaft herrscht kein Konsens in dieser Frage.

Ohnehin dürfte die Realität die neue Regierung bald einholen. Das Gesundheitssystem ist eines der größten Probleme. In Scharen laufen ausgebildete Ärzte davon, weil sie weder akzeptable Arbeitsbedingungen noch eine vernünf­tige Entlohnung erwarten können. Das Gesundheitssystem steht ähnlich wie das Rentensystem vor dem Kollaps. Für letztgenanntes hat Tusk bereits erhebliche finanzielle Kürzungen angekün­digt. Wirtschaftsliberalismus gilt als ein Zauberwort in Polen.