Hizbollah’s Homegrown

Seit diesem Frühjahr wird im libanesischen Bekaa-Tal wieder Hanf angebaut. In den vergangenen Wochen wurde die erste Groß­ernte eingefahren. Begünstigt wird das Comeback von Cannabis durch die anhaltende politische und wirtschaft­liche Krise sowie durch die angespannte Sicherheits­lage im Land. von markus bickel

Erwischt haben sie Fadi hier oben, am Checkpoint kurz vor Chtaura, wo die Bekaa-Ebene Reisenden in ihrer ganzen Weite zu Füßen liegt. Rich­tung Süden erstrecken sich die großen libanesischen Weingüter; Ksara, Kefraya, Château Musar heißen die bekanntesten. Cannabis wächst nordwest­lich von Baalbek, an den Osthängen des Libanon-­Gebirges.

Kurz hinter dem Flugfeld von Rayak, wo während des libanesischen Bürgerkrieges zwischen 1975 und 1990 Waffenlieferungen landeten, liegen die Gemeinden, in denen die libanesischen He­roin­küchen untergebracht waren. In diesen Jahren kamen die Milliardengewinne der libanesischen Drogenbosse und ihrer Komplizen unter den syrischen Militärs und Geheimdienstlern, die damals die Checkpoints in der Bekaa-Ebene unterhielten, vor allem aus dem Heroingeschäft. Auch Fadi machte mit dem berauschenden schwar­zen Stoff sieben Jahre lang sein Geld: 20 Dollar nur zahlte er pro Gramm bei den Herstellern, in Beirut verkaufte er den gestreckten Stoff für fast 200. Kein schlechter Job, aber irgendwann, vor über zehn Jahren schon, fand sich Besseres, und Fadi ließ die Dealerei bleiben – zu viel Risiko, zu viel Stress und definitiv zu viele Checkpoints. Zwei-, dreimal am Tag fuhr er die Strecke über den 1 500 Meter hohen Pass hinter Sofar ins Grenz­tal zu Syrien, um die Kunden auf der anderen Seite des Libanon-Gebirges mit Heroin oder Kokain zu versorgen.

Fast schon vergessen hatte er das, als er vor zwei Jahren von Freunden bei Baalbek zurück nach Beirut fuhr und plötzlich hinausgewunken wurde. Hier oben, kurz vor Chtaura. Heroin hatte er natürlich nicht dabei, die Zeiten waren 2005 lange vorbei. Aber im Computer stand noch sein Name: verurteilt in Abwesenheit wegen Rauschgifthandels.

Fadi fuhr an dem Tag nicht mehr zurück nach Beirut. Bis zum Sommer 2006 saß er im nördlich der Hauptstadt gelegenen Gefängnis von Rumieh seine Strafe ab. Heute nimmt er zum ersten Mal wieder die altbekannte Strecke in die Bekaa-Ebene. »Ich liebe dieses Tal«, ruft er entzückt, als wir den Checkpoint passieren.

Der junge Soldat, der uns durchwinkt, hat in diesem Herbst anderes im Visier als Kleindealer. Den ganzen Sommer über war die Armee im Nord­liba­non in Kämpfe mit der Islamistenmiliz Fatah al-Islam verwickelt, hinzu kamen mehr als ein halbes Dutzend Anschläge rund um Beirut. Außerdem unterhielten die Milizen Trainingscamps in der Gegend, wie es heißt. Das Bild eines gefal­lenen Soldaten hängt an dem kleinen, rot-weiß gestrichenen Kontrollhäuschen zwischen den Fahrbahnen. Einen Monat nach dem letzten Anschlag herrscht hier schon wieder Routine: ein schneller Blick hinein durchs heruntergelassene Fahrerfenster, ein kurzes Nicken mit dem Kopf, weiterfahren.

Angespannt jedoch bleibt die Lage in der Be­kaa-Ebene auch nach Ende des Krieges um das Paläs­tinenserlager Nahr al-Bared im September. Checkpoints wie der oberhalb von Chtaura wurden in den vergangenen Monaten verstärkt, neue wurden auf den Straßen Richtung Zahlé, Baalbek und Deir al-Ahmar errichtet. Auch die Verhaftung von Mitgliedern der Fatah al-Islam aus der Gegend konnte die Lage nicht entspannen – die Angst vor neuen Unruhen bleibt. Nicht zuletzt, weil die schi­itische Hizbollah ihren Protest gegen die Regierung in Beirut aufrechterhält: Rund um Baalbek ist die »Partei Gottes« seit ihrer Gründung durch die iranischen Revolutionswächter Pasdaran 1982 die unangefochtene Macht.

Die von Generalsekretär Hassan Nasrallah geführte Parteimiliz hält seit dem Abzug der syrischen Armee aus der Bekaa-Ebene im April 2005 ihre schützende Hand über die Drogenbarone – ungeachtet aller religiösen und ideologischen Vorbehalte gegen Rauschmittel. Davor war das Geschäft mit Haschisch und Heroin Chef­sache in Damaskus. Noch Anfang der neunziger Jahre garantierten Rifaat Assad, der Bruder des damaligen Präsidenten Hafez Assad, Verteidigungsminister Mustafa Tlass und andere Militär- und Geheimdienstoffiziere Schmugglern und Produzenten Bewegungsfreiheit in der syrisch besetzten Zone im Libanon – im Gegenzug gab es saftige Anteile an den Milliardengewinnen.

Die flossen auch nach Ende des Bürgerkriegs 1990 zunächst munter weiter. Auf Druck der USA gingen die Autoritäten nun zwar härter gegen den Haschischhandel vor. Verhaftungen sowie Feldvernichtungen nahmen zu, und Hubschrauber warfen Flugblätter ab, die mit lebenslangen Haftstrafen, schwerer Arbeit und 4 000 Dollar Geld­strafe für den Anbau von Hanf drohten. Gleichzeitig aber erlebten die ungleich profitableren, schwer zu entdeckenden, weil schnell verlegbaren mobilen Heroinstuben einen neuen Aufschwung.

Die Landwirte profitierten davon nicht. Von den 80 Millionen US-Dollar pro Saison, die die rund 25 000 vom Hanfanbau abhängigen Familien noch in den ersten Nachkriegsjahren durch den Verkauf von Hasch einfuhren, können sie heute nur träumen. Das Bruttoinlandsprodukt in der Nord­be­kaa und im angrenzenden Hochland von Hermel ist inzwischen auf rund 500 Dollar pro Kopf gesunken, 1994 waren es 1 500. Alle Versuche, durch Substitutionsprogramme und andere, unter anderem von den Vereinten Nationen geförderte Hilfsmaßnahmen neue Einnahmequellen zu schaffen, scheiterten. Von den 50 Millionen Dollar, die nach der Streichung Libanons von der Liste der weltweit wichtigsten Drogenproduzenten 1997 in Aussicht gestellt wurden, kamen bis 2001 nur sieben Millionen an.

Einen absurden Höhepunkt erreichte die Anti-Hanfkampagne Ende der neunziger Jahre mit dem Import von rund 1 000 Milchkühen aus den USA. Weil diese nie die versprochenen Mengen Milch produzierten, machte der Hizbollah-Fernsehsender al-Manar Stimmung gegen das USAID-Programm. Washington nutze die Bekaa-Ebene lediglich als Müllhalde für kranke Kühe, so der Propagandakanal. Kurz nach Ausstrahlung der Sendung erschienen Vertreter der iranischen Regierung in Beirut, um Agrarhilfen anzubieten, darunter auch Kühe. Statt 1 900 verlangte Teheran nur 1 000 Dollar pro Tier.

Das Programm des Gottesstaats war allerdings nicht erfolgreich, ebenso wenig wie das der Gegner des Mullah-Regimes jenseits des Atlantik. 2001 rebellierten deshalb die Bauern der Bekaa-Ebene, die während der Bürgerkriegsjahre von Hanfanbau gelebt hatten, gegen die staatliche Antidrogenpolitik – und pflanzten wieder an. Nach drei Jahren wirtschaftlicher Flaute blieb ihnen einfach keine andere Wahl. 20 Cent erhalten sie auf den lokalen Märkten für ein Kilo Kartoffeln, dieselbe Menge Haschisch verkauft sich für rund 300 Dollar.

Von 2002 bis 2006 griff die Armee erneut stärker durch, doch dieses Frühjahr hatten die Bauern die Nase voll. Angesichts der anhaltenden politischen und ökonomischen Krise im Libanon spekulierte die Financial Times im Mai auf neue Profite aus dem alten Geschäft: »Libanesische Stürme versprechen Haschischbauern Riesenernte«. Der Mangel an Sicherheitskräften für die traditionelle Vernichtung vieler Felder im Spätsommer ermög­lichte dieses Jahr das Cannabis-Comeback.

Den Bauern der Gegend kann es nur recht sein, dass Armee und Interne Sicherheitskräfte (ISF) dieses Jahr an die Grenzen ihrer Kapazitäten stoßen. Die Strecke in die großen Hanfanbau­gebiete nordwestlich von Baalbek führt vorbei am berüch­tigten »vierten Checkpoint«, der bis vor zweieinhalb Jahren vom syrischen Armee­geheimdienst betrieben wurde. Fadi erzählt, wie Offiziere der Eliteeinheit ihn hier einmal mit zehn Gramm Free­base-Kokain – Cocapaste zum Rauchen – aus dem Verkehr fischten und grün und blau prügelten. An anderen Tagen reichten 20 000 Lire Schmiergeld, rund zehn Euro, für eine ungestörte Weiterfahrt. Heute machen sich die Soldaten nicht einmal die Mühe, ins Wagen­innere zu schauen.

Bis Jamoune, gelegen zwischen rot-braunen Ackern am Fuß der steilen Hänge des Libanon-Gebirges, sind die Erinnerungen an lästige Kontrollen längst verflogen. Marihuana-Stauden zieren noch Wochen nach der großen Ernte im September viele Gärten in der von hübschen Teichen geprägten Kleinstadt am Westrand der libane­sischen Bekaa-Ebene. Auf einer Apfelbaumwiese im Ortszentrum wuchten syrische Arbeiter schwe­re Kisten auf einen Lastwagen. »Wir verkaufen auf den Märkten von Zahlé und Baalbek«, sagt Ali Shreif, der auf einen Zettel die Zahl der eingesam­melten Kisten notiert. »Aber der Export geht auch nach Saudi-Arabien und in die Golfstaaten.«

Mehr als 100 Familien in Jamoune könnten vom Apfelanbau allerdings nicht leben, fügt er hinzu. Alle anderen setzten auf Haschisch. Anderthalb Monate nach der Ernte ragen nur noch ein paar vertrocknete Hanfstengel aus den großen Feldern am Rande der Stadt. Vernichtet, wie in früheren Jahren, wurden die Pflanzen in diesem Sommer jedoch nicht – und die ersten aus dem frisch geernteten Hanf hergestellten Brocken Haschisch sind bereits wieder erhältlich in den flachen Häu­sern von Jamoune.

Alis Vater, Saado Shreif, kann nur Gutes sagen über die zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter osmanischer Herrschaft in der Bekaa-Ebene begonnene Hanfzucht. »Ohne Haschisch würden wir nicht in diesem schönen Haus hier sitzen«, sagt der Vater von acht Kindern. »Einbrüche und Kriminalität begannen erst in den Jahren, nachdem wir die Produktion auf Geheiß der Regierung eingestellt hatten.« Staatliche Stellen gehen davon aus, dass dieses Jahr in der Bekaa-Ebene auf mehr als 7 000 Hektar Land Hanf gepflanzt wurde – so viel wie seit Ende des Bürgerkriegs 1990 nicht mehr. Von den Rekordzahlen aus den achtziger Jahren ist das immer noch weit entfernt. Fast ein Drittel der Agrarfläche war damals von Cannabis-Stauden bedeckt, auch Opium blühte auf einigen Feldern.

Und der Export kannte keine Grenzen. Per Schiff gelangte das direkt vor Ort zu Haschisch verarbeitete Gras in die großen europäischen Häfen, auf dem Landweg nach Syrien, in die Türkei und nach Israel. »Libanesisches Haschisch erobert Israel«, schrieb ein Jahr nach der israelischen Libanon-Invasion von 1982 etwa die New York Times. Dort war der Haschischpreis in den Monaten nach dem Feldzug um mehr als die Hälf­te gesunken.

Auch Fadi kann sich noch gut an die Zeiten erinnern, als die israelischen Besatzungstruppen im Südlibanon ganze Platten Dope in den Radkappen und Kühlerhauben ihrer Militärjeeps verstauten, um sie in Haifa, Jerusalem und Tel Aviv weiterzuverkaufen.

Mit dem Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Jahr 2000 stagnierte der Schmuggel. Dass er nicht völlig zum Erliegen kam, liegt an der Hizbollah, die seitdem kontrolliert, welche Mengen an die traditionell unter israelischen Arabern, Drusen und Beduinen rekrutierten Mittelsmänner südlich des Grenzzauns durch­gelassen werden. »Eine von Persien unterstützte terroristische Organisation ist heute der Hauptversorger des israelischen Haschischmarkts«, schimpfte während des Krieges zwischen Hizbollah und Israel im Sommer 2006 die israelische Website OrthodoxAnarchist.com. An der Vormacht­stellung der Organisation von Nasrallah rütteln konnte der kurzerhand vom Seitenbetreiber ausgerufene Boykott libanesischen Shits freilich nicht.

Auch im Wohnzimmer von Ali Shreif hängt ein Plakat mit dem Bild Nasrallahs. Den Sayyed achten sie hier wegen seiner Geradlinigkeit, die Haltung zur Hizbollah aber ist eher zurückhaltend. »Die Partei kümmert sich um uns, so gut sie eben kann«, sagt Vater Saado. Einhellig wehren sie sich gegen die Kriminalisierung des Hanfanbaus. »Warum sollte hier verboten sein, was in der Schweiz oder in den Niederlanden erlaubt ist?« fragt Ali empört. Solange von der Regierung keine Unterstützung komme, würden die örtlichen Bauern weiter auf die Haschischproduktion setzen.

Dass die Autoritäten im fernen Beirut bis zur nächsten Aussaat im kommenden Frühjahr ihre Liebe zu den Hanfbauern im fernen Hizbollah-Tal entdecken, scheint angesichts der anhaltenden Krise unwahrscheinlich. Bis Ende November muss ein neuer Präsident gewählt werden; falls das nicht gelingt, könnte sich die Hizbollah an die Spitze einer Parallelregierung setzen. Die Bekaa-Ebene fest in ihren Händen hält die Partei schon heute: Überall an den hohen Straßenlaternen entlang der Hauptstraße von Baalbek nach Chtaura hängen die gelben Fahnen mit dem grünen Maschinengewehr des selbsternannten islamischen Widerstands.

Erst am Ortseingang von Chtaura tauchen Plakate des prowestlichen Premierministers Fuad Siniora und des Mehrheitsführers im Parlament, Saad Hariri, auf. Links und rechts der kurvigen Strecke hoch zum Checkpoint stehen Kirchen und Moscheen, auch McDonald’s ist inzwischen im einstigen Treffpunkt syrischer und libanesischer Militärs, Geheimdienstler und Politiker vertreten.

Als wir uns dem Checkpoint hinter der Stadt nähern, taucht die Abendsonne das Tal in ein warmes Rot. Woher wir kommen, will der Soldat vor dem rot-weißen Häuschen zwischen den Fahrbahnen wissen. Aus Baalbek, sagt Fadi, und lacht, als der Mann in Uniform uns durchwinkt. »Je jünger die Soldaten sind, umso besser kann man mit ihnen verhandeln.«