Der Macher und die Mitnehmerin

In Hessen hat der Vorwahlkampf begonnen. Roland Koch wirbt damit, dass er regiert. Andrea Ypsilanti zeigt, dass sie heimlich regiert. von steffen falk

Was bezwecken hessische Landespolitiker, wenn sie sich aus den Höhen ihrer Ämter in Orte mit so wohlklingenden Namen wie Schlüchtern, Viern­heim, Nidda und Sontra herabbegeben? Wollen sie mit ihrer Anwesenheit die reisefreudigen, aber zum Sparen gezwungenen Einwohner von der Schönheit ihrer Wohnorte überzeugen? Vielleicht auch das. Aber vor allem bewegt die Landtagswahl am 27. Januar 2008 den Spitzenkandidaten und die Spitzenkandidatin der beiden großen Parteien. Ministerpräsident Roland Koch von der CDU und Andrea Ypsilanti, seine Herausforderin von der SPD, sind in den Niederungen der Provinz unterwegs, um mit ihrem Vorwahlkampf Aufmerksamkeit zu erregen. Noch vor der heißen Phase sollen die Bürger sie kennen und lieben lernen.

Die Rollen sind klar verteilt. Wer hat, dem wird gegeben, diese Weisheit ist so christlich wie demokratisch. Also stilisiert Koch die Tatsache, dass seine Partei die vorige Wahl gewonnen hat, zu seinem größten Vorzug. Ich kann regieren, so lautet die erste und wichtigste Botschaft des Ministerpräsidenten, und als Beweis muss schlichtweg genügen, dass er es tut.

Einen »Anpacker« und Problemlöser bekommt folgerichtig präsentiert, wer sich auf seiner persönlichen Internetseite umsieht. Dass er die dümm­lichen Wortspiele mit seinem Nachnamen nicht allein seinen Gegnern überlässt, ist nicht neu, aber, wie man sieht, steigerungsfähig: »Koch kocht!« betitelte der bekennende Hobby­brutzler seine Sommerreise vom 13. bis zum 16. August.

Im vergangenen Jahr wurde Koch und seinen ministerialen Kollegen bei gleicher Gelegenheit noch von protestierenden Studenten ein ums andere Mal der Spaß verdorben. Dieses Mal aber konnte er in 19 Städten und Städtchen unbekümmert und kaum behelligt Kelle und Grillzange schwingen.

Wären da nicht die Besorgnis erregenden Umfragewerte. Dem Meinungsforschungsinstitut Infratest zufolge ist die absolute Mehrheit der hessischen CDU gefährdet, verschiedene Koalitionen unter sozialdemokratischer Führung scheinen zurzeit möglich zu sein. Das kann für einen regierenden Politiker nur an einem Mangel an Information liegen. Daher preist Koch seine Amtszeit als das Beste, das Hessen passieren konnte: »Mit mutigem Optimismus und verlässlichen Entscheidungen hat die Landesregierung das Programm, mit dem sie 2003 angetreten ist, Schritt für Schritt umgesetzt, Hessen im Konzert der Länder vorangebracht und als starkes Land in der Mitte Deutschlands und Europas etabliert. Hessen ist damit für künftige Herausforderungen bestens aufgestellt«, lautet das Resümee auf seiner Homepage, was auch immer das konkret bedeuten mag. Vielleicht will man gar kein starkes Hessen in der Mitte Deutschlands und Europas? Egal. Roland Koch ist nicht so wie die anderen Politiker, er hält, was er verspricht, lautet die Botschaft. Grund genug, die mehr als schlichte Feststellung als persönlichen Erfolg zu feiern.

Für den Fall, dass sich der gemeine Hesse fragt, was er von diesem Erfolg hat, weiß der mutige Optimist eine Antwort: »Dafür haben wir auch Entscheidungen getroffen, die nicht gleich den Beifall aller gefunden, sich aber schon jetzt als richtig erwiesen haben und den Menschen Nutzen bringen.« Schluss mit dem Jammern, bedeutet das, einer muss eben bestimmen, wo es lang geht! Sollten die Bürger in diesem Leben nicht von den Maßnahmen der hessischen Regierung profitieren, dann vielleicht im nächsten.

Der Ministerpräsident denkt schließlich auch an die Zukunft, wie er etwa beim Thema Energiepolitik bewiesen hat: »Wir wollen den Anteil des aus Biomasse erzeugten Stroms erhöhen. Doch wir brauchen Zeit zum Nachdenken, bevor wir aus ideologischen Gründen Unsinn machen.«

Dass er sich plötzlich mit derlei Ökoquatsch beschäftigt, könnte allerdings auch der Tatsache geschuldet sein, dass seine Konkurrentin auf diesem Gebiet die Fachfrau gibt.

»Neue Energie für Hessen« lautete das Motto, unter dem Andrea Ypsilanti das Land bereiste. Damit soll dem interessierten Publikum keineswegs nur suggeriert werden, die Sozialdemokratin wolle »den Fortschritt nach Hessen zurückholen«. Wenn sie Stadtwerke und Solaranlagen besucht und der Motor ihres Tourbusses mit Pflanzenöl läuft, »hat die SPD-Spitzenkandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin gezeigt, was in Sachen Erneuerbare Energien in Hessen – trotz dieser Landesregierung – alles möglich ist«. So heißt es wiederum auf Ypsilantis Website.

Wir lernen, Koch regiert, aber die Hessen tun gar nicht, was er will oder initiiert hat. Ganz im Gegenteil, die Hessen tun tolle Dinge, die Ypsilanti will, und das, obwohl sie noch gar nicht regiert! Ist Koch vielleicht doch ein Waschlappen und hat die Landeskinder nicht im Griff?

Die Ökotouristin hat jedenfalls das Thema gefunden, bei dem sie sich offenbar am deutlichsten von Koch unterscheidet. Im Übrigen hat sie anscheinend noch Nachholbedarf in Sachen Provinzbesichtigung. Ihre Sommertour dehnte sie gleich auf drei Wochen aus und machte in über 50 Orten Station. Präsenz zeigen, Hände schütteln, interessiert aussehen, sich einfach mal bekannt machen. Ypsilanti weiß, was sie zu tun hat, wenn sie Ministerpräsidentin werden will.

Lange Zeit, bis sie zur Kandidatin bestimmt wurde, war sie in ihrer Partei umstritten, weil sie dem so genannten linken Parteiflügel angehört. Konkret äußert sich das heutzutage in dem Leitspruch ihres Wahlkampfs. Als hätte sich Roland Koch zweimal an die Macht geputscht, verkündet sie: »Die Zeit ist wieder reif für mehr Demokratie.«

Aber auch für mehr soziale Gerechtigkeit kann sie sich erwärmen, zu viel Kinderarmut wegen Hartz IV müsse nicht sein, sagte sie vor wenigen Tagen: »Wir müssen dafür sorgen, dass alle Kinder Zugang zum gesellschaftlichen Leben haben, zu allen Bildungsmöglichkeiten. Dass sie auch mal ins Kino können. Das muss sich ein Land wie unseres schon leisten.« Denn Kinder, die nicht ins Kino gehen können, das sieht ja nach Dritter Welt aus!

Bei allen tatsächlichen oder vermeintlichen Unterschieden: Wichtig ist es beiden Konkurrenten, bei den Wählern den Eindruck zu hinterlassen, dass man selbst sich für das Regierungsgeschäft besser eignet. Der je andere hat entweder schon abgewirtschaftet oder keine Erfahrung. Für die Vertretung aller Interessen kann es nur einen geben, dementsprechend nennt sich die eine Partei auch »CDU – Die Hessen-Partei« und bekennt sich die andere dazu, »alle Hessinnen und Hessen mit zu nehmen«. Aber wohin bloß? Diese Frage darf im Wahlkampf gerne gestellt werden, danach wird wieder durchregiert, so viel steht jetzt schon fest.