Ramadan statt Rap

Früher schrieb Mahmud HipHop-Songs, heute betet der junge Bosnier fünfmal täglich. Das einstige Flüchtlingskind sieht sich durch die Kriege im Irak und in Afghanistan in seiner Hinwendung zur radikalen islamischen Heilslehre bestätigt. von markus bickel, sarajevo

Mahmud senkt den Blick. Erst als die beiden jungen Frauen vorbeigegangen sind, schaut der kleine, kräftig gebaute Bosnier wieder auf und fährt sich mit der Hand durch den dichten Bart. »Im Koran steht: Du sollst nur deiner eigenen Frau ins Gesicht sehen«, sagt er. »Auf diese Weise ist sichergestellt, dass kein anderer Mann sie haben will.«

Vor der König-Fahd-Moschee am Stadtrand von Sarajevo hat der 22jährige einen Klapptisch aufgebaut. Koran-CDs, Koran-Kassetten, Fläschchen mit Duftöl, Seifen und ein Stapel Dschalabijas, Kittel der muslimischen Männer in den Golf-Staaten, liegen zum Verkauf aus. Das Gedränge vor dem Stand ist dicht. »Freitags gibt es hier immer viele Kunden«, freut er sich.

Neben Mahmud wissen das noch rund 20 andere Händler zu nutzen. Ihr Angebot ist vielfältig: islamische Lehrbücher, Teppiche, Spielzeuggewehre, die Tespi genannten Gebetsketten oder gerahmte Farbdrucke der Kaaba in Mekka. Und Videos mit Titeln wie: »Reden von Präsident Izetbegovic«, »Ist Jesus Gott?«, »Heiliger Krieg in Tschetschenien«.

Mahmud hat Dutzende dieser Filme gesehen. Allein oder mit Freunden, die wie er Waffen spannender fanden als die langweiligen Unterrichtsstunden. In dieser Zeit begann auch sein Wandel. Seither sind Slivovic und Bier, ja selbst Café-Besuche für den gläubigen Muslim tabu. Vor anderthalb Jahren heiratete er eine Gleichaltrige – drei Tage nachdem er sie zum ersten Mal ohne Schleier vor dem Gesicht gesehen hatte. »Unsere Frauen sind keine Sklaven, sie leben wie Prinzessinnen«, verteidigt er den fundamentalistischen Zwang zur Verhüllung und die Vorschriften des wahhabitischen Islam: Ohne seine Begleitung darf Mahmuds Frau Alma die Wohnung nicht verlassen.

Noch vor sechs Jahren zog Mahmud im hessischen Hanau mit anderen Kindern von Flüchtlingen und Arbeitsmigranten durch die Straßen. Kurz nach Kriegsbeginn 1992 war er mit seiner geschiedenen Mutter aus dem von bosnisch-serbischen Truppen belagerten Sarajevo nach Deutschland geflohen. Ein Sprung in eine andere Welt: Während sein Vater in der bosnischen Hauptstadt tagelang ohne Essen auskommen musste, spielten seine Mitschüler auf dem Pausenhof mit Brötchen Fußball. Dass viele von ihnen mit 13 das erste Mal Sex hatten, fand Mahmud schon damals »abartig«.

Die Mutter arbeitete bis spät abends. Für Taschengeld und Markenklamotten, wie sie seine deutschen Klassenkameraden trugen, reichte es trotzdem nicht. Anschluss fand Mahmud bei den »West Town Boys«, einer Gang aus türkischen, bosnischen und kosovarischen Jungen, die die Stunden nach der Schule mit Kiffen und HipHop-Hören totschlugen. »Auch wenn ich vom Islam keine Ahnung hatte, wusste ich, dass Bosnier und Türken gute Freunde sind.«

Geblieben ist ihm aus dieser Zeit ein hessischer Einschlag in seinem holprigen Deutsch. Auch glänzende Jogginghosen und offene Schnürsenkel wie seine einstigen Vorbilder vom Freundeskreis oder von den Absolute Beginners trägt Mahmud noch immer. Doch über der Hose hängt heute die strahlend weiße Dschalabija. Als er nach sechs Jahren Deutschland in seine Geburtsstadt Sarajevo zurückkehrte, schrieb er anfangs selbst ein paar Rap-Songs – über verlogene Politiker, Jugendliche ohne Perspektiven. Doch das erlaubt ihm sein Glaube nicht mehr: »Musik ist im Islam Sünde.« So prägen heute nicht Rap-Rhythmen seinen Alltag, sondern die Rufe des Muezzins zum Gebet.

Mit der Hinwendung zu einer strikten Auslegung des Islam steht der einstige Flüchtlingsjunge nicht allein. Immer mehr bosnische Muslime, die im Jugoslawien Titos dem Alkohol und anderen irdischen Genüssen durchaus nicht abgeneigt waren, gehen inzwischen täglich in die Moschee. Wer während des Ramadans nicht fastet, muss seit dem Ende der Kämpfe zwischen bosnischen Serben, Kroaten und Muslimen gelegentlich mit schiefen Blicken von Kollegen und Nachbarn rechnen.

Auch Mahmuds Wandel zum praktizierenden Gläubigen begann während des Fastenmonats, rund drei Jahre nach seiner Rückkehr aus Deutschland. Die war nicht einfach. Denn so sehr ihn die vermeintlichen Vorzüge des Westens abgestoßen hatten, so wenig gewann er dem von Arbeitslosigkeit und Apathie gekennzeichneten Nachkriegsalltag der Nachbarskinder in Sarajevo ab. »Irgendwann merkst du, dass du nichts mehr gemeinsam hast mit deinen alten Freunden«, sagt er heute. Einer hängt inzwischen an der Nadel, zwei andere bemühen sich seit Monaten vergeblich, einen Job zu finden.

Mahmud wählte einen anderen Weg. »Wenn du einmal anfängst, richtig zu beten, ist es, als ob du neu geboren wirst.« Ein um seine Schwester werbender pakistanischer Geschäftsmann war es, der ihn zum regelmäßigen Beten ermunterte. Durch ihn fand er auch in die König-Fahd-Moschee.

Der wuchtige Kuppelbau mit den schlanken Türmen steht seit drei Jahren auf einem engen Areal zwischen den Plattenbauten der Problemsiedlung Alipasino Polje und der Ausfahrtsstraße zum Flughafen – finanziert von der saudi-arabischen Regierung. Mehr als 3 000 Gläubige fasst der Bau. Es ist die größte Moschee auf dem Balkan. Für Mahmud ist sie auch die schönste der bosnischen Hauptstadt, nicht nur wegen des riesigen Gebetssaals und der Angebote des angeschlossenen Kulturzentrums. Was ihn anzieht, ist die Überzeugungskraft des wahhabitischen Vorbeters. »Ein Imam muss ein Vorbild für dich sein«, sagt er.

Zweimal nach der Rückkehr aus Deutschland flog er wegen Waffenbesitzes von der Schule, zuletzt in der neunten Klasse. Für immer. Jetzt hat er keine Waffen mehr, die Videos schaut er sich noch immer gerne an. Vor allem die Streifen von den Kämpfen seiner »Brüder« haben es ihm angetan. Egal ob die Kriegsszenen aus Grosny, Kabul oder Zenica stammen.

Unweit der mittelbosnischen Stadt war während des Krieges die 7. Muslimische Bergbrigade stationiert – eine Spezialeinheit mehrerer Hundert Islamisten aus dem Iran, der Türkei, Saudi-Arabien, Afghanistan, Jemen und einigen nordafrikanischen Staaten. Eingesickert ins Land, um die Regierungstruppen von Präsident Alija Izetbegovic zu unterstützen.

Als der Krieg 1992 begann, war Mahmud noch zu jung zum Kämpfen, doch heute würde er nicht anders handeln als seine älteren Glaubensgenossen. »Wenn meine Brüder im Irak oder in Afghanistan mich rufen, dann muss ich gehen.« Den Krieg gegen den »Todfeind Amerika« sieht er als »heilige Pflicht«, schließlich waren es »die USA, die unsere Brüder angegriffen haben«. Dass nicht nur der britische Chef der Protektoratsbehörde in Bosnien, Paddy Ashdown, und die Soldaten der Bosnien-Schutztruppe Eufor die Gotteskrieger verteufeln, sondern auch einheimische Politiker, macht ihn wütend. »Während des Krieges waren alle froh, dass die Mujahedin kamen«, schimpft er. »Heute will keiner mehr etwas mit ihnen zu tun haben.«

Mehr als 300 der islamistischen Kämpfer sind Schätzungen von Sicherheitsexperten zufolge im Lande geblieben – zur Belohnung für ihren Einsatz ausgestattet mit bosnischen Pässen. Auch Ussama bin Laden hat dem Land damals einen Besuch abgestattet; Waffen für die dem Uno-Embargo unterworfene Regierung in Sarajevo kamen aus islamischen »Bruderstaaten« wie Saudi-Arabien, Iran, Indonesien und Malaysia. Statt in Munition und Gewehre stecken sie ihr Geld nun, nach dem Friedensschluss von Dayton Ende 1995, in Moscheen, Kulturzentren, Waisenhäuser und soziale Einrichtungen.

Die Dollars aus den islamischen Staaten machen heute den Großteil der ausländischen Investitionen in Bosnien aus. Dass trotz gegenteiliger Behauptungen auch militante Islamisten von den Finanzspritzen profitieren, lässt sich kaum vermeiden: Erst im vergangenen Winter nahmen Nato-Soldaten in der Nähe von Zenica einen Algerier fest, der im Verdacht steht, Anschläge auf westliche Einrichtungen vorbereitet zu haben. Und BND-Chef August Hanning äußerte Ende 2003 die Sorge, dass Bosnien zunehmend als Rekrutierungsfeld für al-Qaida-Terroristen diene. Bevorzugtes Einsatzgebiet ist der Irak.

Mahmud verurteilt die Selbstmordattentate, die das Zweistromland seit Monaten erschüttern. »Im Koran steht: Du sollst keine Frauen und Kinder umbringen.« Doch den Beschluss der Regierung in Sarajevo, eigene Soldaten nach Bagdad zu schicken, sieht er als Kniefall vor George W. Bush. »Ich würde im Irak kämpfen«, sagt er, »aber nur gegen die USA.«

Mehrere Monate machte Mahmud bei den »Mladi Muslimani« mit, den Jungen Muslimen, einer islamischen Organisation, die neben Koranstunden auch kostenlosen Internet-Zugang anbot. Wegen Geldmangels musste das Büro vor anderthalb Jahren schließen. Zuvor war die fundamentalistische Gruppierung mehrfach ins Visier der Behörden geraten. Mahmud ist stolz darauf, dass ein wochenlang festgehaltener Terrorverdächtiger ihn vor seiner Festnahme regelmäßig grüßte. Für die bosnischen Sicherheitsleute vor der Botschaft der USA hingegen hat er nichts als Verachtung übrig, wenn sie wieder einmal seine Papiere sehen wollen. »Warum? Nur weil ich einen Bart trage!«

Nicht nur im Verzicht auf die tägliche Rasur ist Mahmud radikaler als der Imam der Moschee in seiner Nachbarschaft. »Als ich ihm während des Ramadans gesagt habe, dass er vor Sonnenuntergang nicht rauchen soll, hat er nur gelacht und gemeint: Pass’ auf, sonst reiße ich dir den Bart vom Gesicht.«

Im westlich aussehenden Stadtbild von Sarajevo stechen Mahmud und seine bärtigen Brüder in ihren weißen Kitteln sofort ins Auge; ebenso die wenigen verschleierten Frauen. Auch am Ende des Mittagsgebets, als die Gläubigen aus der König-Fahd-Moschee strömen, bleibt die Mutter in Schwarz, die ihrer Tochter vor dem Eingang einen Ball zuwirft, die einzige Frau mit einer Burka.

Mahmud weiß, dass es derzeit kaum mehr als ein paar Tausend Männer gibt, die in Bosnien für die Einführung eines islamischen Gottesstaates kämpfen würden. Für sie wie für ihn bleibt die Sharia »das einzig wahre Gesetz«. Damit sich ihm eines Tages auch die bosnischen Kroaten und Serben unterwerfen, müsse es wieder Krieg geben. »Inschallah!« sagt er, wie zur Bekräftigung: »So Gott will.«