Die sechste Jahreszeit

Der US-Präsident George W. Bush war in Mainz zu Besuch. Freunde, Feindinnen und Brezelverkäufer versammelten sich auch. von jesko bender

Dichter und Denker

Die Schauspielerin Angelina Jolie war vor wenigen Monaten in der Unterhaltungsshow »Wetten, dass …?« zu Gast. Dort wurde sie genötigt, sich mit dem Moderator Thomas Gottschalk und dem übergewichtigen deutschen Mittelklasseschauspieler Otfried Fischer ein Sofa zu teilen. Als wäre das nicht Strafe genug, musste sie sich von Gottschalk nicht nur anzügliche Fragen nach ihrem Privatleben gefallen lassen, die sie sich, offensichtlich zwischen Ungläubigkeit und Entsetzen schwankend, deutlich verbat, sondern auch seine Anspielungen auf die angebliche Kulturlosigkeit der US-Amerikaner, die doch wahrscheinlich nicht einmal wüssten, wer Johann Wolfgang von Goethe sei.

Kurz darauf präsentierte Gottschalk die nächste Wette. Ein Mann zog sich zunächst Kondome über den Kopf und setzte sich einen Hut auf, um sodann zu versuchen, den Hut an einen weit über ihm angebrachten Kleiderhaken zu hängen, indem er die Kondome mit der Nase aufpustete.

Guantánamo World Tour

Guantánamo liegt ein paar tausend Kilometer entfernt von Frankfurt am Main. Davon kann sich eigentlich jede und jeder mit einem kurzen Blick auf die Weltkarte überzeugen. Auf der Frankfurter Demonstration gegen Bush, die bereits am Dienstag vergangener Woche einen Vorgeschmack auf das am nächsten Tag in Mainz zu Erwartende gab, wurde Guantánamo zu einem Teil des Rhein-Main-Gebietes. Zum Beispiel liegt es neuerdings in Mainz. Aber schon bald wird es auch in Offenbach, Rom und Rio de Janeiro zu finden sein. So lautete jedenfalls die Prognose des Frankfurter Pfarrers Hans Christoph Stoodt, dem Sprecher des »Frankfurter Bündnisses gegen den Krieg«. In seiner Rede äußerte er die Vermutung, dass es die Absicht des US-Präsidenten George W. Bush sei, »die ganze Welt« in ein einziges Guantánamo zu verwandeln. Das sehe man schon in Mainz, wo beispielsweise Gullydeckel zugeschweißt würden, das Handynetz lahm gelegt werde und Menschen ihre Wohnungen nicht verlassen dürften. Die Demonstrantinnen und Demonstranten, die sonst gerne auf die Brutalität der Haftbedingungen und die Rechtlosigkeit der Inhaftierten in Guantánamo hinweisen, jubelten und applaudierten.

Mit ähnlich treffenden Vergleichen und Einschätzungen der USA, Israels und Bushs ging es in den Reden und Liedern fröhlich weiter. Lediglich die Öffentlichkeitsreferentin von Attac, Jule Axmann, wies auch auf die Militärpolitik der Europäischen Union und Deutschlands hin.

Vor dem US-amerikanischen Konsulat, wo die Abschlusskundgebung abgehalten wurde, hatte sich eine Gruppe von etwa zehn Menschen eingefunden, die der Anti-Bush-Demonstration kritisch gegenüberstanden. Sie riefen in einer Redepause »Nieder mit Deutschland!« und zeigten währenddessen ein Transparent, mit dem sie Bush aufforderten, keinen deutschen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zuzulassen. Das war für Stoodt zu viel. Hier hätten sich wohl einige in der Demonstration geirrt und sollten diese sofort verlassen, schimpfte er empört von der Bühne. Dem schlossen sich zahlreiche Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmer an und bezeichneten das kleine Grüppchen als »Faschisten« oder »neue deutsche Bewegung«, die doch »in die NPD eintreten« solle.

Fernbeziehungen

Seit nunmehr 25 Jahren veranstaltet Eckart Schneider-Reuter Austauschprogramme für Schülerinnen und Schüler sowie Professorinnen und Professoren mit der Mainzer Partnerstadt Louisville in South Carolina. Er ist der Vorsitzende des »Freundeskreises Mainz – Louisville«, der knapp 300 Mitglieder zählt. An den USA liebt er besonders »den Optimismus der Menschen«. Aus überflüssigem Ackerland habe sein Sohn in Kalifornien beispielsweise ein Areal für Kindergeburtstage geschaffen und könne sich nun vor Anfragen begeisterter Eltern nicht mehr retten. Ausführlich erläutert er, warum die Amerikaner eher »Pragmatiker«, die Europäer hingegen »Realisten« seien.

Er ist einer von etwa 30 Menschen, die sich am Mainzer Südbahnhof, in vermeintlich sicherem Abstand zur Anti-Bush-Demonstration, unter dem Motto »Aufstehen gegen Antiamerikanismus. Welcome President Bush« versammelt haben. Unter ihnen sind auch einige US-Amerikaner. Sie halten Schilder, auf denen zu lesen ist: »Mullah go home!«, »Peace through superior airpower«, oder »Deutschland 1945 – Irak 2005: Es lebe die Freiheit«. Jeder Demonstrant schwenkt mindestens eine USA-Fahne, hier und dort sind auch kleine israelische Flaggen zu sehen. Einige Personen haben sich hinter einem Transparent aufgestellt, das den Schriftzug »Bush« zeigt und liebevoll mit roten Herzen verziert ist. Dennoch kritisieren einige der Demonstrantinnen und Demonstranten auch deutlich die fehlenden Konzepte der US-Regierung für eine Demokratisierung des Irak. Schneider-Reuter sagt sogar, dass »keiner den Irak-Krieg gut gefunden hat«.

Die Kundgebung kann allerdings nicht störungsfrei stattfinden. Denn einige der Friedensbewegten haben den knapp 20minütigen Fußweg von der Kundgebung der Bush-Gegnerinnen und -Gegner zum Südbahnhof auf sich genommen, um dort hemmungslos zu pöbeln. Altbekannte Parolen wie »USA – SA – SS« oder »USA – Internationale Völkermordzentrale« werden gerufen. Die neuen reimen sich weniger gut: »Scheiß Yankees, verpisst euch, wir wollen euch hier nicht haben! Wir sind hier in Deutschland.«

»Solche Parolen sind einfach nur krass«, sagt Ray Drake, der in den USA lebt und für das Weblog »Davids Medienkritik« arbeitet. Er erzählt von seinem Großvater, der gegen die deutsche Wehrmacht kämpfte und der den Verlust vieler Freunde im Zweiten Weltkrieg nie überwunden hat. Es verwundert ihn, dass in der deutschen Bevölkerung und in den deutschen Medien ein so negatives Bild von den USA vorherrscht. »Die frühere Justizministerin hat Bush mit Hitler verglichen, und niemand hat sich aufgeregt«, sagt er. Dabei ist ihm egal, ob jemand für oder gegen Bush und den Irak-Krieg ist. Er sei hier, weil ihm »der aktuelle Zustand der deutsch-amerikanischen Beziehungen wehtut«.

Die Pressesprecherin des Freundschaftsvereins, Lintrude Krüger, beschäftigt hingegen besonders, dass die Mitglieder des Vereins nicht zu dem Besuch Bushs eingeladen worden seien. Sie wirft der Stadt Mainz vor, dass »sie sich nicht zu ihrer Partnerschaft bekennt«. Dabei praktizierten die fast 300 Mitglieder doch bereits seit so langer Zeit »gelebte Gastfreundschaft«.

Der Umzug

Auch Neonazis hatten dazu aufgerufen, in Mainz an der Anti-Bush-Demonstration teilzunehmen. Allerdings tauchten nach Angaben von Antifaschistinnen und Antifaschisten nur zwei von ihnen auf. Mit vielen Transparenten und Plakaten dürften die zu Hause gebliebenen Rechtsextremisten aber zufrieden gewesen sein. Eine Auswahl: »Wer Bush willkommen heißt, sich als ein Schwein beweist, das seinen Schlachter preist und auf sich selber scheißt«, »Willkommen im Land der Dichter und Denker, Herr Richter und Henker«, »Tod durch den Strang dem Weltverbrecher Bush und seinen Helfern«, »Öl-Vampire raus aus dem Irak«, »Februar 1945 – Februar 2005. Ami go home«, »Bush makes free«, »Mr. Bush, we don’t want your democracy«, »Kein Pardon für Bush und Sharon«, »Bush vs. Weltfrieden«, »Yankee go home«, »Todays empires, tomorrows ashes«, »US-Devil« usw. usf. Ein imaginärer Brief Adolf Hitlers an George W. Bush wird herumgetragen, in dem jener Bush wünscht, mit seinen Kriegen erfolgreicher zu sein als er, Hitler, es gewesen sei. Auch ein gelber Stern, allerdings fünfzackig, mit einer Aufschrift in Fraktur ist zu sehen: »Alter Europäer«. Und zahlreiche Plakate, auf denen das Konterfei von Bush mit einem schwarzen Seitenscheitel und schmalem Oberlippenbart bemalt ist.

Heute geschlossen

»Der Kennedy ist ja noch mit offenem Auto durch Wiesbaden gefahren«, kommentiert eine Rentnerin die aufwändigen Sicherheitsvorkehrungen in Mainz. Sie scheint vergessen zu haben, was an einem anderen Tag geschah, als Kennedy mit offenem Wagen durch die Gegend fuhr. Ein offenes Auto wäre bei den winterlichen Temperaturen und dem starken Schneefall sowieso zu kalt gewesen. Also fährt Bush inmitten eines Korsos vieler geschlossener Limousinen vor, 40 sollen es gewesen sein.

Neben den knapp 10 000 Polizistinnen und Polizisten, die in und um Mainz im Einsatz sind, befinden sich auch ein paar cool aussehende Beamte des Secret Service. Robert de Niro, George Clooney, …? Graumeliertes Haar, schwarze Trenchcoats, einen kleinen Knopf im Ohr und trotz des Wetters eine Sonnenbrille auf der Nase. Wenn in Mainz doch immer so schicke Typen rumlaufen würden! Sie fallen vor allem deshalb auf, weil die Stadt am 23. Februar derart ausgestorben ist, dass man abseits der Demonstration schon eine Zeit lang nach Bürgerinnen oder Bürgern suchen muss, die einem den Weg erklären können. Sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnet die Polizeipräsenz als »Die Belagerung von Mainz«. In den Beiträgen des Internetportals Indymedia ist von »massiver Repression« durch die Polizei die Rede. Gemeint ist wohl, dass die Polizei die Demonstration, wie jede andere auch, komplett filmte. Außerdem seien einige Plakate zensiert und eine private Wohnung aufgebrochen worden.

Hauptstadt der Brezel

Der Konflikt zwischen den USA und Europa während des Irak-Kriegs machte bekanntlich auch vor Lebensmitteln nicht halt. Für die Umbenennung der »French Fries« in »Freedom Fries« in den USA rächten sich deutsche Bäckerinnen und Bäcker, indem sie die »Amerikaner« mit Peace-Zeichen aus Zuckerguss verzierten.

Doch die Mainzer scheinen sich etwas Neues ausgedacht zu haben. Sie erinnern sich sicher an Bushs Missgeschick mit einer Brezel: Er verschluckte sich an ihr, hustete und prustete, und die ganze Welt lachte ihn aus. Zu doof, um eine Brezel zu essen! In Mainz steht nun an jeder Ecke eine kleine Bude mit dem Schriftzug »Die Brezialistin«. Kein schlechter Gag, könnte man meinen. Doch ein Mainzer versichert, die Buden stünden immer da, sie seien keineswegs als Affront gegen George W. Bush zu verstehen. Mainz sei die »Hauptstadt der Brezel«.

Bush hat davon sowieso nichts mitbekommen. Dafür stand die Pro-Bush-Demonstrantion eine Weile lang direkt vor einer »Brezialistin«. Aber vielleicht ist es in Mainz unmöglich, nicht vor einer solchen Bude zu stehen.

Indizien für das politische Gespür der Bäckerinnen und Bäcker der Stadt gibt es indes weitere. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist äußerst wichtig und ihr Verkauf kann sehr lukrativ sein, wenn knapp 10 000 Menschen frieren und sich über das Weltübel aufregen, also viele Kalorien verbrennen, viel Hunger haben und viel zum Essen kaufen wollen. Nur ist in Mainz nahezu jedes Geschäft in der Innenstadt »wegen eines Staatsbesuchs«, »wegen des Besuchs von George Bush« oder »wegen Bush« geschlossen. McDonald’s hat zwar geöffnet, aber da kann ein Gegner des Präsidenten, der etwas auf sich hält, nun wirklich nicht hingehen. Eine Filiale der Fastfood-Kette, nur wenige Meter vom Platz der Auftaktkundgebung der Demonstration entfernt gelegen, erlebt dementsprechend einen ruhigen Tag. So bleibt nur der Döner-Laden, um Verpflegung einzukaufen. Oder eben die Bäckerei.

Die Bäckereien sind gut gefüllt. Bei dem Wetter machen ein Cappuccino und ein gefülltes Streuselstückchen alles ein bisschen erträglicher. Ein Bäcker bietet dem Radiosender RPR Unterschlupf, so dass dieser seine Morgensendung live aus der Backstube senden kann, die mit USA-beflaggten Muffins geschmückt ist. Ein anderer verkauft Aufkleber. Für 50 Cent kann man sein Auto mit einem Spruch schmücken: »Hello Mr. Bush! Lass dein FBI daheim, feier’ mit uns in Mainz am Rhein.« Dass gerade die Typen vom Secret Service das Beste an Bushs Besuch sind, weiß dieser Bäcker nicht zu würdigen. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung rempelten sie Joschka Fischer und Gerhard Schröder rüde zur Seite, gerade so, als hätten sie es nicht erwarten können, Bush als erste in Mainz zu begrüßen.

Noch unverständlicher ist, dass der Erlös aus dem Verkauf der Aufkleber nicht etwa der Friedensbewegung oder den Opfern der Flutkatastrophe in Südostasien zu Gute kommt. Er geht an den Dombauverein der Stadt Mainz. Also etwas für echte Lokalpatrioten, und Bush ist nach seinem Besuch wahrscheinlich Ehrenlokalpatriot. Ohne ihn gäbe es schließlich keine Aufkleber und auch keine Spenden für den Dombauverein.

Zum guten Schluss

Einige Antifaschistinnen und Antifaschisten trugen auf der Demonstration ein Transparent mit der Aufschrift: »Gegen jeden Antiamerikanismus! Der Hauptfeind steht im eigenen Land.« Außerdem musste Günter Grass zu Hause bleiben. Wegen der Landung der Air Force One auf dem Frankfurter Flughafen wurde sein Flug gestrichen. Er wollte eigentlich von Frankfurt nach Leipzig fliegen, um dort an einer Pressekonferenz zu einer Ausstellung teilzunehmen.

Einen konnten aber weder Schneetreiben noch gestrichene Flüge oder gesperrte Autobahnen aus Mainz fernhalten: Thomas Gottschalk war zum Empfang bei George W. Bush geladen.