In Japan ändert sich nur die Rente

Während die Regierung ein neues Rentengesetz vorbereitet, stellt sich heraus, dass zahlreiche Regierungsmitglieder ihre Pflichtzahlungen vernachlässigt haben. von hans martin krämer

Der Händedruck mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-Il hat Koizumi Junichiro wieder einmal gerettet. Mit der Überführung von fünf Kindern ehemaliger japanischer Entführungsopfer aus Nordkorea konnte der japanische Premierminister in der vergangenen Woche einen außenpolitischen Coup lancieren. Wie schon bei der Rückführung der nach Nordkorea entführten Eltern vor zwei Jahren hatte Koizumi diesen erneuten spektakulären Erfolg vergangene Woche innenpolitisch auch bitter nötig. Denn nicht bloß die dramatisch schlechte Situation im Irak bereitet dem Premierminister, der nach wie vor ohne Einschränkungen zu George W. Bush hält, Kopfschmerzen. Auch die nach Jahren der Vorbereitung endlich im Parlament verhandelte Rentenreform brachte die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) zunehmend in Bedrängnis. Genauer gesagt war das Problem zuletzt weniger die Rentenreform selbst als das Versäumnis zahlreicher Spitzenpolitiker, in das gesetzliche Rentensystem einzuzahlen.

Dies hätten die PolitikerInnen, wie alle anderen JapanerInnen zwischen 20 und 60 Jahren auch, seit 1986 tun müssen, als für mehr Rentengerechtigkeit eine staatliche Basisrente eingeführt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es völlig getrennte Rentensysteme für Firmenangestellte, staatliche Angestellte und Selbstständige. Jetzt trägt die gesamte erwerbstätige Bevölkerung eine Grundrente, die im Maximalfall 66 000 Yen, das entspricht etwa 500 Euro, monatlich im Alter bereitstellt. Für Selbstständige oder nicht erwerbstätige Ehefrauen ist dies die einzige gesetzliche Rente, für Angestellte kommt noch eine zweite, einkommensabhängige hinzu. Doch mindestens 90 derzeitige Parlamentsabgeordnete gaben im Laufe dieses Monats zu, zeitweise den Pflichtzahlungen nicht nachgekommen zu sein. Ihnen entgehen dadurch lediglich Anteile an der Basisrente, was sie verschmerzen dürften, sind ParlamentarierInnen doch durch ein zusätzliches Pensionssystem abgesichert, das aus Steuergeldern finanziert wird. Doch dem Rentensystem entgehen wichtige Zahlungen, weshalb das unsolidarische Verhalten der VolksvertreterInnen in der Bevölkerung für Empörung gesorgt hat und zu mehreren Rücktritten von SpitzenpolitikerInnen führte.

Das nach Koizumi wohl einflussreichste Regierungsmitglied, Kabinettssekretär Fukuda Yasuo, warf am 7. Mai das Handtuch. Drei Tage später folgte Kan Naoto, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der Demokratischen Partei Japans (DPJ), der pikanterweise seine Zahlungen ausgerechnet zu dem Zeitpunkt aussetzte, als er 1996 Gesundheitsminister war. Sechs weitere Mitglieder des Kabinetts Koizumi haben ebenfalls zugegeben, für kurze Zeit keine Zahlungen in das Rentensystem geleistet zu haben, verbleiben aber noch im Amt. Dafür hat der zweite starke Mann der DPJ, Ozawa Ichirô, nach Kans Rücktritt demonstrativ auf die Nachfolge als Parteivorsitzender verzichtet. Angeblich, weil auch er nicht durchgängig eingezahlt hat. Doch datieren seine Versäumnisse noch aus der Zeit des alten Rentensystems vor 1986, als die Zahlungen noch keine Pflicht waren.

Sein Amtsverzicht wird von großen Teilen der japanischen Öffentlichkeit folglich als durchsichtiger Versuch bewertet, Koizumi unter Druck zu setzen. Denn auch er hat, wie mittlerweile bekannt wurde, vor 1986 nicht durchgängig seine Rentenbeiträge gezahlt.

Die öffentliche Aufregung war noch dadurch verstärkt worden, dass just zur selben Zeit im Parlament über die Rentenreform entschieden wurde. Mit der höchsten Überalterung aller Industriegesellschaften hat Japan keine leichte Ausgangslage. Es verwundert daher nicht, dass das mittlerweile verabschiedete Gesetzespaket zum einen die Höhe der monatlichen Beiträge heraufsetzt, zum anderen die Höhe der Rentenzahlungen senkt. Die monatlichen Beitragszahlungen in die Basisrente werden von derzeit 13 300 Yen, das entspricht etwa 100 Euro, bis zum Jahr 2017 auf eine an das Lohn- und Preisniveau gekoppelte Summe angehoben werden. Die Regierung nennt einen Betrag von 16 900 Yen, berücksichtigt dabei aber ihre eigenen Berechnungen zum Lohnanstieg der nächsten Jahre nicht. Tatsächlich wird der Beitrag im Jahre 2017 wohl eher über 20 000 Yen (150 Euro) monatlich liegen.

Außerdem wird die Gesamtrente sinken. Umstritten ist lediglich, wie stark. Die Regierung behauptet, auch nach dem Jahr 2023 werde die Rente im Durchschnitt noch über 50 Prozent des Einkommens betragen. Die Grundlage dieser Berechnung ist jedoch eine »Modellfamilie«, von der selbst die konservative Tageszeitung Mainichi sagt, sie sei »der heutigen Zeit nicht mehr angemessen«. Das Gesundheits- und Arbeitsministerium setzt nämlich einen Haushalt voraus, in dem der männliche Vorstand 40 Jahre lang als Firmenangestellter beschäftigt war und die Ehegattin durchgängig Hausfrau war. Längst jedoch gibt es in Japan mehr berufstätige Ehefrauen als Hausfrauen. Dass das Ministerium bei seiner veralteten »Modellfamilie« bleibt, hat einen einfachen Grund: Setzte es stattdessen DoppelverdienerInnen voraus, so könnte es nicht mehr behaupten, die Rente sichere auch zukünftig 50 Prozent des Einkommensniveaus. Das Rentenniveau sänke in diesem Falle nämlich unter 40 Prozent.

Doch auch Zahlentricksereien und skandalumwitterte Personalien werden Koizumi erfahrungsgemäß nichts anhaben können. Die anstehenden Oberhauswahlen im Juli, sicherlich ein Grund für die vielen raschen Rücktritte der letzten Wochen, wird wohl die LDP wieder für sich entscheiden können. Denn so unzufrieden die Bevölkerung auch mit der Regierung sein mag – zuletzt sprachen sich in Umfragen 70 Prozent gegen die Rentenreform aus –, so wenig existiert eine überzeugende Opposition. Die Linke ist so schwach wie noch nie, und die DPJ hat bei der Abstimmung zur Rentenreform einmal mehr gezeigt, was von ihr zu halten ist. Nachdem sie monatelang die Rentenpläne der LDP abgelehnt hatte, stimmte sie zuletzt mit der Regierung für das Gesetzespaket.