Die Konkurrenz der Imperialisten

Von Thomas Ebermann

Kriegsrat. Wir dokumentieren Beiträge zur Veranstaltung Kriegsrat. Die Linke und der Irakkonflikt« mit Thomas Ebermann und Thomas Uwer, die die Jungle World am 13. Februar in Berlin präsentierte.

Ob der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt und mit islamistischem Terrorismus anbandelt, ob man ihn zu einer Bedrohung des Weltfriedens stilisiert, spielt für die Gründe, ihn militärisch zu besetzen, ebenso wenig eine Rolle, wie auf der anderen Seite die Sorge ums Völkerrecht oder darum, dass der Krieg diesmal nicht die »ultima ratio« sei, sondern die Vernunft verletzte, ernst gemeint ist. Was hier rhetorisch aufgefahren wird, ist so irrelevant wie die Frage, ob irakische Soldaten 1990 kuwaitische Babys aus den Brutkästen warfen oder ob es einen Hufeisenplan gab.

Geheimdienste haben zwei Funktionen. Erstens sammeln sie Informationen, fördern Freunde und bringen auch Feinde um, zweitens betreiben sie Propaganda. Also geben sie etwas als ihre Ermittlungen aus, was die jeweiligen Regierungen für ihre politischen Optionen benötigen. Entschieden wird anhand eines einzigen Maßstabes, dem des nationalen Interesses.

Bevor er mit moralischen Kategorien hantiert oder gar der Herrschaft eine fehlerhafte Interpretation des nationalen Interesses vorwirft, sollte der linke Aufklärer die Gründe benennen, die in einer falsch verfassten Welt dennoch der imperialistischen, also instrumentellen Vernunft entsprechen.

Die USA machen, das ist meine erste These, keinen Fehler. Sie erheben seit einigen Jahrzehnten den Anspruch der Hegemonie über die Region am Golf und haben vor 13 Jahren einen Verbündeten verloren, der bis dahin ihren Anforderungen relativ gut entsprach, gerade auch in punkto Brutalität. So etwas war vor einigen Jahren in Panama zu besichtigen und wird vielleicht bald in Kasachstan zu besichtigen sein. Der dortige Staatschef hat Milliardenbeträge aus den USA erhalten, aber so richtig wirft er die Chinesen und Russen nicht raus. Nun bezichtigen ihn amerikanische Gerichte der Korruption.

Die militärischen Mittel hätten 1991 locker gereicht, den Abtrünnigen gänzlich abzuräumen, aber gegenläufige Entwicklungen, die Qualität des Ersatzpersonals und Rücksichten auf Bündnispartner sprachen dagegen. So wurde der Anspruch auf amerikanische Hegemonie in die Form der extremen Schwächung des Iraks gefasst, ihm wurden allerlei Hoheitsrechte entzogen, das Regime durfte nicht das ganze Staatsvolk drangsalieren, nicht seine Ressourcen nach eigenen Berechnungen verkaufen, nicht auf dem Weltmarkt einkaufen wie andere Souveräne.

Gegen die amerikanische Option der extremen Schwächung entwickelten die imperialistischen Gegenspieler der ersten Weltmacht die Option der allmählichen Normalisierung. Sie machten Geschäfte, und mehr noch, sicherten sich zukünftige Ansprüche auf Förderrechte, Industrieanlagen und, zeitlich weiter entfernt, natürlich auch Rüstungsaufträge. Am intensivsten betrieben das Russland, Frankreich und China. Quantitativ untergeordnet, wenn auch nicht unwichtig, war Deutschland.

Das Interesse dieser Staaten, frei von humanistischen Erwägungen, war eine Verlängerung des bestehenden Schwebezustandes als die zweitbeste, eine Dynamik in Richtung Normalisierung als die beste Lösung. Beide Optionen durch die Einrichtung eines eigenen Protektorats, durch die Übernahme einer Mandatsherrschaft zu unterbinden, ist die unumstößliche US-Doktrin, das hat nichts mit schießwütigen Cowboys oder blutrünstigen Typen zu tun. Es sind ja alle in dem Sinne für eine friedliche Lösung, dass z.B. die Amerikaner auch keinen Einwand gegen einen Putsch im Irak hätten, wenn anschließend die Putschisten sie zu einer Besatzung des Landes aufforderten.

Ich will einige Beispiele geben, welche konkreten und strategischen Vorteile den USA aus einem Protektorat im Irak erwachsen. Es sind nur Beispiele, sie taugen nicht zur präzisen Prognose.

Die USA importieren momentan für 100 Milliarden Dollar Öl, wenn wir unterstellen, dass sie den Weltmarktpreis zahlen, was kein Mensch weiß; ein ihnen zufallender Sonderpreis von 15 Dollar brächte der amerikanischen Marktwirtschaft einen Konkurrenzvorteil von 15 Milliarden Dollar jährlich.

Natürlich fließt zusätzlich der größte Teil dessen, was man den Wiederaufbau des Irak nennen wird, an US-Konzerne. Mit dem Besitz des irakischen Öls ist zusätzlich eine Entmachtung der Opec verbunden, sie wird ihre Preispolitik ändern müssen. Der Besitz der oder die Hegemonie über die wichtigsten Weltenergieressourcen bringt Drohpotenziale und Abhängigkeiten von gewaltiger Tragweite. Russland, um ein Beispiel zu nennen, kann den Staatsbankrott anmelden, so bedeutend ist sein Öl- und Gasexport für die Devisenbeschaffung und den Staatshaushalt, wenn es seine Lieferverträge nicht erfüllen kann.

Der Uno-Sicherheitsrat und die Staatenwelt werden nicht gefragt, ob ihnen das gefällt oder ob sie die Beweislage plausibel finden, sondern die Frage lautet ungefähr so: Ermittelt doch mal, ob euer nationales Interesse weniger Schaden nimmt, wenn ihr unser Vorgehen, das gegen euch gerichtet sein mag, dennoch billigt.

Die deutsche Regierung hat sich entschieden, die unter heutigen Bedingungen schärfstmögliche innerimperialistische Konfrontation zu suchen. Dass die Konfrontation keine absolute sein kann, also nicht den Abzug von Spürpanzern, den Entzug von Überflugrechten oder gar die materielle Unterstützung von Saddam bedeutet, dürfte klar sein. Wer an diese Notwendigkeiten die Behauptung knüpft, Deutschland sei letztlich doch ein Vasall der USA, hat entweder gar nichts begriffen oder verrät, wie sehr er selbst unter imperialistisch notwendigen Konzessionen leidet.

Ich schreibe seit 1989 über die Herausbildung eines gegen die USA gerichteten Blocks, dessen führende Kraft Deutschland ist, und ich bin dennoch überrascht, wie scharf der Widerspruch heute schon formuliert wird. Was die deutsche Regierung als Sorge ausgibt, z.B. Unruhe und Instabilität im arabischen Raum, ist nicht selten ihre Hoffnung. Sie hoffen auf militärische Komplikationen, die US-Kräfte binden. Sie hoffen, dass ein Haushaltsdefizit, das im nächsten Jahr 300 Milliarden Dollar betragen soll, den USA Grenzen setzt.

Aber gegenwärtig konkurrieren ungleiche Gleiche. Ungleich sind sie, was die Mittel betrifft. Das US-Militärpotenzial ist quantitativ und qualitativ turmhoch überlegen, die amerikanische Ökonomie ist der der EU quantitativ gleichrangig. Allerdings stehen die europäischen Ökonomien in Konkurrenz zueinander. Gleich sind die imperialistischen Konkurrenten den USA, was ihre prinzipiellen Zwecke und Absichten betrifft, z.B. die Militärdoktrin mit dem gleichen Anspruch der Sicherung von Märkten und Rohstoffen fern der Heimat, die Erhöhung militärischer Interventionsfähigkeit oder die Landesverteidigung am Hindukusch.

Der Jugoslawienkrieg war eine klassische Ausschaltung des Sicherheitsrats, erst nach Vollzug wurde wieder ins Boot geholt, wer zuvor düpiert worden war, wie es damals hieß. Die Zahl der deutschen Gutachter, die in gewagtesten Konstruktionen die völkerrechtliche Legitimität des damaligen Angriffskriegs behaupteten, ist genauso hoch wie die Zahl jener, die nun die USA der Verletzung des Völkerrechts überführen. Meist handelt es sich um dieselben Leute. So zweifelsfrei altruistisch die Gründe, deretwegen die deutschen Soldaten angeblich im Kosovo, am Horn von Afrika oder in Afghanistan sind, so zweifellos mies sind die der Amerikaner: Öl und Mammon – widerlich. Die ganze Dummheit, die verlangt wurde, Scharpings so genannten Beweisen zu glauben, ist der blöden Schlauheit gewichen, man dürfe keinem amerikanischen oder britischen Dokument über den Weg trauen. Das ist nach dem Nationalsozialismus ungeheuerlicher als es damals war.

Ich kenne die welthistorischen Ausnahmen, in denen die Parole »Niemals Krieg« unangemessen war, natürlich bin ich kein Pazifist. Aber ich weiß auch, für wie viele ehemalige Linke und aktuelle Bellizisten die Aussage »Ich bin kein Pazifist« bloß eine Ausrede ist, um sich in westlicher Härte und im Realismus zu gefallen. Vor diese Alternative gestellt, geselle ich mich, obwohl ich es hasse, vor Alternativen gestellt zu werden, zu den Pazifisten. An drei Punkten will ich meine Kritik an der Position von Thomas Uwer explizit aussprechen.

Erstens: Mit einem Konstrukt schafft er einige meiner Argumente schlicht aus der Welt. Er schreibt in der Jungle World vom 5. Januar, dass US-Interventionen bisher die »Etablierung antidemokratischer Regimes« erreicht hätten und dass es »bislang kein Vorbild für eine Intervention, die zur Demokratisierung eines Landes« geführt hätte, gibt. Nun aber erwartet uns ein welthistorisches Unikat. Die Aufforderung lautet: Vergessen wir Vietnam, Kuwait, Jugoslawien, Afghanistan. Nun kommt was ganz Neues. Da hätte ich ein paar Ideen ähnlicher Art. Bisher haben die Kapitalisten menschliche Arbeitskraft unter ihr Kommando gebracht, weil sie daraus einen Profit erzielen wollten. Vielleicht machen sie es ab morgen aus Gründen des Massenwohlstands. Vielleicht ist es bald auch im Winter wärmer als im Sommer.

Zweitens: Die Berufungsinstanzen des erzeugten Optimismus sind neben Artikeln amerikanischer Strategen die Verlautbarung des Uwer gefallenden Teils der Opposition. Sie ist demokratisch, sozial, säkular und will einen entmilitarisierten Irak, also etwas Ähnliches, was auch die Afghanen bei der Petersberg-Konferenz zu wollen versprachen. Ohne größere Sachkenntnis steht zunächst einmal fest, was hier Opposition heißt. Die heutige Opposition ist nicht die Macht, die über Lizenzen, Reparationszahlungen, Förderquoten und Auftragsvergabe entscheidet. Mir scheint ferner zweifelhaft, ob eine Organisation, die Rat der Islamischen Revolution (Sciri) heißt, wirklich mit Feuereifer für den säkularen Staat ficht, aber ich gebe zu, es gibt da zwei oder drei Fatwas, dass es diesmal Allahs Wille ist, die Frommen verbündeten sich mit den Amerikanern.

Drittens: Die größte aller Berufungsinstanzen ist die irakische Bevölkerung. Sich auf die Opposition zu berufen, die den Krieg befürwortet, also behauptet, die Bevölkerung fürchte ihn vergleichsweise wenig, wie es Uwer konstruiert, ist die höchste Form der sonst anderen vorgeworfenen Homogenisierung. Ich halte das für ein ideologisches Konstrukt und vermute, ohne es zu quantifizieren, das Ba’ath-Regime hat in Teilen des Militärs und der Gesellschaft Stützen.

Genauso können Menschen, die das System hassen, sich dennoch wünschen, der Krieg käme nicht über sie. Ich berufe mich aus guten Gründen nicht auf einen alternativen Willen einer Bevölkerung oder einen Willen der Irakis. Der westliche Bellizismus ist fein raus, aber nur ideologisch. Entweder entdeckt er ein islamistisch-terroristisches Volk, dann darf wegen Unbelehrbarkeit eines Selbstmordkollektivs gebombt werden. Oder er entdeckt einen Willen der Irakis, dann muss in dessen Namen gebombt werden. Da bleibe ich lieber beim marginalisierten Geschäft, die gesellschaftlichen Vorraussetzungen des Krieges zu kontrollieren, also Kommunist zu bleiben.

Wem das zu unpraktisch ist, für den habe ich noch einen praktischen Rat. Es gibt die Aufgabe der Spaltung dessen, was sich jetzt Friedensbewegung nennt. Obwohl es keine Spaltung sein wird, weil es so wenige sein werden, sagen wir mal 3 000 gegen 150 000, und der Terminus Abschürfung passt wohl besser. Aber diese 3 000 zu konstituieren, die nicht mit Staatsmännern, Gewerkschaftsführern und Pfaffen demonstrieren, die den Jugoslawienkrieg und den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan bejubelt, befördert oder legitimiert haben, wäre eine Aufgabe.