Sarajevo Selfportrait

Neben der Darstellung direkter Gewalt versucht Kriegsfotografie die Auswirkungen des Krieges auf die menschliche Seele in den von Hass, Wut, Begeisterung, Schmerz und Trauer gezeichneten Gesichtern einzufangen. Dabei entstehen Aufnahmen, die, abgesehen von impliziten Details über sichtbare ethnische Zugehörigkeit, spezifische Kleidung und Landschaften, zu austauschbaren Motiven führen. Sehr beliebt ist die »unschuldige« Mutter mit Kind als zeitlose Pietà. Die Ähnlichkeit der Bildmotive führt allmählich zu einer Verringerung der emotionalen Wirkung.

Das scheinen die Fotografen auch bemerkt zu haben und bemühen sich um neue Perspektiven und Motive. Die Zerstörung Sarajevos wird hier in einzelnen, zum Teil kleinen Details vorgeführt. In Milomir Kovacevic' Serie der beschädigten Tito-Porträts, wie sie in öffentlichen Gebäuden (Schulen und Behörden), aber auch in Privatwohnungen zu finden waren, sind einerseits die direkten Spuren des Krieges dokumentiert, andererseits wird metaphorisch der Untergang einer vormals funktionierenden multiethnischen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht.

Sahin Sisic fotografierte bildfüllend die Blutlachen nach dem Massaker am 27. Mai 1992. Zwei Taschen inmitten der Blutlache sind die Hinterlassenschaft von Menschen, die in der belagerten Stadt nach Brot anstanden. Die zerfetzten Körper stellen wir uns selbst vor, denn das Bildgedächtnis hält abrufbare Motive bereit.

Trotz alledem gibt es im Alltag einer von Scharfschützen bedrohten Stadt kurze Momente des Glücks, die dem ständigen Terror abgetrotzt werden. Auf dem Bild von Danilo Krstanovic flaniert ein glückliches Hochzeitspaar in Sarajevo in der Deckung eines Sichtschutzes gegen Raketenwerfer und Heckenschützen.

Den Kontrast zwischen der Vorkriegsidylle und der Zerstörung macht Kemal Hadzic in seiner Serie »Postkarten« anhand der berühmten Brücke von Mostar deutlich, während sich Dejan Vekic für die staatliche Bosnische Kommission zur Sammlung von Fakten zu den Kriegsverbrechen von 1992 bis 1995 um eine möglichst vollständige Dokumentation der Zerstörung bemühte. Damir Sagolj zeigt am Beispiel eines behinderten Sportlers, wie schwer und unabänderlich die Auswirkungen des Krieges auf den einzelnen Menschen sind. Die psychische Traumatisierung ist kaum bildhaft darzustellen, kann aber aufgrund dieser Bilder, wenn auch nur unzureichend, imaginiert werden. Viele multiethnische Familien wurden wegen der Bürgerkriege zerrissen, ihre Mitglieder standen einander plötzlich auf verschieden Seiten der Front gegenüber.

Wie bei allen Kriegen stellen wir uns die Frage nach den Motiven für den Hass und die mörderische Gewalt. Die ständige Flut an Nachrichten über Scharmützel, Leichenfunde und Massengräber beschrieb eine Situation, schuf aber auf Dauer ein immer größeres Unverständnis. Die Erklärungsversuche der Medien führten auch nicht zu einem Verständnis der Konflikte, sondern unterstützten die maßgeblich von der Politik betriebene einseitige Dämonisierung der Serben. Die Ursachen für den Krieg schienen irrational und wurden oft unzureichend als ausschließlich ethnisch-religiöse Konflikte beschrieben, ohne zu erklären, wieso es nicht bereits früher zum Bürgerkrieg kam. Die falsche Analogie zur deutschen Vernichtung der europäischen Juden im Faschismus wurde bewusst eingesetzt und führte letzten Endes zu einer weiteren Mythologisierung. Das gleiche Szenario wiederholte sich im Kosovo-Krieg.

Michel Chossudovsky bietet in seinem Buch »Global Brutal« (Zweitausendeins, 2002) eine mögliche und plausible Erklärung an. Die Jugoslawien vom IWF aufgezwungenen Strukturmaßnahmen seit dem Ende der achtziger Jahre zogen einen Lohnstopp bei gleichzeitiger Preisanpassung an den Weltmarkt nach sich. Für Kredite und Zinsen musste nun das Geld verwandt werden, das üblicherweise als Ausgleichszahlung für die einzelnen Republiken vorgesehen war. Daraus resultierte eine erhebliche Verschärfung sozialer und ethnischer Spannungen, die separatistische Tendenzen förderten.

Die hier vorgestellten Bilder sind Teil der Ausstellung »Sarajevo Selbstporträt 1991-1999«, die von einer Arbeitsgruppe der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst vom 14. September bis zum 20. Oktober im Kunstraum im Bethanien am Mariannenplatz 2 in Berlin-Kreuzberg gezeigt wird.

Zuerst war die Ausstellung im Jahr 2000 in Dayton, Ohio zu sehen, wo fünf Jahre zuvor mit einem Abkommen das Kriegsende in Bosnien besiegelt worden war. Im letzten Jahr wurde sie dann mit großer Resonanz im Museet for Fotokunst (Brandts Klaederfabrik) in Odense, Dänemark gezeigt, und demnächst wird sie in verschiedenen europäischen Städten zu sehen sein.

Die möglichen Ursachen für die Kriege im früheren Jugoslawien, deren propagandistische Verarbeitung und die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Krieg werden Gegenstände eines Begleitprogramms mit Vorträgen und einer Diskussion sein.

Begleitend zur Ausstellung werden am 30. September, am 7. und am 14. Oktober jeweils um 21 Uhr im Filmriss, Rigaer Straße 103, 10247 Berlin, Filme zum Thema gezeigt.