26.09.2001
Strategien der ehemaligen Sowjetrepubliken

Schluss mit Gus

Die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien müssen sich entscheiden, ob sie die Militärschläge der USA gegen Afghanistan unterstützen oder ob sie sich Russland anschließen.

Manchmal ist auch auf die gewöhnlich gut informierten Kreise kein Verlass. Noch Mitte vergangener Woche wusste Bakodir Umarow, der Sprecher des usbekischen Außenministeriums, nichts von einer Unterstützung seines Landes für eine mögliche US-Militäraktion gegen das Talibanregime: »Es gab natürlich Gespräche zwischen unserer Regierung und den USA. Aber es wurde nicht besprochen, ob wir unseren Luftraum oder gar Militärbasen zur Verfügung stellen wollen.«

Wenige Tage später war alles anders. Am Samstag landeten mehrere US-Militärflugzeuge am Luftwaffenstützpunkt Tusel in der Nähe der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Seitdem das Land die Unabhängigkeit erlangt hat, ist Usbekistan ein enger Verbündeter der USA. »Wenn die Usbeken jetzt ihren unausgesprochenen Verpflichtungen nachkommen, können sie ihre Beziehungen zu Washington vertiefen und es gleichzeitig vermeiden, allzu sehr wegen der Menschenrechtssituation kritisiert zu werden«, analysiert Olivier Roy, Zentralasien-Experte am Pariser Institut für strategische Studien.

Usbekistan grenzt an Afghanistan, das ist praktisch für einen US-Angriff und schlecht für die Zukunft Usbekistans. Man befürchtet viele Flüchtlinge aus Afghanistan und erwartet finanzielle Hilfe der USA zur Bewältigung der daraus resultierenden Probleme. Die USA sind ein wesentlicher Faktor bei der Auswahl der strategischen Optionen der zentralasiatischen Republiken. »Viele Staaten in der Region verbünden sich nun mit den USA, um die Flüchtlingswelle bewältigen zu können«, so Wladimira Sydykowa, die Chefredakteurin der kirgisischen Zeitung Res Publika gegenüber Jungle World.

Selbst in Kirgisien, das nicht einmal an Afghanistan grenzt, merkt man inzwischen etwas von der angespannten Situation. »Nach offiziellen Regierungsangaben sind in der letzten Woche rund 2 000 Flüchtlinge aus Afghanistan hier angekommen, aber die Regierung untertreibt in solchen Fällen immer«, sagt Sydykowa. Doch um allen Eventualitäten vorzubeugen, hat sich Kirgisien auf die Seite der USA gestellt, Russland hat zurzeit keine Chance.

Usbekistans Präsident Islam Karimow wiederum erhofft sich weitere Hilfe von den USA. Er kämpft seit Jahren gegen die Fundamentalisten der Islamischen Bewegung Usbekistans, die auch schon verheerende Bombenanschläge verübt hat. Außerdem soll sie in engem Kontakt mit der Al Qaida-Bewegung von Ussama bin Laden stehen. In der letzten Woche tauchten erstmals Gerüchte auf, wonach Juma Namangani, einer der Köpfe der usbekischen Fundamentalisten, sich der Al Qaida-Bewegung angeschlossen und sich nach Afghanistan abgesetzt hat.

Für Russland ist Usbekistan als Bündnispartner verloren, obwohl sich doch die russische Regierung enorme Mühe gab, die zentralasiatischen Republiken in einer Allianz zu binden, die zwar gegen die Terroristen vorgeht, andererseits aber den US-amerikanischen Einflusses in der Region begrenzen soll. Gerade jetzt also treten die USA und Russland in einen Wettkampf um die Gunst Zentralasiens, und die dortigen, meist despotisch regierenden Staatschefs müssen sehr genau aufpassen, welcher Seite sie sich anschließen.

In der vergangenen Woche reiste der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Wladimir Rushailo, durch alle fünf ehemaligen Sowjetrepubliken der Region und versuchte, sie für das russische Konzept der Terroristenabwehr zu werben. Zumindest in Turkmenistan hatte er Erfolg. Mit dem Präsidenten Sapamurad Nyazow wurde eine vollständige Übereinstimmung erzielt. Nyazow nämlich verweigert jede Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten.

Er hat gute Gründe dafür, da er fürchtet, dass die in Afghanistan lebenden Turkmenen im Falle eines Krieges in sein Land flüchten könnten. »Nyazow werden die USA nicht beeinflussen können, denn er hat auch Interessen, die überhaupt nichts mit Terrorismus zu tun haben«, sagt Martha Brill Olcott vom Carnegie-Institut für Frieden. Wie etwa diese: Turkmenistan ist reich an Gas, es fehlt aber an Pipelines, die nur durch Afghanistan verlaufen könnten; also verhandelt man mit den Taliban.

Für Russlands Regierung jedenfalls ist Eile geboten bei ihrem Unterfangen, eine Allianz gegen den Terrorismus und gegen die USA zu schmieden. »Washington hat noch nichts über konkrete Pläne verlautbart. Wie immer sich Russland entscheiden wird, die geopolitische Situation in den ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken wird sich drastisch verändern.

Moskaus Einflussbereich in Zentralasien könnte sich wesentlich reduzieren, wenn die Vereinigten Staaten Militärbasen in Zentralasien für Gegenschläge benutzen«, glaubt Wadim Soloyow, leitender Redakteur der russischen Independent Military Review, und warnt vor einer jahrzehntelangen Präsenz US-amerikanischer Soldaten in der Region.

Noch in der letzten Woche dementierte der russische Außenminister Igor Iwanow jede mögliche militärische Allianz mit den Vereinigten Staaten. »Es gibt keine Gespräche über eine militärische Zusammenarbeit und diesbezüglich auch keine Anfragen aus Washington«, gab sich Iwanow wortkarg und sicherte auch seinerseits den US-Amerikanern Unterstützung zu. Derartige politische Lippenbekenntnisse entspringen aber wohl eher russischen Staatsinteressen denn einer neuen freundschaftlichen Annäherung.

Zwar sympathisiert die russische Führung schon länger mit der afghanischen Nordallianz, doch mehr als ein Bollwerk gegen extremistische Fundamentalisten sah man in den Afghanen nie. Auch die wirtschaftlichen Interessen Moskaus könnten mit einer endgültigen Befriedung Afghanistans gefährdet werden. So befürchtet man die Errichtung neuer Pipelines in Afghanistan, die Öl und Gas aus Zentralasien zum Indischen Ozean befördern könnten. Russland wäre als Transitland dann weitgehend ausgeschaltet.

Andererseits hofft Russlands Führung nun auf mehr Verständnis für ihren viel geschmähten Feldzug in Tschetschenien. »In den letzten zwei Jahren hat die internationale Staatengemeinschaft Russland wegen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien verurteilt.

Das könnte sich nun ändern«, meint der Moskauer Analyst Yefim Dikii und geht in seinen Spekulationen noch einen Schritt weiter. »Wenn es zu einer globalen militärischen Eskalation kommt, wäre es aus russischer Sicht durchaus denkbar, Aserbaidschan mit all seinen Ölressourcen zu annektieren. Russland wäre damit wieder eine Supermacht: reich und aggressiv.«