Wenn der Lektor zweimal klappert

Auf der Leipziger Buchmesse gab es dieses Jahr außer völlig neuen Büchern einen Preis für den dämlichsten Waschzettel

Von "spontanem Parallelverhalten" spricht man in der Wirtschaftswissenschaft, wenn die Anbieter einer Branche ohne Absprache und erkennbaren äußeren Druck alle das gleiche machen.

Besonders häufig trifft man solche Kohärenzphänomene in Branchen mit ausgereiften Produkten an, wo schon einigermaßen klar ist, was geht und was nicht. Die schon etwas ältere Buchbranche bietet ein Paradebeispiel für schwindende Produktvielfalt bei ausufernder Anbietervielzahl, selbst wenn man nur das schmale und schmaler werdende Segment der literarischen Literatur betrachtet.

Am vergangenen Wochenende war wieder einmal ein Ortstermin zur Besichtigung angesetzt: Buchmesse in Leipzig. Von den Themen und Inhalten gar nicht zu reden, haben die verlegerischen Strategien zur Vermarktung und Anpreisung von Literatur ein Maß an Gleichschaltung und Austauschbarkeit erreicht, daß sich jetzt sogar branchenintern Widerstand - wenn auch nur symbolischer - regt. Erstmals wurde in Leipzig, initiiert von der Süddeutschen Zeitung, die "Bleiche Feder" als Award für den verquastesten und dämlichsten Klappen- oder Programmvorschautext verliehen.

Die Juroren Pieke Biermann und Rainer Stephan unterteilten dabei sinnvollerweise in die drei Kategorien "Superlative", "Raunen" und "Im Kessel", wobei diese sich wechselseitig durchdringen und befruchten können, und präsentierten zahlreiche Beispiele aus allen Kategorien. "Im Kessel" und "Superlative" meinen dabei die beiden Aspekte ein und derselben vergleichsweise harmlosen, weil altbekannten Strategie.

Ein unbekannter Autor wird mit bekannten Autorennamen so lange umstellt, bis er selbst nicht mehr zu erkennen ist. Hat er oder sie dagegen schon ein oder mehrere mehr oder weniger erfolgreiche Bücher geschrieben, hagelt es Superlative. So konnte Biermann allein für diese Saison rund ein Dutzend "erfolgreichster", "meistverkaufter" oder "meistgelesener" Autorinnen und Autoren ausmachen, wobei es zwischen diesen Attributen geheime Abstufungen zu geben scheint.

Gern arbeitet man in beiden Kategorien mit der "selffulfilling prophecy", wonach ein namenloser Autor schnell zum "Kultautor" wird, ein eben erst erschienenes Buch ist bereits "die Entdeckung des Frühjahrs" und dergleichen mehr. Dagegen hat es das "Raunen" in sich: Weniger offensichtlich wird hier noch der größte Schmu produziert. Das Feld reicht von den "stillen, beschaulichen vollkommenen Nonsens- und Schmocktexten" (Stephan) bis zur katastrophal hochtrabenden Blamage. Obligate Adjektive in diesem Zusammenhang sind "virtuos", "fulminant", "furios", "lakonisch" und "humorvoll", wobei darauf zu achten ist, daß über die Verknüpfung "aber", "und doch" bzw. "zugleich" immer auch das genaue Gegenteil postuliert wird.

Den auf diesem Gebiet richtungsweisenden Frieling-Verlag, der jährlich über tausend Hobbyautoren-Titel nach dem Schema dem allgemeinen Gespött überantwortet, ließen die Juroren als nicht satisfaktionsfähig links liegen. Auch der im Selbstverlag herausgebrachte Geheimtip dieser und schon der vorigen Messe "Zivilist - Biografie eines Pferdes" hatte keine Chance.

Joseph Fischers selbstdenunziatorische Ankündigung zu "Fit und schlank - mein langer Lauf zu mir selbst" ("Neben einer gesunden Ernährung habe ich u.a. die Kunst des Laufens entdeckt, die mich - wie unzählige vor mir - gefesselt hat") muß den Juroren wohl entgangen sein. Oder sie wollten schlicht abwarten, bis Fischer im nächsten Jahr auch noch das Sprechen erlernt und ein Buch darüber schreibt, wie auch immer. Der Gewinner jedenfalls - was läge näher? - heißt: Suhrkamp.

Hatte nicht Eckhard Henscheid bereits 1992 festgestellt: "An einem fortgeschrittenen Punkt, so registriere ich erstaunt und erfreut, muß man beim Suhrkamp-Prospekt über praktisch alles lachen, über jedes Wort in dieser leider nur halbjährlich erscheinenden Ikonographie des je akuten Weltenwahns"? Doch. Und die ausschlaggebende Ankündigung zu Ulla Berkéwicz' "Der Golem in Bayreuth" löst dieses Verdikt auch heute voll und ganz ein: "Das Festspielhaus wird in Brand gesetzt. Götterdämmerung der alten Welt oder 'World War Threeeeeeee' [sic!]? Keine Überlebenden und keine Toten. Nur zwei Menschen sind übrig, finden eine Sprache, die sonst keiner versteht und die zu nichts oder weiß Gott wohin führt."

Eine berechtigte "Bleiche Feder" für Suhrkamp, die übrigens im nächsten Jahr für besonders gelungene Rezensionen vergeben werden soll. Bisher deutet alles auf ein Fotofinish zwischen Raddatz und Karasek hin.