Rot-Grün einigt sich auf ein sicheres Deutschland

Kontrolle light

Die schlechten Nachrichten zuerst: Vermummungsverbot, Antiterrorgesetze und Großer Lauschangriff bleiben uns ebenso erhalten wie das New Yorker "Zero-Tolerance"-Konzept, mit dem deutsche Großstädte auf Sicherheit und Ordnung getrimmt werden sollen. Auch der Grenzschutz darf weiterhin ungestört an der Ostgrenze auf Flüchtlingsjagd gehen und im gesamten Bundesgebiet auf Bahnhöfen und in Zügen verdachtsunabhängig kontrollieren.

Die guten Meldungen bleiben leider aus. Nicht etwa, weil die Grünen bei den Koalitionsverhandlungen in der sogenannten Kriminalitätsbekämpfung keine einzige ihrer bürgerrechtsorientierten Forderungen durchsetzen konnten. Damit war zu rechnen. Nun aber hat man sich in Bonn dank der Ökos auch noch darauf geeinigt, "Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie kriminalpräventive Räte nachhaltig" zu unterstützen.

Anstatt einer Entschärfung der einen oder anderen Kantherschen Maßnahme haben wir jetzt den kompletten rot-grünen Salat: Auf der einen Seite die harte Linie gegen jede Form von Delinquenz, wie sie Schröder schon immer verfochten hat. Auf der anderen Seite Kontrolle light, die softe Variante der Kriminalitätsbekämpfung: Präventionsräte, zusammengesetzt aus Anwohnern, Polizei, SozialarbeiterInnen sowie Geschäftsleuten. Diese Initiativen sollen Spannungen im Vorfeld erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten. Rechtschaffene Bürger werden es sich nun verstärkt zur Aufgabe machen, alles Auffällige, Fremde und Unordentliche zu registrieren, zu melden und nötigenfalls auch mal selbst Hand anzulegen. Oder ist etwa geplant, Junkies, Punks, Obdachlose und illegalisierte Flüchtlinge in die sogenannte Kommunale Kriminalprävention (KKP) einzubeziehen?

Wohl kaum. Dafür haben Fremde "bei uns kaum eine Chance, lange unentdeckt zu bleiben", freut sich Christine Rachuff, die Sprecherin der KKP-Initiative "Hier wachen Nachbarn" aus dem Berliner Stadtteil Frohnau. Großgeschrieben werden bei der KKP die Interessen von Geschäftsinhabern. So berichtet der Hamburger Kriminologe Werner Lehne in der antirassistischen Zeitung ZAG von Arbeitsgruppen zur Prävention des Ladendiebstahls, die vor allem darauf setzen, die Anzeigebereitschaft der Kunden zu fördern oder kollektive Hausverbote für Ladendiebe zu verhängen. Lehnes Schlußfolgerung: "Selbst dort, wo eine kriminalpräventive Arbeitsgruppe sich explizit auf eine sozialpolitische Reaktionsebene festlegt, bedeutet dies nicht, daß repressive Strafrechtsreaktionen durch sozialpolitische Ursachenbearbeitung ersetzt werden."

Diese "Ursachenbearbeitung" können und wollen freilich auch die Grünen nicht leisten, haben sie doch kaum vor, den gesellschaftlich definierten Begriff von Delinquenz, und damit auch die Eigentumsverhältnisse, infragezustellen. Eine Erklärung der Bundestagsfraktion vom vergangenen Jahr verweist auf den Blickwinkel der Öko-Mittelständler. Nicht der Ausgrenzungscharakter des Kriminalitätsdiskurses steht dort im Zentrum der Kritik. Im Gegenteil: "Bündnis 90/Die Grünen nehmen die Sorgen der Bevölkerung vor einer Zunahme der Kriminalität ernst." Daß sich diese Furcht in den Jahren 1990 bis 1995 nach Untersuchungen des Max-Planck-Instituts verdreifacht hat, während die Kriminalitätsrate gleich geblieben ist, gibt den alternativen Sicherheitsexperten offenbar nicht zu denken.

Die Gesellschaft der Deutschen wird zum Gemeinwesen homogener Interessen, bedroht von Schmarotzern, Tagedieben und - nicht zu vergessen - ausländischen Banden. Dabei hält sich das Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden, mit 0,19 Prozent in Grenzen. Betrachtet man die daraus entwickelten Szenarien über Drogendealer oder Organisierte Kriminalität, so müßte angesichts familiärer Gewalt gegen Frauen und Kinder jede durchschnittliche TV-Familienserie einem ordentlichen Splatter gleichen.

Immerhin haben uns die Bonner Sozialdemokraten vor noch Schlimmerem bewahrt: Der Entkriminalisierung von Bagatelldelikten in der Form, wie sie von den Grünen gefordert wurde. Sicher: Jede Mark in die Staatskasse, jede Stunde im Knast für das Verschönern grauer Wände oder den verbilligten Einkauf bei Kaiser's ist zuviel. Doch der Verweis im "alternativen Sicherheitskonzept", man möge Schadenswiedergutmachung Vorrang geben, "ohne das Delikt zu verharmlosen", erinnert an die Keule des Protestantismus: Über die persönliche "Einsicht" sollen sich Graffiti-Sprayer, Schwarzfahrerinnen oder Ladendiebe selbst von ihrem Vergehen gegen die Gemeinschaft überzeugen - ganz im Sinne des Kommunitarismus. Dann doch lieber klare vertragliche Abkommen jenseits falscher Moral: Wer die Eigentumsverhältnisse nicht respektiert und sich erwischen läßt, hat ganz einfach Pech und muß zahlen.