Grundwortschatz Rassismus

Mark Terkessidis' Studie über die Produktion rassistischen Wissens in der Moderne

Psychologen, denkt der Patient in uns, beschäftigen sich mit den "Leidenschaften der Seele", mit dem, was uns "insgeheim", jenseits unserer bewußten Entscheidungen und vernünftigen Motive bewegt, dieses zu tun und jenes zu lassen.

Von einer "Psychologie des Rassismus" könnten wir also erwarten, daß sie von den "untergründigen" und ambivalenten Gefühlen spricht, die das Verhältnis zum "Anderen" bestimmen: von der Angst vor dem "Fremden" über seine exotisierende Bewunderung bis zum Wunsch nach seiner Auslöschung. Das Vokabular ist relativ eingespielt, und so wäre es nicht verwunderlich, auf Worte wie "orale Einverleibung", "Kastrationsangst", "Projektion" oder "Säuberungswahn" zu stoßen, sowie, als Leitplanke der ganzen Interpretation, auf Freuds raffinierten Satz, daß das unheimliche Fremde nur das heimliche Eigene sei.

Weil bei Mark Terkessidis von all dem keine Rede ist (und eine am Erleben der Subjekte ausgerichtete Betrachtung sogar ausdrücklich zurückgewiesen wird), muß man sich fragen, warum das Buch den - nicht gerade anspruchslosen - Titel "Psychologie des Rassismus" trägt, - und nicht etwa "Der gesellschaftliche Diskurs des Rassismus" oder "Rassismus und Moderne", was die Sache um einiges genauer treffen würde. Hier muß man sich mit der Vermutung begnügen, daß es sich um die Diplomarbeit des Autors im Fach Psychologie handelt. Was auch erklären würde, daß der diskursanalytischen Kür ein Pflichtdurchlauf durch psychologische Erklärungsmodelle vorangestellt ist, der dazu dient, alle Ansätze zurückzuweisen, die rassistische Einstellungen und Verhaltensweisen als charakterliche "Störung", als pathologische Ausnahme, als verzerrte Wahrnehmung oder temporäre Entgleisung betrachten, d.h. als etwas, das individuell diagnostiziert oder behandelt werden könnte.

Der Begriff, um den bei Terkessidis alles kreist, ist das "rassistische Wissen". Dabei handelt es sich nicht nur um den relativ stabilen Bestand kultureller Vorurteile, der durch Institutionen und andere (ideologische) (Staats-)Apparate unablässig weitergereicht wird, es geht vor allem um die Erzeugung dieses Wissens. Vor dem Vorurteil, könnte man sagen, liegt das Urteil: der sprachliche Schnitt, der zwischen dem Eigenen und dem Anderen unterscheidet, ein Objekt des Wissens konstituiert und das Unterschiedene als Fremdes setzt.

So beruht das rassistische, "vorurteilshafte" Wissen auf dem epistemologischen Akt, mit dem eine dominante Gruppe eine untergeordnete Gruppe als abgesondertes Objekt konstruiert und ihr bestimmte, angeblich wesenhafte biologische oder kulturelle Merkmale zuweist. Wie Terkessidis zeigt, ist diese "Rassenkonstruktion" nicht zu trennen von gesellschaftlicher Ausgrenzung: Der Ausschluß stützt sich auf die Erkenntnispraxis, und die gesellschaftliche Segregation läßt die "Andersheit" und Unterlegenheit des Objekts nur um so schärfer hervortreten. Wenn rassistische Praxis und Wissen so eng verbunden sind, liegt es nahe, sich ausführlich mit den Bedingungen der Produktion und Reproduktion dieses Wissens zu beschäftigen.

Die Auffassung von Rassismus als Erkenntnispraxis bewirkt einen radikalen Perspektivenwechsel: weg von der Betrachtung der subjektiven Erfahrung, der "kleinen" Situationen, in denen Menschen Rassismen erleben, hin zu den "großen" ideologisch-institutionellen Superstrukturen, in denen das rassistische Wissen produziert und reproduziert wird. Diesen Schwenk vom individuellen Erleben zur Allgemeinheit des Wissens vollzieht Terkessidis schon in den ersten Zeilen des Vorworts.

Er beschreibt, wie er einer Frau, die nur gebrochen deutsch sprach, die Wohnungstür zunächst nicht öffnen wollte: "Unwillkürlich schoß mir durch den Kopf, daß die Person vor der Tür wohl eine 'Zigeunerin' sein müsse, die mir Schund verkaufen wolle." Als er später über diese Szene nachdenkt, steht für ihn schnell fest, daß die Grundlage seiner rassistischen Phantasie in einem vorgängigen "Wissen über die Anderen" lag. Sein Verhalten sei deshalb nicht als individuelles Problem, als pathologische Entgleisung oder als Ausdruck eines unbewußten Konflikts zu erklären, sondern als Teil eines rassistischen Wissens, das sich nicht nur vollkommen in der gesellschaftlichen Normalität aufhält, sondern diese auch mitdefiniert.

Sehr früh also wendet sich Terkessidis vom Besonderen der psychischen Realität ab, um sich fortan mit den allgemeinen Formationen des Wissens, des Diskurses und der Rationalität zu befassen. Von der Erfindung der Moderne im Jahre 1492 bis zur Entdeckung der Kontrollgesellschaft im Jahre 1990 wird hier noch einmal die Geschichte der abendländischen Vernunft erzählt: als eine Geschichte der Konstitution des Eigenen im Spiegel (und auf Kosten) wechselnder Anderer. Kennzeichnend für die Moderne ist dabei, daß von einem wirklich "Fremden" gar nicht mehr gesprochen werden kann. "Fremdheit" ist das Ergebnis eines Prozesses, in dem das Andere in den westlichen kulturellen Kosmos eingeschlossen und in diesem Einschluß gleichzeitig als "Fremdes", "Unwesentliches", "Abweichendes" ausgeschlossen wird.

Dieser Ausschluß durch Einbeziehung bildet für Terkessidis so etwas wie die Logik des modernen rassistischen Wissens: Um zu rechtfertigen, daß die Anderen, die nach den Voraussetzungen der bürgerlichen Revolution genauso "frei und gleich" sein müßten wie die europäischen Staatssubjekte, dennoch ungleich und unterworfen sind, wird ihre Subjektivität in allen Punkten als Abweichung und spiegelbildliche Umkehrung der weißen, dominanten Norm konstruiert.

Die aktuellste Wendung in dieser Geschichte der Selbstkonstitution durch Abwertung der Anderen liegt darin, sich selbst - unter anderem via Popkultur - als "global, grenzüberschreitend, offen, demokratisch, modulierend, tolerant, 'multikulturell', bunt, 'hybrid', ironisch" zu entwerfen, die anderen jedoch als "statisch, verschlossen, traditionalistisch, sexistisch, intolerant, puristisch, humorlos, fanatisch - mit einem Wort: (als) fundamentalistisch".

Sein eigentliches "Leben" führt das rassistische Wissen in den "Institutionen der prejudiced society". Es artikuliert sich in den harten, durch Staatsbürgerschaftsrecht, nationale Kultur und gespaltenem Arbeitsmarkt verfügten Ausgrenzungspraktiken und reproduziert sich ungebrochen in den weicheren, "offenen" Milieus der Kontroll- und Freizeitgesellschaft. Gegen die modische Hybriditäts- und Entgrenzungs-Euphorie verweist Terkessidis auf das unveränderte Machtgefälle zwischen denen, die kulturelle und biologistische Zuschreibungen verfügen können, und denen, die sie ertragen müssen. Wie unsicher sich die hegemonialen Subjekte auch über ihre Identität und ihr Verhältnis zum "Anderen" geworden sein mögen, für die daraus resultierende Dauerpanik zahlen immer die Anderen den Preis.

Ein Ausdruck wie "Dauerpanik" bezeichnet eine der seltenen Gelegenheiten, in denen die Selbstbewegung des Wissens so etwas wie eine affektive Dimension bekommt. Über weite Strecken jedoch breitet Terkessidis das Eigenleben des rassistischen Diskurses aus, als handele es sich um eine abstrakte Struktur oder Logik, die zwar dem psychischen Verhalten zugrunde liegen soll, über deren Verwirklichungen die Wissenschaft aber schweigen muß: "Eine psychologische Theorie kann nicht den Anspruch erheben, über alle individuellen Konkretionen des Rassismus im einzelnen Auskunft geben zu können."

Angenommen, Rassismus sei "wie eine Sprache strukturiert", dann hätten wir mit "Wissen" und "Diskurs" den Grundwortschatz und die allgemeinsten Verwendungsregeln dieser Sprache kennengelernt, aber nichts darüber erfahren, wann und von wem, mit welchen Auslassungen, Verkehrungen, mit welchen körperlichen Affekten sie gesprochen - und wie sie aufgenommen und beantwortet - wird.

Dabei wäre es - psychologisch - durchaus interessant, wie die vom Diskurs durchtränkten Subjekte ihr "Wissen" ausagieren: nicht nur durch Handeln (Gewalt) und Sprechen (Vorurteil), sondern auch in den grobsoziologisch weniger relevanten körperlichen und intersubjektiven Reaktionen: Schweigen, Idiosynkrasien, Angstzustände, Vermeidungshandlungen, Symptombildungen, Verschiebung der Wahrnehmung usw. Eine solche Psychopathologie des rassistischen Alltagslebens würde, wie Frantz Fanon anhand der kolonialistischen Deformierung gezeigt hat, einiges umfassen, das keine "expression in talk" findet.

Wenn die Psychologie, wie Foucault mit Blick auf die "Humanwissenschaften" gesagt hat, "von dem Gesetz durchdrungen (ist), das Ungedachte zu denken (...), den Schleier des Unbewußten zu lüften, sich in seinem Schweigen zu absorbieren oder das Ohr auf sein unbegrenztes Gemurmel zu richten", dann verfährt Terkessidis' "Psychologie" radikal anti-psychologisch. Denn sie sieht ab von allem, was unsagbar, ungedacht und unbewußt sein könnte, um sich streng an das "Sagbare" und die expliziten Formulierungen des "Wissens" zu halten. Auf diese Weise vermeidet sie vielleicht die gröbsten Unterstellungen der Psychologie ("Seele", "Mensch", "Ich" etc.), verliert aber auch ihren Gegenstand: jene "psychische Realität", deren Besonderheit möglicherweise darin besteht, nicht aufzugehen in Bewußtsein, Wissen und Diskurs.

Mark Terkessidis: Psychologie des Rassismus. Westdeutscher Verlag, Opladen/Wiesbaden, 1998, 280 S., DM 54