Die zweieinhalbte Generation

Die Drittstaatenregelung bleibt, die doppelte Staatsbürgerschaft kommt. Was MigrantInnen von der neuen Bundesregierung zu erwarten haben

Die grüne Wortschöpfung legt einen hübschen Schleier über das, was nicht erreicht wurde: "Ein Recht für die zweieinhalbte Generation" nannte Kerstin Müller vergangene Woche das Ergebnis der Staatsbürgerschafts-Beratungen mit der SPD. Am Ende des sechsten Verhandlungstages zwischen Bündnisgrünen und Sozialdemokraten atmete die grüne Fraktionschefin auf: Mit der Regelung, erst einmal den Kindern von bereits in Deutschland geborenen Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft anzubieten, werde ein "klares Signal für die Integration" gegeben.

Verschobene Einbürgerung: Daß sich die SPD nicht auf die Grünen-Forderung eines altersunabhängigen Rechtsanspruchs auf die doppelte Staatsbürgerschaft eingelassen habe, klagte Müller, sei zwar "nicht so einfach", ändere aber nichts daran, daß sich "beide Seiten in dem Kompromiß wiederfinden" könnten.

Die einen mehr, die anderen weniger; das Zugeständnis an den Juniorpartner jedenfalls konnte sich die SPD erlauben, nicht umgekehrt: Neben den Kindern der dritten Generation bietet Rot-Grün künftig auch denjenigen die doppelte Staatsbürgerschaft an, deren Eltern bereits als Minderjährige unter 14 Jahren nach Deutschland eingewandert sind. Auch soll die Einbürgerungsfrist von jetzt 15 auf acht Jahre verkürzt werden.

Das Positive vorweg: Die Entscheidung, daß künftig Kinder der dritten Generation automatisch einen deutschen Paß bekommen und ihren alten dennoch behalten können, war überfällig. Als der Bundestag vor einem Jahr über die "doppelte Staatsbügerschaft" debattierte, standen einzelne CDUler noch vor der Frage, ob sie einen fraktionsübergreifenden Gruppenantrag unterstützen würden. Sie übergaben sich dem Fraktionszwang: Das deutsche Staatsangehörigkeitenrecht ist weiterhin ein Blutsrecht, eine Annäherung an das in den USA oder Frankreich geltende Ius soli wurde nicht realisiert.

Die Tatsache, daß die Reform des Staatsbürgerschaftsrecht im neuen Bundestag von der Blutsrechts-Fraktion aus CDU und CSU kaum mehr zu Fall gebracht werden kann, ist erfreulich: Eine Angleichung an die liberaleren Standards anderer EU-Staaten könnte nun stattfinden, in Großbritannien, Spanien oder den Niederlanden ist der zweite Paß längst die Regel - während er in Deutschland weiterhin eher die Ausnahme bleiben wird. Dennoch: Die selbst aus den Reihen der wilden CDU-Mittvierziger seit Jahren vorgetragene Forderung nach einer Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrecht scheint sich in den nächsten vier Jahren zu erfüllen.

Das ebenfalls von Teilen der Union und derem alten Koalitionspartner FDP geforderte Einwanderungsgesetz nicht: Obgleich selbst das sozial-liberal geführte Rheinland-Pfalz und das rot-grün regierte Hessen in der Vergangenheit im Bundesrat wiederholt Gesetzesvorschläge für eine geregelte Einwanderung eingebracht hatten, wollten die SPD-Verhandlungsführer von der Grünen-Forderung nichts wissen. Kerstin Müller versuchte zwar rhetorisch zu retten, was nicht mehr zu retten war: "Diese Bundesregierung wird anerkennen, daß die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist" - ein Einwanderungsgesetz schaffen wird die neue Regierung freilich nicht.

In gewollter sprachlicher Abkehr von der Unions-Propaganda, wonach Deutschland eben "kein Einwanderungsland" sei, betonen die Grünen die Hinwendung zu einer Integrationspolitik, den Bruch also zur Kohlzeit der Aus- und Abgrenzung. Für die Kontinuität zur Kantherschen Sicherheitspolitik sorgt die SPD. Ausgerechnet Herta Däubler-Gmelin, die den "Asylkompromiß" vor fünf Jahren an die Parteilinke verkaufte und, wenn's denn mit der Frauenquote hinhaut, die neue Justizministerin wird, wollte über eine Quote für MigrantInnen nicht mehr verhandeln: "Eine Zuwanderung kann in der derzeitigen Situation von niemandem ernsthaft gefordert werden."

Ebensowenig wie eine auch immer geartete Änderung des Asylrechts und seiner Folgegesetze, muß man hinzufügen. Das 1993 gemeinsam mit der alten Regierungsmehrheit faktisch abgeschaffte Recht auf politisches Asyl brachte den Artikel 16 a ins Grundgesetz: Die Chiffre 16 a steht inzwischen für das Recht auf die Verweigerung von rund neunzig Prozent aller Asylanträge. Sie bleibt der SPD auch mit dem neuem Partner heilig.

Ergänzungen, die eine Liberalisierung einzelner Vorschriften bedeuteten, sollen sich, soweit sie bis zum Wochenende überhaupt bekannt wurden, im minimalen Rahmen bewegen und auf "Verwaltungsvorschriften" begrenzt bleiben, wie ein Mitarbeiter des Büros von Däubler-Gmelin Jungle World sagte. So soll für sogenannte "Altfälle", wie etwa Flüchtlingen im Kirchenasyl, eine großzügigere Härtefallregelung angewendet werden. Zudem soll sich auch aus frauenspezifischen Fluchtgründen Anspruch auf Asyl ergeben.

Nichts also mit dem Umschwung im Asylrecht, den die Bündnisgrünen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht vom Mai 1996 noch angemahnt hatten. Ein weiteres "Essential" aus grünen Oppositionstagen fiel ebenfalls den Verhandlungen mit der SPD zum Opfer: die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Als Teil des "Asylkompromisses" zwischen SPD und der alten Regierungskoalition zunächst nur auf ein Jahr beschränkt, zeichnet sich das Gesetz inzwischen durch Langlebigkeit aus. Auf seinen - im Frühjahr parlamentarisch abgemilderten - Kern reduziert, handelt es sich bei dem Leistungskürzungsgesetz um die gesetzlich abgesegnete Aufforderung zum Aushungern - bürokratisch geregelt, versteht sich: Die Streichung des Sozialhilfesatzes, des Wohngeldes und der medizinischen Versorgung übernimmt der Staat. Keiner hat den Zweck des Gesetzes besser auf den Punkt gebracht als einer seiner Schöpfer, der Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU): "Diese Gruppen werden nicht mehr durchgefüttert", brachte er den Gesetzentwurf im Januar diesen Jahres in den Bundesrat - und gewann die Zustimmung der SPD.

Und hat sie weiter: Die Sozialdemokraten halten am Asylbewerberleistungsgesetz fest, den Grünen warfen sie während der Verhandlungen letzte Woche vor, "unannehmbare, der Bevölkerung nicht vermittelbare Forderungen" zu stellen. Als Musterstück repressiver Flüchtlingspolitik macht es wie kein ein anderes Gesetz die Kontinuität von christdemokratisch dominierter zu sozialdemokratisch geführter Innen- und Ausländerpolitik deutlich.

Und die wiederum macht sich an Personen fest: Ob es um den Großen Lauschangriff ging oder um die Genfer Flüchtlingskonvention, kaum einer unterstützte den scheidenden Innenminister Manfred Kanther (CDU) in der vergangenen Legislaturperiode mehr als sein designierter Nachfolger Otto Schily (SPD). Im für die Verschärfung der Ausländergesetze zuständigen Ressort dürfte sich Schily wohl fühlen.

Nach den so erfolgreich verlaufenden Koalitionsverhandlungen allemal: Wie mit dem Asylbewerberleistungsgesetz erging es den Grünen bei Flughafen- und Drittstaatenregelung, den im Grundsatzurteil des Verfassungsgericht 1996 kritisierten Verfahren. Nichts als Niederlagen für die 6,7 Prozent-Partei. Otto Schilys Sozialdemokraten setzten sich in allen Punkten durch, nicht einmal der Hinweis auf die höchstrichterliche Rüge half den Grünen bei ihrem einstigen Parteifreund weiter.

So hatte das Gericht vom Bundestag die Festschreibung und Einrichtung einer kostenlosen asylrechtlichen Beratung an den Flughafen gefordert, um die Menschenrechte für Asylsuchende zu gewährleisten, die es durch die im "Asylkompromiß" geschmiedeten Verfahren mangelhaft umgesetzt sah. Was ebenso gilt für die Drittstaatenregelung: Das von den obersten Richtern eingeforderte Konzept der "normativen Vergewisserung", das heißt einer regelmäßigen Kontrolle und Überprüfung der Praxis und Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention durch die Dritt-und Viertstaaten, ist immer noch nicht realisiert.

Die in Flughafen- und Drittstaatenregelung festgelegten Verfahren reichten nicht aus, hieß es in dem Urteil des Verfassungsgerichts damals - für den Gesetzgeber bestehe weiterer Handlungsbedarf: Der Bundestag möge entscheiden. Die alte, schwarz-gelbe Regierungsmehrheit sah den asylpolitischen Handlungsbedarf nicht. Die neue, wie es scheint, auch nicht.