Verfahren gegen Mitarbeiter der Jungle World eingestellt

Radikalverfahren

Das klang geradezu gefährlich: "Wolf-Dieter Vogel steht nach bisherigen Ermittlungen im Verdacht, sich als Mitverantwortlicher der linksextremistischen/linksterroristischen Untergrunddruckschrift radikal wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Werbens für eine terroristische Vereinigung und anderer Tatbestände schuldig gemacht zu haben." Die Erklärung dafür, wie die Bundesanwaltschaft zu diesen nicht eben kleinlichen Verdächtigungen gekommen ist, nahm sich dagegen eher bescheiden aus. Der Tatverdacht auf ein Vergehen nach Paragraphen 129 gründe, so ließen Deutschlands oberste Terroristenjäger wissen, auf der Auswertung umfangreicher Unterlagen, die bei Durchsuchungen am 13. Juni und 19. Dezember 1995 sichergestellt worden seien. Punkt. Mehr nicht. Keine umfangreiche Erklärung

Dennoch Grund genug, am 30. Januar vergangenen Jahres nicht nur die Wohnung, sondern gleich auch noch die damalige Arbeitsstelle des Journalisten auf den Kopf zu stellen. Ein knapp zehnköpfiges Aufgebot von Polizisten des Landeskriminalamtes durchsuchte Schreibtische und Schränke in den Redaktionsräumen der Tageszeitung junge Welt und wurde fündig: Disketten, Dokumentationen, Notizblöcke, Bücher - alles, was das verbeamtete Schnüfflerherz begehrt, wurde eingesackt. Wo jedoch die Verbindung zwischen all dem Beschlagnahmten und der kriminalisierten Zeitschrift radikal besteht, wollten die Karlsruher Anwälte nicht genauer erklären. Bis heute nicht

Dafür ließen sie pflichtgemäß wissen, daß der Telefonanschluß des Beschuldigten vom 2. Mai 1996 bis zum 2. August 1996 abgehört worden sei. Informantenschutz? Redaktionsgeheimnis? Zeugnisverweigerungsrecht? Pah, wo kämen wir da hin. Nein, bei Ermittlungen nach Paragraph 129 müssen sich die Fahnder nicht um die Niederung des journalistischen Schutzes kümmern. Schließlich liefert allein der Vorwurf den Ermittlern das Recht zur Telefonüberwachung, Observation und zum Großen Lauschangriff

Dabei wollten selbst hohe deutsche Richter beim besten Willen nicht den Karlsruher Bundesanwälten folgen, erstmals in der Bundesrepublik die Redaktion einer Zeitschrift zur kriminellen Vereinigung zu erklären: Praktisch alle der rund 40 Ermittlungsverfahren gegen angebliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der radikal wurden wieder eingestellt

Geblieben sind nun nach fünf Jahren Verfolgung vor allem Berge von Papier und digitalisierten Daten - sprich ausführliche Information über einen Teil der linken Szene, gesammelt in den Archiven von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt. Hinzu kommen mehrere neue juristische und polizeiliche Vorstöße, wie sie ohne das Markenzeichen "Kriminelle Vereinigung" kaum möglich gewesen wären: Zensur der Zeitschrift im Internet, rechtlich umstrittene Einsätze deutscher Polizisten beim Nachbarn Niederlande, ein Großer Lauschangriff auf ein Redaktionstreffen der radikal, noch bevor die Abhöraktionen jetzt ihren parlamentarischen Segen bekam

Mittlerweile hat die Geschichte ihr vorläufiges Ende gefunden: Vergangene Woche trudelte nun auch beim Kollegen die lapidare Erklärung ein: "Das Ermittlungsverfahren gegen Sie habe ich mit Verfügung vom 8. Juli 1998 gemäß ¤ 153 Abs. 1 StPO eingestellt." Eine Erklärung auf die Frage, welche "umfangreichen Unterlagen" denn nun zu der heißen Spur geführt haben sollen, wollten die Karlsruher Richter noch immer nicht geben